Singulärwertzerlegung

Singulärwertzerlegung
Singulärwertzerlegung am Beispiel einer 2-dimensionalen, reellen Scherung M: diese Transformation verzerrt den blauen Einheitskreis oben links zur Ellipse rechts oben im Bild. M kann zerlegt werden in zwei Drehungen U und V* und eine Dehnung/Stauchung Σ entlang der Koordinatenachsen. Die Singulärwerte σ1 und σ2 sind gerade die Längen der großen bzw. kleinen Halbachse der Ellipse. Die genauen Werte für dieses Beispiel finden sich in der Bildbeschreibung.

Eine Singulärwertzerlegung (Abk.: SVD für Singular Value Decomposition) einer Matrix bezeichnet deren Darstellung als Produkt dreier spezieller Matrizen. Daraus kann man die Singulärwerte der Matrix ablesen. Diese charakterisieren, ähnlich den Eigenwerten, Eigenschaften der Matrix. Singulärwertzerlegungen existieren für jede Matrix – auch für nicht-quadratische Matrizen.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Als Singulärwertzerlegung einer komplexen m\times n-Matrix M mit Rang r bezeichnet man ein Produkt der Gestalt

M \,=\, U \Sigma V^*

wobei

\Sigma = \left(\begin{array}{ccc|ccc}
\sigma_1 &          &          &        & \vdots &        \\
         & \ddots   &          & \cdots & 0      & \cdots \\
         &          & \sigma_r &        & \vdots &        \\
\hline
         &  \vdots  &          &        & \vdots &        \\
\cdots   &  0       & \cdots   & \cdots & 0      & \cdots \\
         &  \vdots  &          &        & \vdots &        \\

\end{array}\right)

Die Einträge σi von Σ heißen Singulärwerte von M. Für sie gilt

\sigma_1\geq\cdots\geq\sigma_r> 0.

Eigenschaften

Jede Matrix besitzt mindestens eine Singulärwertzerlegung. Bei einer reellen Matrix können die Matrizen U und V der Zerlegung reell gewählt werden.

Wegen

M^*\cdot M=\left(V\Sigma^T U^*\right)\cdot\left(U\Sigma V^*\right)=V\Sigma^T \Sigma V^*

ist M * M ähnlich zu ΣTΣ. Damit sind die Singulärwerte der Matrix M gleich den Quadratwurzeln aus den Eigenwerten von M * M. Daher ist die Spektralnorm von M gleich σ1.

Einsetzen und Nachrechnen zeigt, dass sich die Pseudoinverse (bei Invertierbarkeit die Inverse) zu M aus

M^{\dagger}=V\Sigma^{\dagger}U^*

mit

(\Sigma)_{ij}^{\dagger} =
 \begin{cases}\frac{1}{\sigma_i}, & \mathrm{falls}\ i=j\leq r, \\
 0 & \mathrm{sonst} 
\end{cases}

ergibt. Somit sind die Singulärwerte der Inversen zu M genau \tfrac{1}{\sigma_i}, und die auf die Spektralnorm bezogene Konditionszahl von M ergibt sich zu \kappa_2(M)=\tfrac{\sigma_1}{\sigma_n}.

Da unitäre Transformationen den Betrag der Determinante nicht ändern, gilt

|\det(M)|=\prod_{i=1}^r \sigma_i \quad \text{falls}\quad \det(M) \neq 0

Numerische Bestimmung der Singulärwertzerlegung

Nummernschild von Gene Golub

Da die Singulärwerte mit den Eigenwerten der Matrix M^\ast M zusammenhängen, wäre ein naheliegender Algorithmus zur numerischen Bestimmung einer Singulärwertzerlegung der Matrix die numerische Lösung des symmetrischen Eigenwertproblems zu M^\ast M. Allerdings ist ein solcher Algorithmus numerisch instabil, da durch das Produkt die Konditionszahl quadriert wird, und zudem aufgrund der benötigten Matrix-Matrix-Produkte auch sehr aufwändig.

In den 1960er Jahren entwickelte vor allem Gene Golub stabile direkte und iterative Algorithmen zur Berechnung einer Singulärwertzerlegung, womit die Zerlegung praktisch nutzbar wurde. Das direkte Verfahren wurde von ihm 1965 mit William Kahan und das iterative 1970 mit Christian Reinsch veröffentlicht. Die Verfahren formen die Matrix zunächst in eine günstigere Gestalt um: Mit Hilfe von orthogonalen Transformationen – etwa durch Householder-Transformationen – wird die Matrix auf Bidiagonalform gebracht. Nach diesem Zwischenschritt erlaubt eine modifizierte Form des QR-Algorithmus eine effiziente numerische Bestimmung der Singulärwerte. Der Aufwand liegt bei ca. \tfrac{4}{3}n^3 + \mathcal{O}\left(n^2\right) arithmetischen Operationen.

Anwendung

Dieses Verfahren wird insbesondere in der numerischen Mathematik verwendet. Dort lassen sich beispielsweise quasisinguläre lineare Gleichungssysteme im Rahmen rechentechnischer Genauigkeiten passabel lösen.

In der Statistik ist die SVD der rechnerische Kern der Hauptkomponentenanalyse, dort auch Karhunen-Loève-Transformation genannt.

Einige moderne Bildkompressionsverfahren beruhen auf einem Algorithmus, der das Bild (=Matrix aus Farbwerten) in eine SVD überführt und anschließend nur die stark von null verschieden Elemente der Matrix Σ berücksichtigt und dann die zur Rückgewinnung der Matrix erforderlichen Vektoren sowie die verbliebenen Diagonalelemente speichert. Besonders effektiv ist diese Kompression bei bestimmten rechteckigen Mustern und natürlich, je größer (und je quadratischer) das Bild ist. Dies ist eine mögliche Anwendung von Modellreduktion. Das Weglassen von kleinen Singulärwerten ist ein verlustbehaftetes Modellreduktionsverfahren.

In der Teilchenphysik benutzt man die Singulärwertzerlegung, um Massenmatrizen von Dirac-Teilchen zu diagonalisieren. Die Singulärwerte geben die Massen der Teilchen in ihren Masseneigenzuständen an. Aus den Transformationsmatrizen U und V konstruiert man Mischungsmatrizen wie die CKM-Matrix, die ausdrücken, dass die Masseneigenzustände von Teilchen aus einer Mischung von Flavoreigenzuständen bestehen können.

Die Singulärwertzerlegung ist der Kern der Latent Semantic Analysis, einem Verfahren des Information Retrieval, das hilft in großen Textkollektionen latente Konzepte aufzudecken, anhand derer dann z.B. unterschiedlich bezeichnete Informationen zum gleichen Thema gefunden werden können.

Literatur

  • Günter Gramlich: Anwendung der Linearen Algebra mit MATLAB®. Carl Hanser Verlag, 2004. ISBN 3-446-22655-9
  • Peter Deuflhard und Andreas Hohmann: Numerische Mathematik I. Walter deGruyter, Berlin, 2000.

Weblinks


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