Soundscape

Soundscape

Der Begriff Soundscape (Klanglandschaft) ist ein englisches Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen Sound und Landscape. Das Soundscape beschreibt die akustische Hülle, die uns an einem bestimmten Ort umgibt.

Soundscapes werden in der Musik und der Klangkunst verwendet. Insbesondere in der Musique concrète werden Klänge aus Natur, Technik und Umwelt mit dem Mikrofon aufgenommen und elektronisch verfremdet eingesetzt. Musiker, die in ihren Kompositionen Soundscapes nutzen, sind unter anderem Robert Fripp, Brian Eno, Barry Truax, Hildegard Westerkamp, Luc Ferrari, Francisco Lopez, Klaus Hinrich Stahmer und Steve Reich.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Das Soundscape ist Kernbegriff einer jungen interdisziplinären Wissenschaft, die sich mit Klangforschung, akustischer Kommunikation und Klanggestaltung befasst. Schwerpunkt der Soundscape-Forschung ist die Beziehung zwischen dem Menschen und den sich in stetigem Wandel befindenden Umweltklängen.

Unter einem Soundscape versteht man das Zusammenspiel aller akustischen Erscheinungen, die sich in einem Raum und durch diesen produzieren. Das Soundscape eines Ortes setzt sich zusammen aus Naturgeräuschen, Sprache, Arbeits- und Maschinenlärm sowie Musik. Soundscapes reichen von Klangkunst, Musik oder Sounddesign in Einkaufszentren, Flughäfen oder Büros bis hin zu Klanglandschaften von Städten, Dörfern oder Landschaften. Es können kleinste Nuancen sein, die einem Klangbild eine spezifische Charakteristik verleihen und es somit einzigartig machen.

Begriffsgeschichte

Raymond Murray Schafer gründete Ende der 60er Jahre in Zusammenarbeit mit der Simon-Fraser-University (Vancouver) das World Soundscape Project. Das WSP wird unterstützt von der UNESCO und der Donnar-Canadian-Foundation. Hauptziel war es, die Klangerscheinungen aufzuzeichnen und zu katalogisieren, um so die Veränderungen über die Jahre zu analysieren. Anhand dieser Analysen erforscht das WSP die soziologischen und ästhetischen Aspekte der akustischen Umwelt.

Theorie des Soundscape

Lo-Fi und Hi-Fi

Durch die industrielle und speziell elektromechanische Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts sind Maschinenlärm und Lautsprecherklänge sehr viel präsenter geworden. Die Folge ist, dass die differenzierbaren Klanglandschaften, in denen der Mensch akustische Einzelereignisse (z.B. Vogelgezwitscher) ausmachen kann, den undifferenzierbaren Klanglandschaften weichen. Diese sind mit Klängen so überladen, sodass der Mensch nur noch sehr laute Klänge wahrnehmen kann und von der Klanglandschaft überfordert wird.

Murray Schafer als Urvater der Soundscape-Bewegung bezeichnet die akustisch überladenen Klanglandschaften (beispielsweise die eines Hauptbahnhofs) als Lo-Fi – und die akustisch differenzierbaren Klanglandschaften (beispielsweise die einer Alm) als Hi-Fi.

Innerhalb einer Hi-Fi-Landschaft überlappen Töne in geringerem Maße. Schafer benennt die akustische Anordnung als Perspektive mit einem Vorder- und einem Hintergrund. So könne der Hörer auf Grund der ruhigen Umgebung weiter in die Ferne hören als in einer Stadt. Die Stadt führe somit zu einer Verkümmerung des Weithörens (und Weitsehens). Dies sei die bedeutendste Veränderung in der Geschichte der Wahrnehmung. In einer Lo-Fi-Landschaft(Sphäre) werden die einzelnen akustischen Signale durch eine überdichtete Lauthäufung überschattet. So würde ein klarer Laut, wie das Knacken eines zerbrechenden Astes, durch ein Breitbandgeräusch überdeckt. Die Perspektive gehe verloren - in der Stadt gebe es nur Gegenwart, keine Entfernung.

Die Hi-Fi- beziehungsweise Lo-Fi-Eigenschaft eines Ortes wirke sich erheblich auf die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung eines Ortes aus.

Die Beschreibung von Lautsphären

Schafer klassifiziert Lautsphären in drei Hauptmerkmale: Grundtöne, Signallaute, und Orientierungslaute.[1]

Der Grundton ist ein Begriff aus der Musiktheorie, der die Tonart oder Tonalität einer Komposition bestimmt. Der Grundton einer Lautsphäre setzt sich aus Geographie, Klima, Flora und Fauna zusammen. Signallaute sind klar konturierte Laute. Meist sind es Warnzeichen: Glocken, Pfeifen, Hörner und Sirenen. Sie können zu umfangreichen Codes organisiert sein (wie beispielsweise Hupsignale in Indien), jedoch kann sie der Empfänger dechiffrieren und verstehen.

Orientierungslaute finden in einer Gesellschaft besondere Beachtung. Sie charakterisieren das akustische Leben einer Gemeinschaft. [2]

Vorindustrielle Lautsphäre / Postindustrielle Lautsphäre

Schafer unterscheidet zwischen der vorindustriellen Lautsphäre und der postindustriellen Lautsphäre. Während die vorindustrielle Lautsphäre hauptsächlich von Naturgeräuschen bestimmt werde, sei die postindustrielle Lautsphäre mit Maschinengeräuschen gesättigt. Die Folge sei ein rapider Anstieg akustischer Informationen, sodass nur wenige davon deutlich wahrzunehmen und einzuordnen seien. Schafer erforscht den akustischen Umbruch zum industriellen Zeitalter unter anderem anhand schriftlicher Aufzeichnungen. So beschreibt Renée Mauperin den Umbruch 1865 so: „...Der Lärm der Gießereien und das Pfeifen der Dampfmaschinen zerrissen alle Augenblicke die Stille über dem Fluss“.[3]

Der Historiker Oswald Spengler führt eine mögliche Funktion von Lautstärke bzw. Lärm an. Wenn die Macht eines Lautes ausreiche, um ein großes akustisches Profil zu schaffen, könne man ihn imperialistisch nennen.[4] Als Beispiel ließe sich der Vergleich zwischen einem Mann mit einem Presslufthammer und einem Mann mit einer Schaufel heranziehen.

Dort wird jeweils ein akustischer Raum beherrscht und andere akustische Aktivitäten werden unterbrochen. Dieses Beherrschen von akustischen Aktivitäten und die daraus resultierende Aufmerksamkeit, macht sich die Industrie weltweit, ohne Rücksicht auf andere Kulturen, zu nutze. Industrie müsse wachsen und mit ihr ihre Geräuschkulisse. Dies sei ein kontinuierlicher Prozess in den letzten zweihundert Jahren.[5]

Die flach verlaufende Schallwelle (Wanderwelle)

Ein weiteres Merkmal der industriellen Revolution ist die flach verlaufende Schallwelle.[6] Sie entsteht durch Geschwindigkeit und Widerstand. Rhythmische Impulse erhalten durch verschiedene Geschwindigkeiten unterschiedliche Tonhöhen. Ab einer Frequenz von 20 Hertz verschmelzen die Impulse für das menschliche Ohr zu einem kontinuierlichen Ton. Nicht alle Schallwellen verlaufen flach. Jeder Laut besitzt eine Kennkurve, die aus verschiedenen Abschnitten besteht: Einschwingflanke, Körper, Übergangsschwingungen und Abklingvorgang. Bei der Visualisierung (Schallpegelschreiber) eines Schallkörpers, der aus einem gleich bleibenden Ton besteht, sieht man eine langgezogende horizontale Linie - eine Wanderwelle. Maschinen erzeugen Geräusche mit geringem Informationswert und hoher Redundanz. Maschinen können brummen, wie beispielsweise Generatoren, oder sie können durch Kaskadenrhythmen unterbrochen sein, wie bei Näh- oder Dreschmaschinen - in jedem Fall jedoch erzeugen sie kontinuierlich Schall. Dieses Lautphänomen wurde durch die industrielle Revolution geschaffen und durch die Elektrotechnik erweitert. Die Folge sind dauerhafte Grundtöne und Breitbandlärmwellen.

Flach verlaufende Schallwellen können sich nur durch eine Erhöhung oder eine Verringerung der Drehzahl verändern. Dies geschieht dann durch eine stufenlose Veränderung und wirkt wie ein Glissando. Ein weiteres Phänomen, das Folge der industriellen Revolution und somit der Wanderwelle ist, ist der „Doppler-Effekt“. Dieser Effekt war zwar schon vorher präsent beispielsweise beim Galoppieren eines Pferdes oder dem Surren einer Biene, jedoch ist er erst im Zuge der erhöhten Geschwindigkeiten des 19. Jahrhunderts entdeckt worden.

Die Schizophonie

Im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Aufnahme-, Abspiel- und Übertragungstechnologien sieht Murray Schafer als wesentliches Problem die Trennung des Originalklanges von seinem Verursacher. Er spricht in diesem Zusammenhang von der Schizophonia, wobei die griechische Vorsilbe „Schizo-“ die Trennung oder Separation und die Silbe „-phonia“ die Stimme meint.[7] Das Wort Schizophonia drückt in Anlehnung an den Begriff der Schizophrenie die Nervosität aus, die erzeugt wird, wenn ein Klang von seiner Quelle getrennt wird. Murray Schafer vertritt dabei den Standpunkt, dass jeder Sound einzigartig und untrennbar mit dem Mechanismus, der ihn produziert verbunden, ist. Aufnahme- und Übertragungs-Technik machen es jedoch möglich, den Sound vom Verursacher zu trennen und an anderen Orten und in anderen Zusammenhängen wiederzugeben. Heutzutage könne man jeden winzigen Naturlaut aufnehmen, hoch pegeln und rund um die Welt schicken. Die unabhängige Existenz von Klängen in Zeit und Raum kann laut Murray Schafer Nervosität und Angst verbreiten. Murray Schafers Aufnahmen eines Sees, auf den Regen prasselt, habe einen dokumentarischen Charakter, da er den Bezug zum Klangverursacher bewahren möchte.

R. Murray Schafer und Barry Truax

R. Murray Schafer spricht von einer Verkümmerung der menschlichen Hörgewohnheiten. Diese sei vor allem eine Folge der technischen Entwicklungen im Audiobereich, da die Hi-Fi-Qualität die reale Klangwelt als Lo-Fi erscheinen lasse. Seine Vision ist eine auditiv ausgewogene Gesellschaft, in deren Soundscape alle Töne bis hin zur kompletten Stille Platz finden. Der spezialisierte Hörraum in Kultur und Medien wirke hingegen fast wie ein Vakuum, das durch Performance und Ritual gefüllt werden müsse. Barry Truax, der als Nachfolger Schafers gesehen wird, sieht Musik, Sprache, Geräusche, synthetischen Klang und Stille als Kontinua, als kognitiven Verbund mit fließenden Übergängen.[8] Daraus entwickelt Truax Klangsysteme, die in enger Verbindung stehen, als „organisierten Schall“. Dies soll sich nicht nur sinnvoll auf die Kommunikation auswirken, sondern vor allem das elektroakustische Design der derzeitigen und zukünftigen Welt positiv beeinflussen. Während Schafers Perspektive eher qualitativ historisch ausgerichtet ist, um die heutige Klanglandschaft evolutiv zu verstehen, versucht Truax, ein Analysemodell aufzustellen, in dem sich die akustische Kommunikation anhand unterschiedlicher Situationen konkretisieren lässt.[9]Im Zentrum dieses Analysemodells steht das Geflecht aus Klang und Hören innerhalb aller menschlichen Interaktionen.

Literatur

  • Schafer, Murray.Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988
  • Truax, Barry. Acoustic Communication. London: Ablex Publishing: 2001
  • Werner, Hans-Ulrich und Lankau, Ralf.Media Soundscapes I: Klanguage. Landschaften aus Klang und Methoden des Hörens. Siegen: MUK: 2006

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Schafer, R.Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S.14.
  2. Vgl. Schafer, R.Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S.17.
  3. Mauperin, Renée zitiert nach R.Murray Schafer in: Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S.101.
  4. Vgl. Schafer, R.Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S. 105.
  5. Vgl. Schafer, R.Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S. 106.
  6. Vgl. Schafer, R.Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S. 106.
  7. Vgl. Schafer, R.Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main: Athenäum: 1988: S. 121.
  8. Vgl. Truax, Barry. Acoustic Communication. London: Ablex Publishing: 2001: S.50.
  9. Vgl. Werner, Hans-Ulrich und Ralf Lanka mit Co-Autoren. in Media Soundscapes I: Media Soundscapes: Klanguage. Landschaften aus Klang und Methoden des Hörens. MUK: Siegen: 2006: S. 29.

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