Shakespeares Quartos

Shakespeares Quartos

Mit Quarto bezeichnet man die Ausgaben der Shakespeare-Dramen, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden. Der Name meint eigentlich nur das Papierformat Quart, auf dem sie gedruckt wurden.

Inhaltsverzeichnis

Der Markt für Dramentexte

Schauspiele waren im Grunde nicht zum Drucken und für die Veröffentlichung als Literatur gedacht. Sie waren das Rohmaterial, mit dem die Schauspieltruppen arbeiteten, somit Teil ihres Betriebskapitals und als solche streng gehütet. Eine Veröffentlichung war also nicht im Interesse der Theater. Wohl weniger weil man glaubte, dass die Leute lieber lesen statt ins Theater gehen würden, als aus Furcht, dass die Konkurrenz ein erfolgreiches Stück kopieren und vermarkten könnte.

So ist ein Fall von 1600 überliefert, in dem die Schauspieltruppe The Admiral's Men einem Drucker 40 Schillinge anboten, um ihn vom Druck eines ihrer Stücke, Patient Grisell, abzuhalten. Und im Jahre 1608 trafen einige Londoner Theater eine formelle Übereinkunft, ihre Stücke gegenseitig zu respektieren und nicht zu veröffentlichen.

Dennoch erschienen häufig inoffizielle Raubdrucke, denn manche Drucker wollten mit den Titeln von Erfolgsstücken Profit machen. Diese Ausgaben sind dann meist von geringer Qualität, sogenannte bad quartos. Ein solches Beispiel ist eine Ausgabe von Hamlet aus dem Jahr 1603, die so schlecht war, dass ein Leser, der das Stück nicht gesehen hatte, einen völlig falschen Eindruck bekommen musste. In diesem Fall machten die Lord Chamberlain's Men deshalb eine Ausnahme und veranlassten selbst den Druck einer offiziellen Textversion, wohl um dem schlechten Eindruck in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken.

Offensichtlich existierte aber ein Markt für Dramentexte und sie wurden in großer Zahl gedruckt. Shakespeare war ein ungewöhnlich erfolgreicher Autor, und so erschienen seine Stücke in immer neuen Ausgaben: Richard II. erschien in 6 Ausgaben zwischen 1597 und 1623 (dem Jahr als die offizielle Shakespeare-Anthologie, die Folio, veröffentlicht wurde), Heinrich IV. Teil 1 in 7 Ausgaben ab 1598, Romeo und Julia in 5 Ausgaben ab 1597.

Methoden der Raubkopierer

Die Art der Fehler, die Ungenauigkeiten, die Abweichungen lassen verschiedene Methoden vermuten und zum Teil auch in den Texten erkennen.

So könnte ein Mitglied des Theaters selbst den Text verkauft haben. Da aber innerhalb der Truppe nur wenige - handgeschriebene - Kopien existierten, oft jeweils nur mit dem Text für die einzelne Rolle, so musste der betreffende Schauspieler den übrigen Text aus dem Gedächtnis ergänzen. In einer solchen Textausgabe wären dann einige Passagen besser als andere.

Eine weitere Möglichkeit war, während der Aufführung mitzuschreiben. Dass es sich hierbei um eine stark verkürzte Version handeln musste, ist naheliegend. Der Schreiber musste später vor dem Druck den Text aus der Erinnerung rekonstruieren.

Es existierte auch eine Art Kurzschrift, genannt charactery, die im Grunde auf einer Bilderschrift basierte. So konnte man den wesentlichen Sinn dessen, was auf der Bühne gesagt wurde, niederschreiben, aber poetische Wirkungen und viele Wortspiele mussten dabei verloren gehen. Als Beispiel (entnommen aus dem Buch von Anthony Burgess, Shakespeare, Harmondsworth 1970) möge der berühmte Satz aus Hamlet dienen: "Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage" (to be or not to be that is the question): "Sein": also schrieb man das Zeichen für "Leben" - "nicht sein": das ist das Gegenteil - "Das ist": hier reichte dann ein Gleichheitszeichen - "die Frage": das entsprechende Zeichen bedeutete sowohl Frage als auch Unstimmigkeit oder Argument. Und so lautet der berühmte Satz in der Quarto-Ausgabe von 1603 "To be, or not to be, I there's the point."

Mit dieser Kurzschrift konnten die Feinheiten der Shakespeareschen Sprache nicht adäquat wiedergegeben werden.

Man konnte den Text natürlich auch stehlen. Dann wäre das Ergebnis sicher eine recht zuverlässige Ausgabe, aber andererseits waren die Manuskripte gut gesichert und nicht so leicht zu entwenden, wenn man nicht einen Verräter in der Truppe kannte (womit wir wieder bei Fall eins sind).

Textkritik

Etwa die Hälfte der Stücke Shakespeares, die 1623 in der Folio erschienen, waren schon vorher in mehr oder weniger schlechten Ausgaben auf dem Markt (Richard III., Titus Andronicus, Verlorene Liebesmüh, Romeo und Julia, Ein Sommernachtstraum, Richard II., Der Widerspenstigen Zähmung, Der Kaufmann von Venedig, Heinrich IV. Teil 1 und 2, Viel Lärm um Nichts, Troilus und Cressida, Hamlet, König Lear, Perikles, Prinz von Tyrus, Othello, Heinrich V., und Die lustigen Weiber von Windsor).

Eine kritische Untersuchung der verschiedenen Texte muss versuchen, dem Shakespeare-Original möglichst nahe zu kommen. Die Regeln für einen gewissenhaften Herausgeber lauten:

  • Eigentlich wäre das Originalmanuskript des Autors die Grundlage. Aber von Shakespeare gibt es keinerlei schriftliche Aufzeichnungen seiner Stücke.
  • Dann muss der Text herangezogen werden, der dem Original zeitlich und räumlich am nächsten liegt. Das wären die Quarto-Ausgaben. Aber wie am Beispiel Hamlet gesehen, war die erste Ausgabe teilweise ungewöhnlich schlecht, also läge es näher, die zweite korrigierte Ausgabe zu verwenden.
  • Rechtschreib- und Druckkonventionen der Zeit müssen berücksichtigt werden, da der Drucker einen Originaltext möglicherweise nach seinem eigenen Geschmack "verbessert" hat. Offensichtliche Druckfehler sind relativ leicht zu erkennen. Wenn Sätze völlig sinnlos sind, muss wohl ein Fehler vorliegen. Aber oft ist eine solche Entscheidung eine Interpretationsfrage.
  • Da die Folio von 1623 als Gedenkausgabe mit einer gewissen Sorgfalt herausgegeben wurde, kann ihr bei Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen Texten im Zweifelsfall der Vorzug gegeben werden.

Eine kritische Ausgabe von Shakespeares Werken sollte in jedem Fall die genaue Quelle einzelner Textstellen angeben, sowie eine Begründung für den Vorzug der einen gegenüber der anderen.

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