Sturmkompanie

Sturmkompanie

Während des Ersten Weltkrieges stellte die preußisch-deutsche Armee insgesamt 17 sogenannte Sturmbataillone und zwei selbstständige Sturmkompanien auf. Diese Sonderverbände der Infanterie wurden vornehmlich als Lehr- und Ausbildungstruppe verwendet. Im Einsatz erteilte man diesen Formationen besonders schwierige Gefechtsaufträge, wobei der Verband in der Regel nicht geschlossen eingesetzt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Das taktische Problem des Stellungskrieges

Im Jahr 1915 erkannten die militärischen Führer an der Westfront, dass der konventionelle Einsatz der Infanterie nicht mehr ausreichte, um im Stellungskrieg wieder zum beweglich geführten Gefecht überzugehen. Die neuen Waffen, wie Maschinengewehre, Minenwerfer und Infanteriegeschütze, dominierten das Gefechtsfeld und begünstigten den Verteidiger. Geländegewinne von wenigen hundert Metern wurden zumeist nur durch ungeheure Verluste erzielt.

Die Entwicklung der Infanterietaktik in den deutschen Streitkräften

Während man in Großbritannien ab 1915 und später in Frankreich auf die Einführung von Kampfwagen („Tanks“) setzte, entschloss sich die deutsche Seite dazu, die Kampfverfahren der Infanterie weiterzuentwickeln. Die Modifikation und Anpassung der Infanterietaktik an die Gegebenheiten des modernen Gefechtes führte in der deutschen Armee zu neuen Führungs- und Einsatzgrundsätzen. Ihre Einführung ist vor allem auf den Einsatz der Sturmbataillone zurückzuführen, die als Lehrtruppe aber auch als Kampfverbände die neuen Einsatzverfahren entwickelten und die Sturmformationen der Infanterie-Divisionen ausbildeten.

Der Aufbau deutscher Sturmbataillone

Im Gegensatz zu herkömmlichen Infanteriebataillonen wurden die Sturmbataillone von vornherein als gemischte Formationen unter Einbeziehung von Granat- und Minenwerfern, Infanteriegeschützen, leichten Maschinengewehren 08/15 und Flammenwerfern aufgestellt. Benannt nach ihrem Führer Major Calsow formierte man bereits 1915 die Sturmabteilung „Calsow“ für die Kämpfe in den Vogesen. Durchschlagende Erfolge wurden jedoch erst erzielt, nachdem Hauptmann Willy Rohr das Kommando über diese Abteilung übernommen hatte. Unter seiner Leitung wurde die Abteilung zum Bataillon ausgebaut und vor allem das Stoßtrupp-Verfahren entwickelt. Darüber hinaus erprobte der Verband neue Waffen und Ausrüstung, unter anderem Flammenwerfer, Schutzpanzer und den Stahlhelm, der später in das gesamte deutsche Heer eingeführt wurde.

Nach dem Vorbild des Sturmbataillons Rohr (ehemals Niederschlesisches Pionier-Bataillon Nr. 5) wurden in fast allen deutschen Armeen je ein eigenes Sturmbataillon oder eine Sturmkompanie aufgestellt. Das Personal rekrutierte sich ausschließlich aus Freiwilligen. Für Mannschaften galt eine Altersgrenze von 25 Jahren. Die deutschen Sturmbataillone wurden vornehmlich als Lehr- und Ausbildungstruppe verwendet. Kampfeinsätze wurden nur im begrenzten Maße vorgenommen, um Verluste der Truppe gering zu halten, den Ausbildungsstand nicht durch lange Stehzeiten an der Front zu verringern und die Qualität der durch das Bataillon ausgerichteten Lehrgänge für Übungstruppen kontinuierlich auf hohem Niveau zu halten.

Die Sturmsoldaten

Die Sturmsoldaten (Ausnahme Sturm-Bataillon 3 und 5; siehe unten) trugen die Bezeichnung 'Grenadier'- zur Erinnerung an die erste im 17. Jahrhundert gegründete infanteristische Spezial- und Elitetruppe.

Die Sturmsoldaten bekamen eine spezielle Ausbildung, nur die damals modernste Ausrüstung und eine bessere Verpflegung und Besoldung als das restliche Heer. Außerdem waren Sie zwischen den Einsätzen im rückwärtigen Raum, und nicht wie die anderen Frontsoldaten direkt an der Front untergebracht. Sie wurden zum Einsatz oft mit LKWs gefahren. Dafür waren Ihre Kampfeinsätze besonders gefahrvoll und oft genug sehr verlustreich. Als Abzeichen, das sie auch nach außen als Mitglieder einer Elitetruppe erkenntlich machen sollte, trugen die Angehörigen der Sturmtruppen, in Anlehnung an die 1. und 2.  preußischen Leib-Husaren, einen kleinen silbernen Totenkopf an der Feldmütze (siehe auch den Totenkopf der Panzertruppe der Wehrmacht). Dieser Totenkopf ist auch auf Fotografien späterer Freikorpssoldaten zu erkennen.

Beim Angriff auf die feindlichen Linien gingen die Sturmtruppen in kleinen, gut aufeinander eingespielten Trupps vor. Jeder Angehörige einer Sturmpatrouille führte an Bewaffnung entweder einen Karabiner 98a, Stutzen oder einen Stutzenkarabiner (Unteroffiziere und Offiziere jeweils eine Repetierpistole), wobei die Munition aber nicht in Patronentaschen, sondern in Hosentaschen oder in Handgranatensäcken transportiert wurde. Für den Nahkampf waren Dolchmesser (Grabendolche) und selbst gefertigte Schlagwerkzeuge (Grabenkeulen) vorgesehen. Der Sturmsoldat trug einen Stahlhelm sowie spezielle Hosen, die an Knien und Gesäß mit Leder verstärkt waren und weitere Spezialausrüstung. Teilweise waren die Sturmtruppen gegen Ende des Krieges auch mit der ersten Maschinenpistole, der Bergmann MP18I, ausgerüstet (sowohl Flammenwerfer als auch Maschinenpistole sind deutsche Erfindungen des 1. Weltkrieges).

Jeder Sturmsoldat wurde an fast jeder Waffe, unter anderem am leichten Minenwerfer, Granatenwerfer 16, Flammenwerfer, Handgranaten, am schweren und leichten Maschinengewehr (MG 08 und 08/15) sowie feindlichen Waffen (hauptsächlich Maschinengewehren und Handgranaten) ausgebildet, um bei Ausfall beispielsweise eines MG-Schützen sofort dessen Platz einzunehmen und auch erbeutete feindliche Waffen einsetzen zu können.

Anders als bei der normalen Infanterie, deren Auftrag es war, nacheinander im Sturm und Grabenkampf ganze feindliche Abschnitte einzunehmen, bestand die Taktik der Sturmtruppen darin, im Anschluss an einen kurzen, vorbereitenden Feuerschlag der Artillerie, durch vorher aufgeklärte Schwachstellen zu stoßen und größere Widerstandsnester des Gegners einfach zu umgehen. Um die noch stark verteidigten Stellungsabschnitte kümmerte sich die nachfolgende normale Infanterie, während die Sturmtruppen gleichzeitig immer weiter ins gegnerische Hinterland vorstießen um dort Verwirrung zu stiften, den gegnerischen Nachschub zu behindern und Versuche einer koordinierten Gegenwehr zu stören. Im Grunde handelte es sich dabei um genau die gleiche Taktik, die später im 2. Weltkrieg im größeren Maßstab eingesetzt wurde und – mit modernerem Gerät wie Panzern und Stukas umgesetzt – als Blitzkrieg in die Geschichte einging.

Einsätze

1916: Verdun

Bereits zu Beginn der Schlacht von Verdun wurden Teile des Sturmbataillons Nr. 5 zur Unterstützung der Infanterie eingesetzt. Es folgten weitere Unterstützungen bei verschiedenen Angriffsunternehmen vor Verdun, wobei Teile des Sturmbataillons maximal in Kompaniestärke eingesetzt wurden. Am 1. August 1916 wurde der Angriff der 21. Reservedivision (Hessen) auf die Souville-Nase (Nez de Souville) durch Flammenwerfer des Sturmbataillons Nr. 5 unterstützt. Hinter der Front fanden außerdem zahlreiche Ausbildungen und Vorführungen durch das Bataillon statt.

1917: Riga, Isonzo, Cambrai

Nachdem im großen Stil erhebliche Kontingente des deutschen Heeres in den neuen Führungs- und Einsatzgrundsätzen ausgebildet werden konnten, stellten sich im Kriegsjahr 1917 die ersten Erfolge ein. Zunächst gelang es der deutschen 8. Armee im September 1917 mit der Besetzung der baltischen Inseln und der wichtigen Hafenstadt Riga, erhebliche Teile des russischen Heeres zu zerschlagen. Im Oktober 1917 konnten unter Führung der 14. deutschen Armee die italienischen Streitkräfte in der 12. Isonzoschlacht über 80 km zurückgeworfen werden. Im November 1917 begann auch an der Westfront der erste Großeinsatz deutscher Sturmformationen. Im Zuge des massierten britischen Kampfwagenangriffs bei Cambrai konnten die deutschen Kräfte das gesamte verlorengegangene Terrain im Gegenangriff zurückerobern.

1918: Die deutsche Frühjahrsoffensive

Die deutsche Frühjahrsoffensive an der Westfront („Unternehmen Michael, auch Kaiser- oder Michaelsschlacht“, Angriffsbeginn 21. März) sollte die Entscheidung im Kriege zugunsten der Mittelmächte herbeiführen. Dazu wurde im Winter 1917/18 alle beteiligten Infanterie-Großverbände in den neuen Kampf- und Einsatzverfahren geschult. Mehrere Sturmbataillone wurden als Kampftruppen für Schwerpunkt-Angriffe bereitgestellt. Zwar gelang es den deutschen Angriffsarmeen zu Beginn, auf ganzer Breite die britische Verteidigung zu überwinden; dennoch erreichte man nicht das Ziel des strategischen Durchbruchs, um den Zusammenbruch der alliierten Streitkräfte in Europa zu erzwingen. Auch für die folgenden deutschen Angriffe, die lediglich taktische Erfolge brachten, wurden Sturmbataillone in verschiedenen besonderen Unternehmen verwendet. Nach dem Krieg wurde das letzte übrig gebliebene Sturmbataillon Nr. 5 „Rohr“ zur Sicherung des Hauptquartiers der Obersten Heeresleitung in Kassel eingesetzt.

Liste der deutschen Sturmbataillone

Die nach Sturm-Bataillon 5 und 3 neu errichteten Bataillone wurden im Dezember 1916 etatsmäßig eingeführt.

Die Sturm-Bataillone zählten mit Ausnahme von Nr. 5 und Nr. 3 zur Infanterie.

Bataillon      zugehöriger Armeeverband:
 1.              1. Armee
 2.              3. Armee
 3. (Jäger)     Brandenburg. Jäger-Bataillon Nr. 3 am 8. Juli 1916 geschlossen
                umgewandelt zur 7. Armee
 4.              4. Armee
 5. (Pioniere)   5. Armee   Zusatz "(Rohr)" am 7. Februar 1917 verliehen
 6.              6. Armee
 7.              7. Armee
 8.             17. Armee
 9.             im Mai 1918 aufgelöst 
10.             Ost-Front
11.             19. Armee
12.             im Oktober 1918 aufgelöst – 7. Armee
13. Kompanie    im März 1918 in Sturm-Bataillon 12 übernommen – Ost-Front
14.             C. Armee
15. (Bayern)    A. Armee 
16.             B. Armee
17.             im August 1918 aufgelöst – 4. Armee
18. Kompanie    im August 1918 Sturm-Bataillon 18 – 18. Armee

Sturmformationen der deutschen Verbündeten

Die Bedeutung der Sturmbataillone wurde auch bald bei den deutschen Verbündeten erkannt. Zum Jahreswechsel 1916/17 entsendete Österreich-Ungarn 40 Offiziere und 100 Unteroffiziere, die in drei Lehrgängen im Sturmbataillon Nr. 5 „Rohr“ ausgebildet wurden. Die Ausbildung der Mannschaften erfolgte in neu aufgestellten österreichischen Sturmkompanien, die den Sturmbataillonen Nr. 8, 10, 11, 12 und der Sturmkompanie 13 angegliedert wurden. Im Gegensatz zum Deutschen Reich weitete man in der Österreichischen Armee den Ausbau von Sturmbataillonen massiv aus, so dass schließlich die Divisionen und Brigaden über eigene Sturmbataillone oder Sturm-Halbbataillone verfügten. Diese wurden weniger als Lehrtruppe, sondern vermehrt als spezielle Kampftruppen eingesetzt, deren Aufstellung auf die Dauer des Krieges begrenzt war. In der Endphase des Ersten Weltkrieges bildeten diese Truppenteile faktisch die letzten kampfkräftigen Infanterieverbände des österreich-ungarischen Heeres.

Auch in der bulgarischen Armee nahm man die Ausbildung zum Aufbau von Sturmformationen auf. Dazu hatte die deutsche Oberste Heeresleitung im September 1916 ein Lehrkommando von zwei Offizieren, vier Unteroffizieren und 25 Mann nach Bulgarien kommandiert. Nach Anlage eines speziellen Übungsplatzes stellte das Kommando das erste bulgarische Sturmbataillon auf, das über zwei Sturmkompanien, eine Minenwerfer-Abteilung und eine Flammenwerfer-Abteilung verfügte. Darüber hinaus bildete das Kommando in 14-tägigen Lehrgängen bulgarische und türkische Offiziere und Mannschaften der 1. und 2. bulgarischen Armee aus.

Literatur

  • M. H. Clemmesen (Brigadegeneral): German Army Tactical Adaptation during World War I. 2004.
  • Hermann Cron: Die Geschichte des Deutschen Heeres im Weltkriege 1914 - 1918. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1937. Osnabrück 1990.
  • Ian Drury: German Stormtrooper 1914–18. Osprey,1995.
  • Bruce I. Gudmundsson: Stormtroop Tactics. Innovation in the German Army. 1914–1918, Westport 1995.
  • Timothy T. Lupfer: Die Dynamik der Kriegslehre. Der Wandel der taktischen Grundsätze des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg. Militärgeschichtliches Beiheft, Bonn 1988.
  • Ralf Raths: Vom Massensturm zur Stoßtupptaktik. Die deutsche Landkriegtaktik im Spiegel von Dienstvorschriften und Publizistik 1906 bis 1918, Freiburg 2009.
  • Martin Samuels: Command or Control. Command, Training and Tactics in the German and British Armies. 1888–1918, London 1995.
  • Martin Samuels: Doctrine and Dogma. German and British Infantry Tactics in the First World War. London 1992.
  • Graeme Chamley Wynne: If Germany Attacks. 1971.
  • D.S.V. Fosten & R.J. Marrion: The German Army 1914–18. 1986.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hartmut Plaas — (* 11. Oktober 1899 in Arnsberg; † 19. Juli 1944 im KZ Ravensbrück) war in der Weimarer Republik Redakteur verschiedener nationalrevolutionärer Zeitungen und Publikationen im rechtsradikalen Milieu zwischen den völkisch radikalen Freikorps,… …   Deutsch Wikipedia

  • Operation Hubertus — Deutsche Infanteriegruppe an einer Hauswand in Stalingrad Die Operation Hubertus war eine militärische Pionieroperation der deutschen 6. Armee in der Schlacht um Stalingrad. Sie wurde vom 9. bis zum 12. November 1942 durchgeführt, scheiterte… …   Deutsch Wikipedia

  • Unternehmen Albion — Teil von: Erster Weltkrieg (Seekrieg) …   Deutsch Wikipedia

  • Kapp-Putsch in Thüringen — Unter der Bezeichnung Kapp Putsch in Thüringen werden hier Ereignisse zusammengefasst, die sich während und unmittelbar nach dem am 13. März 1920 in Berlin von konservativen und rechtsradikalen Gruppen unternommenen Staatsstreichversuch als… …   Deutsch Wikipedia

  • 2. Marine-Brigade — Marine Brigade Ehrhardt während des Kapp Putsches 1920 in Berlin Am 17. Februar 1919 wurde das Freikorps Marine Brigade Ehrhardt als 2. Marine Brigade in Wilhelmshaven von Korvettenkapitän Ehrhardt aus …   Deutsch Wikipedia

  • 2. Marinebrigade — Marine Brigade Ehrhardt während des Kapp Putsches 1920 in Berlin Am 17. Februar 1919 wurde das Freikorps Marine Brigade Ehrhardt als 2. Marine Brigade in Wilhelmshaven von Korvettenkapitän Ehrhardt aus …   Deutsch Wikipedia

  • 2. Marinebrigade Ehrhardt — Marine Brigade Ehrhardt während des Kapp Putsches 1920 in Berlin Am 17. Februar 1919 wurde das Freikorps Marine Brigade Ehrhardt als 2. Marine Brigade in Wilhelmshaven von Korvettenkapitän Ehrhardt aus …   Deutsch Wikipedia

  • Brigade Ehrhard — Marine Brigade Ehrhardt während des Kapp Putsches 1920 in Berlin Am 17. Februar 1919 wurde das Freikorps Marine Brigade Ehrhardt als 2. Marine Brigade in Wilhelmshaven von Korvettenkapitän Ehrhardt aus …   Deutsch Wikipedia

  • Brigade Ehrhardt — Marine Brigade Ehrhardt während des Kapp Putsches 1920 in Berlin Am 17. Februar 1919 wurde das Freikorps Marine Brigade Ehrhardt als 2. Marine Brigade in Wilhelmshaven von Korvettenkapitän Ehrhardt aus …   Deutsch Wikipedia

  • Dietrich von Jagow — Dietrich Wilhelm Bernhard von Jagow (* 29. Februar 1892 in Frankfurt (Oder); † 26. April 1945 in Meran) war deutscher Gesandter in Ungarn und SA Obergruppenführer. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”