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Stigmatisierung bezeichnet die zu sozialer Diskriminierung führende Charakterisierung einer Person oder Gruppe durch die Zuschreibung gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewerteter Merkmale. Ein Stigma ist „eine unerwünschte Andersheit gegenüber dem, was wir erwartet hätten.”[1]
Inhaltsverzeichnis
Beschreibung
Das soziale Stigma als Brandmal kennzeichnet somit ein Auffälligkeitsmerkmal, das als Ausdruck der Abwertung Einzelner oder von Gruppen Ursache und Folge sozialer Randständigkeit sein kann. Dabei wird von einer Normalität ausgegangen, von der abgewichen wird.
Daher sind in der Regel sogenannte Randgruppen betroffen, die gemeinsame, negativ bewertete Merkmale haben, durch die sie von anderen Mitgliedern der Gesellschaft unterschieden werden (siehe auch Vorurteil, Klischee). Daraus ergibt sich ein Teufelskreis: Randgruppen werden stigmatisiert, Stigmatisierung führt zu Ausgrenzung und Randgruppenbildung.
Goffman vermutet, dass die Stigmatisierungsprozesse „eine allgemeine gesellschaftliche Funktion haben – nämlich Unterstützung für die Gesellschaft bei denen einzuholen, welche nicht von der Gesellschaft unterstützt werden.”[2] Es ist eine Reaktion auf nicht erfüllte Normerwartungen, da dadurch die gemeinsamen Normen weit jenseits derer, die sie voll erfüllen, aufrechterhalten werden können.[3]
Beispiele für soziale Stigmen waren oder sind das Vorliegen von Vorstrafen, Obdachlosigkeit, körperliche oder geistige Behinderungen, psychische Störungen, Krankheiten (z. B. Lepra, AIDS), aber auch die sexuelle Orientierung oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität, Religion oder Volksgruppe - wie dies oft für „Zigeuner“ galt.
Auf subtilere Weise wird auch bereits die Armut zum sozialen Stigma, wenn sie etwa als mangelnde Leistungsbereitschaft charakterisiert wird, wenn die Schuld für Armut alleine in einem persönlichen Versagen gesucht wird, wenn Betroffenen projektiv ein Ausruhen in der deutlich ideologisch postulierten, jedoch tatsächlich inexistenten, sozialen Hängematte unterstellt wird, etwa bei Arbeitslosen. Sichtbares Merkmal ist dabei etwa die Kleidung der Betroffenen, an der der soziale Status für jeden ablesbar ist (siehe auch Soziologie). Dieser sichtbaren Stigmatisierung wollte etwa die Arbeiter-Jugendkultur der Mods in England entgegenwirken, indem demonstrativ teure Kleidung getragen und die Oberschicht imitiert wurde.
Die Menschenrechte in der Tradition der europäischen Aufklärung widersprechen u.a. der Stigmatisierung von Personen und sollen ihr entgegenwirken.
Stigmaforschung
In der Stigmaforschung werden die Prozesse erforscht, die zur Stigmatisierung führen. Hierbei wird grundsätzlich zwischen Stigmatisierung auf gesellschaftlicher und individueller Ebene unterschieden.
Als Verfahren zur Feststellung von Stigmatisierungen hat sich die Messung der erwünschten „sozialen Distanz“ als häufig angewandte Methode bewährt: Die untersuchten Personen werden danach befragt, ob sie jemanden mit dem spezifischen Stigmatisierungsmerkmal (z. B. einer psychischen Erkrankung) als Mieter, Nachbarn oder Babysitter akzeptieren würden. Vertiefend wird gefragt, ob die befragte Person in eine Familie einheiraten würde, in der Menschen mit dem spezifischen Stigmatisierungsmerkmal leben, oder ob die untersuchte Person solche Menschen in ihren sozialen Kreis aufnehmen würde oder als Mitarbeiter empfehlen würde.
Vergleichende Untersuchungen über die Stigmatisierung psychisch Kranker in Nigeria und Deutschland ergaben, dass Stigmatisierungen in Deutschland wesentlich seltener zu erwarten sind als in Nigeria, was auf den besseren Informationsstand über diese Krankheiten in Deutschland zurückzuführen sein könnte. Andererseits weisen Untersuchungsergebnisse einer Zürcher Forschungsgruppe darauf hin, dass sich auch die besonders gut über die Sachverhalte informierten Fachleute in ihrem Antwortverhalten bezüglich sozialer Distanz kaum von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden. Diese Ergebnisse haben kritische Fragen nach dem Rollenbild und der Funktion von Psychiatern in der Verhütung und Bekämpfung von Stigmatisierungen psychisch Kranker bestärkt. [4] [5]
Begriffsgeschichte
Im christlichen Umfeld bezeichnet Stigmatisation das Tragen der Wundmale Christi (Stigmata). An verschiedenen Wallfahrtsorten, wo Christusstatuen verehrt werden, soll es hin und wieder zu Wundern kommen, indem die Stigmata angeblich zu bluten anfangen.
Quellen
- ↑ Erving Goffman: Stigma. Notes on the Management of Spoiled Identity, New York 1963, S. 6
- ↑ Erving Goffman: Stigma. Notes on the Management of Spoiled Identity, New York 1963, S. 138
- ↑ Benjamin Marius Schmidt und Gesa Ziemer: Verletzbare Orte. - Zur Ästhetik anderer Körper auf der Bühne, ith-z.ch, 19. Jänner 2004, Version: 1. März 2006
- ↑ Gaebel, W. u. a. (2002): Public attitudes towards people with mental illness in six German cities: results of a public survey under spezial consideration of schizophrenia. Eur. Arch. Psychiatry Clin. Neurosci. 252: 278-87
- ↑ Adewuya, A. O. u. a. (2005): Social distance towards people with mental illness amongst Nigerian university students. Soc. Psychiatry Psychiatr. Epidemiol. 40 :865-8
Literatur
- Erving Goffman: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt/Main, 1967 [engl. Orig. 1963]
- Asmus Finzen: Psychose und Stigma: Stigmabewältigung – zum Umgang mit Vorurteilen und Schuldzuweisungen, Psychiatrie-Verlag, Bonn, 2000
- Manfred Brusten, Jürgen Hohmeier (Hrsg.): Stigmatisierung 1+2. Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen – Luchterhand Verlag, Darmstadt 1975
- Michaela Amering, Margit Schmolke: Recovery: Das Ende der Unheilbarkeit, Psychiatrie-Verlag, Bonn, 2007, ISBN 978-3-88414-421-3
Weblinks
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