Swing (Rhythmus)

Swing (Rhythmus)

Der Swing (von engl. swing=„das Schwingen“) ist ein fließender, „schwingender“ Rhythmus, der insbesondere im Jazz verbreitet ist. Diese Rhythmik gehört zu den wesentlichsten Elementen der meisten Genre des Jazz.[1] Er findet sich aber fallweise auch in anderen Musikarten, wie zum Beispiel dem zum Country gehörenden Western Swing.

Inhaltsverzeichnis

Ältere Erklärungsansätze

Typisches Muster im Swing-Rhythmus mit Betonung des Backbeats

Mit der Erklärung des Swing-Phänomens hat sich besonders die europäische Jazzforschung beschäftigt.

Sensumotorische Spannung

Der Schweizer Musikwissenschaftler Jan Slawe versuchte bereits 1948, Swing zu erklären als „rhythmische Konfliktbildung“ (Spannung) zwischen der Regelmäßigkeit des Rhythmus und ihrer Durchbrechung, zwischen Fundamentalrhythmus und Melodierhythmus, zwischen sich überlagernden Rhythmen („binäre“ vs. „ternäre Rhythmen“ bzw. Polyrhythmik) und zwischen den Sprachton-Akzenten freier Rezitation und dem (melodisch bestimmten) Rhythmus der Begleitung.[2] „Das Erlebnis des swing ist sensumotorischer Art und deshalb echter, natürlicher und aufrichter als jedes andere Erlebnis intellektueller Art.“ Das entstehende sinnliche „Verhältnis bestimmt den Unterschied in der erlebnismäßigen Auffassung der europäischen und der Jazzmusik.“[3]

Afrikanisches Erbe

Der Musikethnologe Alfons M. Dauer führte in seinen klassischen Untersuchungen 1958 und 1961 den Swing auf dessen Herkunft aus der afrikanischen Musik zurück.[4] Er nennt als zentrales Moment für die Entstehung des Swing das Verhältnis von Beat und Offbeat, also der Betonung von Schlägen zwischen den Schlägen des Grundpulses (auf der Zählzeit „und“), das sind im Notenbeispiel die unbetonten Achtel. Dauer zufolge ist der Beat eine ungegliederte gleichmäßige Folge von Impulsen gleichen Abstands, die entweder akustisch wahrnehmbar sind oder auch nur gefühlt werden. Aus diesem statischen Beat tritt der Offbeat heraus, was eine erlebbare innere Spannung erzeugt, die nach einem „entspannnenden Ausgleich“ verlangt.

Slawe nicht unähnlich nimmt auch Dauer eine Form der rhythmischen Spannung an, die er jedoch auf ein mehrschichtiges, in der afrikanischen Musik wurzelndes Rhythmusgefühl bezieht, in dem bereits der Beat eine belebte Schicht darstellt.[3]

Betonung des Tempos

Joe Viera erweiterte 1970 die bisherigen Erklärungsversuche, indem er den Swing mit Hilfe des Modells von „Beschleunigungsakzenten“ als ein Tempophänomen erklärte:[5] Über einem gleich bleibendem Grundrhythmus bewirken geringfügig verschobene Töne den Eindruck von Beschleunigungen. Die Beschleunigungsakzente liegen dabei nur um ein Geringes (also keineswegs um ein Achtel) vor dem Beat; auf diese Weise kann bereits eine einstimmige Melodielinie „swingen“ (etwa beim Walking Bass). Er wies auch darauf hin, dass die Art des Swingens stark variiert - in Abhängigkeit vom Tempo des Stückes, aber auch individuell von Musiker zu Musiker und zwischen verschiedenen Jazz-Stilen.

Damit überwindet Viera die sowohl bei Slawe als auch bei Dauer bestehenden ahistorischen Erklärungsansätze und berücksichtigt, dass „Swingen“ nicht in allen Perioden der „Geschichte des Jazz“ das Gleiche bedeutet.[3]

Anatomie des Swing

Carlo Bohländer sieht in seiner gleichnamigen Untersuchung von 1986 die Ursache des Swing vor allem in einer Überlagerung des europäischen Taktperiodenbaus mit dem „afrikanischen Multibeatgefühl.“ Dieses Multibeatgefühl entsteht Bohländer zufolge durch die Über- oder Unterlagerung des im Jazz dominierenden Viertelbeat durch Beat-Gruppierungen höherer Ordnung (Achtelbeat, Sechzehntelbeat). Diese unregelmäßige Akzentuierung, die innerhalb dieses mehrschichtigen Systems entstehe, schaffe verbunden mit der symmetrischen Leicht/Schwer-Ordnung des europäischen Taktsystems die Voraussetzung für eine „Swing-Begünstigung“.

So aufschlussreich die (recht komplexe) Analyse auch im Detail ist, so problematisch ist der musikwissenschaftliche Eurozentrismus Bohländers, mit dem es ihm nicht (ähnlich wie Viera) gelingt, auch die feinen, mikrorhythmischen Nuancen zu beleuchten.[3]

Synthese

Ekkehard Jost entwickelt zusammenfassend die folgende Erklärung für den swing:

  • Swing gründet sich auf die Spannungsbildung zwischen mindestens zwei rhythmischen Schichten, die nicht unbedingt gleichzeitig akustisch wahrnehmbar sein müssen, sondern von dem z. B. eine lediglich als gefühlter Fundamentalrhythmus (Beat) vorhanden ist.
  • Die Spannungsbildung beruht auf Offbeat-Akzentuierungen, die einerseits auf der Ebene eines Makro-Offbeats entstehen können (z.B. „vorgezogene Achtel“), andererseits auf der Ebene von Mikro-Offbeats (Eindruck minimaler Tempoveränderungen, des Schwingens).
  • Die Spannungsbildung beruht weiterhin auf polyrhythmischen Überlagungen, wie sie besonders in einer „ternären Achtelphrasierung“ auftreten können.
  • Mikrostrukturelle Nuancen bei der Ausführung der genannten Gestaltungsmittel werden durch Faktoren der Artikulation, Akzentuierung und durch das Tempo beeinflusst. Sie sind außerdem durch die Stilistik einzelner Genres und die Individualität der Interpretatoren beeinflusst: So ist das swing-Feeling im Swing anders als im Bebop; auch swingt John Coltrane anders als Sonny Rollins.[3]
  • Damit gibt es nicht einen einzigen swing, „sondern vielmehr eine im Rahmen der aufgezählten Merkmalskonstellationen unendlich große Zahl möglicher Arten zu swingen.“ Folglich kann auch nicht nur eine einzige der vorher aufgeführten Swing-Theorien richtig sein, und so verwundert auch nicht das Problem von Jazzautoren wie Joachim-Ernst Berendt, dass sich der swing „nicht in Worte fassen“ lasse.[6]

Ähnliche Gestaltungsmittel

Auch in der Neuen Musik, wie beispielsweise bei Igor Strawinski, werden ähnliche Gestaltungselemente verwendet, insbesondere bei einigen Tangos. Das deutlichste historische Vorbild sind die ebenfalls ungleichmäßig zu spielenden „Notes inégales“ in der französischen Barockmusik.

Siehe auch

Literatur

  • Carlo Bohländer Die Anatomie des Swing Frankfurt am Main: Jas 1986, ISBN 3-923396-06-6
  • Ekkehard Jost: Swing. In: Wolf Kampmann (Hrsg.) Reclams Jazzlexikon Stuttgart 2003, ISBN 3-15-010528-5

Weblinks

Einzelanmerkungen

  1. In manchen Jazzbüchern wird Swing, wenn das Wort bezogen auf das rhythmische Geschehen verwendet wird, im Deutschen zur Unterscheidung vom Epochen- und Tanzstil klein geschrieben
  2. Jan Slawe Einführung in die Jazzmusik, Basel 1948
  3. a b c d e Ekkehard Jost Swing, in: Reclams Jazzlexikon
  4. Alfons Dauer Der Jazz Kassel 1958 und Jazz, die magische Musik: Ein Leitfaden durch den Jazz Bremen 1961
  5. Joe Viera Grundlagen der Jazzrhythmik Wien 1970
  6. Joachim E. Berendt Das große Jazzbuch Frankfurt a.M. 1982, S. 206

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Swing (Musik) — Swing bezeichnet eine Stilrichtung des Jazz, die ihre Wurzeln in der Zeit der 1920er bis 1930er Jahre in den USA hat. Dort bildete sich aus vorangegangenen Stilrichtungen, wie dem Dixieland und dem Chicago Jazz eine neue Musikrichtung heraus, die …   Deutsch Wikipedia

  • Swing (Musikrichtung) — Swing bezeichnet eine Stilrichtung des Jazz, die ihre Wurzeln in der Zeit der 1920er bis 1930er Jahre in den USA hat. Dort bildete sich aus vorangegangenen Stilrichtungen, wie dem Dixieland und dem Chicago Jazz eine neue Musikrichtung heraus, die …   Deutsch Wikipedia

  • Swing — bezeichnet Swing (Musikrichtung), Musikrichtung, die in den 1930ern aus der Jazz Tanzmusik entstand Swing (Rhythmus), fließende Rhythmik, die eines der wesentlichsten Elemente des Jazz darstellt Swing (Tanz), Tanzstil, der in den 1930ern in den… …   Deutsch Wikipedia

  • Rhythmus (Musik) — In der Musik bezeichnet der Begriff Rhythmus (griechisch ῥυθμός) allgemein die zeitliche Struktur der Töne und speziell eine Folge von Dauern und Pausen. Betrachtet man Musik als 2D Diagramm mit der Zeit auf der X Achse und der Tonhöhe auf… …   Deutsch Wikipedia

  • Swing (Tanz) — Swing Peter Loggins und Mia Goldsmith tanzen Swing, 2007 Technik: unklas …   Deutsch Wikipedia

  • Swing — Swing: Die Bezeichnung des von etwa 1930 bis 1945 charakteristischen Jazzstils ist aus engl. amerik. swing entlehnt. Es bedeutet wörtlich »das Schwingen, das Schaukeln; der Rhythmus« und gehört zu engl. to swing »schwingen, schaukeln usw.«, das… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Rhythmus — Takt; Metrum; Versmaß * * * Rhyth|mus [ rʏtmʊs], der; , Rhythmen [ rʏtmən]: 1. Gliederung des Zeitmaßes, Ablauf von Bewegungen oder Tönen in einem bestimmten Takt: ein bewegter, schneller Rhythmus; der Tänzer geriet aus dem Rhythmus; auf den… …   Universal-Lexikon

  • Swing — Swịng 〈m. 6〉 1. 〈Mus.〉 1.1 ruhig schwingender Stil im Jazz 1.2 Tanz in diesem Stil 2. 〈Wirtsch.〉 höchste Kreditquote, die sich zwei Staaten bei bilateralen Handelsverträgen gegenseitig einräumen [engl., „Schwingen, Rhythmus“; zu swing… …   Universal-Lexikon

  • Swing — Swịng 〈m.; Gen.: od. s; Pl.: unz.〉 1. 〈Musik〉 ruhig schwingender Stil im Jazz; →a. s. Chicagojazz 2. Tanz in diesem Stil 3. 〈Wirtsch.〉 höchste Grenze des Kredits, die sich zwei Staaten bei bilateralen Handelsverträgen gegenseitig einräumen [Etym …   Lexikalische Deutsches Wörterbuch

  • East Coast Swing — Swingtänzer in einem Juke Joint 1939 Mit Swing wird eine ganze Familie von Tänzen bezeichnet, die ungefähr ab 1930 in den USA bekannt geworden sind. Geschichte Swing ist ein Rhythmus, der sich aus schwarzen Afro Rhyhtms (Yoruba und Bantu, von den …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”