TAM-Linhas-Aéreas-Flug 3054

TAM-Linhas-Aéreas-Flug 3054
TAM-Linhas-Aéreas-Flug 3054
TAM Linhas Aéreas Flight 3054.jpg

Das Seitenleitwerk der TAM-Maschine ragt aus den Trümmern des Gebäudes

Zusammenfassung
Datum 17. Juli 2007
Typ Über das Ende der Landebahn hinausgeschossen
Ort Flughafen São Paulo-Congonhas, São Paulo, Brasilien
Getötete 199[1]
Verletzte 14[1]
Flugzeug
Flugzeugtyp Airbus A320
Fluggesellschaft TAM (JJ)
Kennzeichen PR-MBK[2]
Passagiere 181[3]
Besatzung 6
Überlebende 0

TAM-Linhas-Aéreas-Flug 3054 (JJ 3054) war ein Inlandslinienflug der brasilianischen Fluggesellschaft TAM Linhas Aéreas von Porto Alegre nach São Paulo. Die Maschine verunglückte am 17. Juli 2007 um 18.50 Uhr Ortszeit (23.50 Uhr MESZ)[4] bei der Landung auf dem Flughafen São Paulo-Congonhas.

Inhaltsverzeichnis

Verlauf

Lageplan des Unfallortes

Das Flugzeug startete auf dem Flughafen Porto Alegre um 17.16 Uhr Ortszeit (21.16 Uhr MESZ). Das Unglück ereignete sich bei der Landung auf dem internationalen Flughafen Congonhas-São Paulo um 18.50 Uhr Ortszeit (23.50 Uhr MESZ). Die Maschine befand sich nach dem erfolgreichen Aufsetzen auf die Landebahn beim Abbremsen. Augenzeugenberichten zufolge rutschte die Maschine durch Aquaplaning unkontrolliert über die Landebahn. Gesichert ist, dass das Flugzeug über das Landebahnende hinaus rollte, die etwa 15 Meter tiefer liegende viel befahrene Avenida Washington Luís überquerte und daraufhin ein Luftfrachtgebäude der TAM traf und in Brand geriet.[5] [6]

Am Folgetag des Absturzes bargen Bergungsmannschaften den Flugdatenschreiber der Maschine.[7] Von der Auswertung erhoffen sich die Experten weitere Hinweise zum Unglücksverlauf. Nach Angaben der brasilianischen Abgeordneten Efraim Filho und Marco Maia ergab eine erste Auswertung der Black Box, dass das Flugzeug zum Zeitpunkt des Aufpralls immer noch eine Geschwindigkeit von 175 km/h aufwies[8]. Dies lässt sich auf zwei Gründe zurückführen: Zum Einen gab TAM zu, dass die Schubumkehr eines Triebwerks nicht funktionstüchtig gewesen sei[9], zum Anderen seien die Störklappen, die bremsende Luftverwirbelungen produzieren, nicht ausgefahren gewesen. Dies lag nach vorläufigen Untersuchungen daran, dass der Pilot aufgrund des defekten bzw. deaktivierten Umkehrschubs an Triebwerk 2 (rechts) den rechten Schubhebel nicht wie gefordert auf "idle" (Leerlauf) stellte, sondern ihn nach Deaktivieren des Autopiloten auf "climb" (steigen) stehen ließ, während er den linken Schubhebel auf die Position "reverse" (Umkehrschub) stellte. Aufgrund der Position des rechten Schubhebels verhinderte die Elektronik des Flugzeugs das Ausfahren der Störklappen und das Aktivieren der automatischen Bremse. Damit stand zunächst bis auf den Umkehrschub an Triebwerk 1 keines der automatischen Bremssysteme zur Verfügung, während Triebwerk 2 weiter Schub erzeugte. Zusätzlich zog das Flugzeug durch den asymmetrischen Schub der beiden Triebwerke stark nach links. Die Piloten versuchten ca 11 Sekunden nach dem Aufsetzen mit der manuellen Bremse abzubremsen und die Maschine auf der Landebahn zu halten, dies geschah jedoch zu spät. So verließ die Maschine mit ca 100kt (ca 180km/h) nach schräg links das Ende der Landebahn. Im Gegensatz zu früheren Meldungen war auch nicht versucht worden, durchzustarten; dies ergab die Analyse des Stimmrekorders.[10] Der Unfall eines Airbus A310 der S7 Airlines am 9. Juli 2006 in Irkutsk, bei dem 124 Menschen starben, wurde auf sehr ähnliche Ursachen zurückgeführt[11]

Es handelte sich bei dem Unfall um den 16. Totalverlust eines Airbus A320.

Opfer

Allgemein

Bei dem Unfall kamen insgesamt 199 Menschen ums Leben. Bei den Todesopfern handelt es sich um alle 187 Personen, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks an Bord der Maschine befunden hatten. Dies waren 162 Passagiere, 19 mitreisende Mitarbeiter der Fluglinie und sechs Besatzungsmitglieder. Zwölf weitere Personen kamen am Boden ums Leben.[12] Vierzehn Personen am Boden wurden verletzt. Es handelte sich bei dem Unfall um den bis dato folgenschwersten Flugunfall sowohl in Lateinamerika als auch um den schwersten eines Airbus A320 überhaupt.

Bekannte Opfer

Bei dem Unfall kamen mit Júlio Redecker und Paulo Rogério Amoretty Souza zwei landesweit bekannte Persönlichkeiten ums Leben. Redecker aus Novo Hamburgo (RS) war der Oppositionsführer im brasilianischen Abgeordnetenhaus. Von 1995 bis zu seinem Tod war er für verschiedene Parteien (zuletzt für die PSDB) für die Dauer von insgesamt vier Legislaturperioden Mitglied des Parlaments. Er befand sich auf dem Weg nach Washington zu einem Treffen mit Abgeordneten des Parlaments der USA. Amoretty Souza aus Porto Alegre war von 1998 bis 1999 Präsident des brasilianischen Fußballvereins SC Internacional Porto Alegre sowie bis zu seinem Tod Mitglied des Präsidiums des brasilianischen Tennisbundes (CBT) und Rechtsanwalt des Fußballvereins SC Corinthians Paulista.

Fluggerät

Airbus A320 der TAM

Das betroffene Flugzeug war ein Airbus A320-233 mit der Kennung PR-MBK und der Seriennummer 789. Es wurde von zwei International-Aero-V2527E-A5-Motoren angetrieben. Die Maschine wurde im Februar 1998 fertiggestellt und im März 1998 von TACA in Dienst gestellt. Ab November 2003 flog sie für Pacific Airlines. Vor dem Unfall gehörte sie Pegasus Aviation und war seit Dezember 2006 im Dienst der TAM. Zum Zeitpunkt des Unglücks hatte das Flugzeug ca 26.320 Flugstunden und mehr als 9.300 Flüge absolviert.[2] Der letzte A-Check erfolgte am 13. Juli 2007. Eine Überprüfung der Flugzeugstruktur erfolgte am 20. November 2006. Inzwischen wurde bestätigt, dass bereits Tage vor dem Unglück Probleme mit der Schubumkehr auftraten, weshalb diese für das rechte Triebwerk deaktiviert wurde. Laut Angaben von TAM ist diese Vorgangsweise nach den Richtlinien des Herstellers zulässig.[13]

Besatzung

Feuerwehrleute transportieren die Leichen der Opfer vom Unfallort

Der Captain Henrique Stephanini di Sacco (geboren am 29. Oktober 1954) aus São Paulo (Bundesstaat: São Paulo) besaß 14.486 Stunden Flugerfahrung und war seit November 2006 bei TAM beschäftigt. Im Vorfeld war er Pilot bei Transbrasil Linhas Aéreas. Sein Co-Pilot Kleyber Lima (geboren am 22. März 1953) aus Porto Velho (Bundesstaat: Rondônia) besaß 13.654,4 Stunden Flugerfahrung innerhalb der TAM (Gesamterfahrung: 14.744,1 Stunden) und war seit November 1987 bei TAM beschäftigt.

Sicherheitsbedenken am Flughafen São Paulo-Congonhas

Der Unfallort ist auf der anderen Seite der Avenida Washington Luís. Der rot-weiß-lackierte Turm des Approach Lighting System ist auf der rechten Seite erkennbar.

Das Vertrauen in die Flugsicherheit in Brasilien im Allgemeinen ist seit September 2006 erschüttert, als Gol-Transportes-Aéreos-Flug 1907 mit einer Embraer Legacy 600 über dem Regenwald des Amazonas zusammenstieß. Auf Sicherheitsprobleme in Congonhas wurde vor dem TAM-Unglück bereits mehrfach hingewiesen. Einerseits sind die beiden Landebahnen mit 1.940 m (Hauptbahn) bzw. 1.435 m (Nebenbahn) relativ kurz, andererseits gibt es speziell in nord-westlicher Richtung (in der die TAM-Maschine aufsetzte) am Ende der Landebahnen so gut wie keine Auslaufzone. In dieser Richtung enden beide Bahnen direkt vor einem etwa 15 Meter hohen Abhang mit ca. 30° Gefälle, auf den eine achtspurige und eine sechspurige Hauptverkehrsstraße folgt, die mit Gebäuden gesäumt sind. Auch bekannt war, dass in Congonhas bei Regen Aquaplaning-Probleme durch angesammeltes Regenwasser auf den Landebahnen bestanden.

Im Februar 2007 entschied der Richter eines brasilianischen Bundesgerichtes, dass die Flugzeugtypen Fokker 100, Boeing 737-800 und Boeing 737-700 den Flughafen nicht mehr benutzen dürfen. Der Airbus A320 war nicht unter den verbannten Fluggeräten, trotz der Tatsache, dass er schwerer als sowohl Fokker 100 als auch Boeing 737-700 ist. Piloten hatten beklagt, dass stehendes Wasser auf der Landebahn die Bremsfähigkeiten einschränke und für die Flugzeuge Aquaplaning-Gefahr bestand; unter anderem rutschte 2006 eine Boeing 737 der brasilianischen Fluggesellschaft BRA über das Landebahnende hinaus, kam jedoch noch knapp vor dem Abhang zum stehen. Der Richter hatte entschieden, dass die Landebahn um 388 Meter (1275 ft) länger sein müsse, um von den genannten Flugzeugtypen sicher benutzt werden zu können. Zum damaligen Zeitpunkt hatte sich die Fluggesellschaft TAM gegen die Entscheidung des Gerichtes gewandt. [14] Die Flughafenverwaltung legte Einspruch gegen die Gerichtsentscheidung ein, die dann am Tag darauf aufgehoben wurde. Ein Berufungsgericht begründete die Maßnahme damit, dass die wirtschaftlichen Folgen zu schwerwiegend seien und die Sicherheitsbefürchtungen eine solch drastische Maßnahme nicht rechtfertigten. „Die Landebahn war wegen des öffentlichen Drucks wiedereröffnet worden“, warf der Luftfahrtconsultant Gianfranco Beting in einem Fernsehinterview vor. „Das war eine Katastrophe auf Abruf.“ [15]

Teile des Hauptfahrwerks werden geborgen

Infraero, die staatliche Betreibergesellschaft der meisten Flughäfen Brasiliens, hat seitdem einige Maßnahmen ergriffen, um das Risiko einer Überflutung der Landebahn zu verringern, aber diese Arbeiten waren Berichten zufolge noch nicht abgeschlossen. Die Hauptlandebahn war zuvor für mehrere Wochen geschlossen gewesen, um das Problem mit stehendem Wasser zu beseitigen.[16] Am 16. Juli 2007, einen Tag vor dem fatalen Zwischenfall, hatten zwei andere Flugzeuge Probleme mit Aquaplaning, bei denen es jedoch keine Verletzten gab.[17] Eine dieser Maschinen, eine ATR 42 der Pantanal Linhas Aéreas schlitterte dabei bei ähnlichen Wetterbedingungen von der Landebahn auf das Gras.

Folgen des Unfalls

Auf Grund des grundsätzlichen Sicherheitsrisikos des Flughafens wird dessen endgültige Schließung laut Präsident Lula nicht mehr ausgeschlossen[18]. Des Weiteren wurde der Chef der brasilianischen Flughafenbehörde Infraero, Carlos Pereira, entlassen, da Infraero die Landebahn trotz der fehlenden Rillen zur Entwässerung freigegeben habe[19].

Weblinks

 Commons: TAM Airlines Flight 3054 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b „CPI quer dados da caixa-preta do Airbus que caiu em Congonhas“. Estado de Sao Paulo (26. Juli 2007). Abgerufen am 3. Februar 2011.
  2. a b Aviationsafety.net: Unfallbeschreibung (17. Juli 2007)
  3. TAM, 20. Juli 2007
  4. DPA, 18. Juli 2007: "Flugzeug rutscht in Brasilien in Tankstelle und Gebäude - Tote"
  5. AFP, 18. Juli 2007: "Flughafenbehörde: Unglückspiste in São Paulo hatte Mängel - Schon am Montag rutschte Passagierflugzeug von der Bahn"
  6. uol.com.br, diverse Meldungen (portugiesisch)
  7. AFP, 18. Juli 2007: "Black Box nach Flugzeugunglück in Brasilien gefunden"
  8. http://oglobo.globo.com/sp/mat/2007/07/24/296956971.asp (portugiesisch)
  9. Der Spiegel: * „Airbus hob mit defekter Turbine ab“ (20. Juli 2007)
  10. Netzeitung: „Defekte Spoiler verursachten Flugzeugcrash“ (2. August 2007)
  11. http://aviation-safety.net/news/news.php?field=datumcode&var=200611%25
  12. Liste der Todesopfer http://www.taminforma.com.br/noticia.aspx?id=1878
  13. http://www.taminforma.com.br/noticia.aspx?id=1482 (portugiesisch)
  14. „Jets banned from Sao Paulo runway“. BBC News (6. Februar 2007). Abgerufen am 18. Juli 2007.
  15. „Up to 200 feared dead in Brazil crash“. Reuters (17. Juli 2007). Abgerufen am 3. Februar 2011.
  16. „Plane crashes at Sao Paulo airport“
  17. „Plane carrying 176 people crashes in São Paulo“ (18. Juli 2007). Abgerufen am 18. Juli 2007.
  18. „Lula decreta luto oficial e não descarta fechar Congonhas“. ig (18. August 2007). Abgerufen am 18. Juli 2007.
  19. Der Spiegel: „Chef der brasilianischen Flughafenbehörde gefeuert“ (4. August 2007)
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