- Tauroktonie
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Die Tauroktonie ist die Darstellung von Mithras, der einen Stier tötet. Als gemaltes Bild, plastisches Relief oder Skulptur ausgeführt, findet sich die Tauroktonie im Mittelpunkt jedes Mithräums (Mithrastempels). Die Tauroktonie gilt daher als das wichtigste Motiv in der mithräischen Ikonografie[1].
Die Darstellung folgte streng festgelegten kompositorischen Regeln und blieb im Laufe der Jahrhunderte nahezu unverändert. Sie wurde ursprünglich ca. 200 v. Chr. in der Bildhauerschule von Pergamon entwickelt.
Inhaltsverzeichnis
Darstellung
Mithras wird als Jüngling dargestellt und ist mit einer römischen Tunika und einer phrygischen Mütze bekleidet. Er kniet in der Stiertötungsszene mit dem linken Bein auf dem Rücken des Stiers. Mit dem anderen Bein stemmt er sich ab, mit der linken Hand reißt er den Kopf des Stieres nach hinten und mit der rechten Hand tötet er das Tier durch einen Dolchstoß in die Schulter. Dabei wendet Mithras sein Gesicht vom Stier ab [2]. Der Umhang von Mithras ist häufig aufgebauscht, so dass man die Innenseite erkennt, die wie ein Sternenhimmel dekoriert ist.
Außer Mithras und dem Stier sind auf der Tauroktonie eine Reihe anderer Gestalten abgebildet: eine Schlange, ein Hund, ein Rabe, ein Skorpion, sowie manchmal ein Löwe und ein Kelch. Die Schlange und der Hund trinken aus der Wunde des Stieres, aus welcher Blut, in manchen Darstellungen auch Getreide, rinnt. Der Skorpion greift die Hoden des Stieres an.
Ebenfalls werden in der Stiertötungsszene fast immer zwei Fackelträger namens Cautes und Cautopates bzw. Cautepates dargestellt, wobei ersterer die Fackel nach oben und letzterer die Fackel nach unten hält. Die Fackelträger sind wie Mithras gekleidet und haben ihre Beine gekreuzt.
Über Mithras stehen die Symbole für Sol (Sonne) und Luna (Mond) am Sternenhimmel.
Deutungen
Traditionelle Deutung (Cumont)
Nach der mithräischen Mythologie verfolgte Mithras einen Stier, den er einfing und auf seinen Schultern in eine Höhle trug, wo er ihn zur Erneuerung der Welt opferte. Aus dem Blut und Samen des Stiers regenerierten sich die Erde und alles Leben.
Der belgische Mithrasforscher Franz Cumont (siehe Literatur) sah den Mithraismus als Weiterentwicklung eines persischen Kultes und deutete die Tierfiguren in seinen Publikationen von 1896 und 1899 als Gestalten der altiranischen Mythologie.
Cautes und Cautopates symbolisieren nach der traditionellen Deutung den Sonnenauf- und untergang.
Geisteswissenschaftliche Deutung
Nach geisteswissenschaftlicher Deutung[3] symbolisiert der Stier in der Tauroktonie die tierische Natur, auf welcher der Mensch als höheres Wesen reitet. Die um den Menschen angeordneten Sterne stehen für den Kosmos bzw. den geistigen Zusammenhang, in welchem der Mensch steht. Tiere wie Skorpion und Schlange, die den Stier beißen, versinnbildlichen die Triebimpulse, die nur durch die höhere Natur des Menschen bezähmt werden können. Insofern sei der Dolchstoß des Mithras mit dem Drachenkampf des Michael vergleichbar, der die den Menschen herabziehende Schlange zermalmt, damit das wirkliche Menschsein gedeihen kann.
Astronomische Deutung (Ulansey)
Der US-amerikanische Mithrasforscher David Ulansey, dem sich die Mehrzahl der heutigen Religionshistoriker anschließen, deutet die Tauroktonie astronomisch. Die Tiergestalten stellen nach dieser Deutung Sternbilder dar. Dabei entspricht der Stier dem Sternbild Stier, die Schlange dem Sternbild Wasserschlange, der Hund dem Sternbild Kleiner Hund, der Rabe dem Sternbild Rabe und der Skorpion dem Sternbild Skorpion. Der Löwe entspricht dem Sternbild Löwe und der Kelch entweder dem Sternbild Becher oder Wassermann.
Am Nachthimmel zeigen die Plejaden im Sternbild Stier die Stelle an, an der der Dolch von Mithras in die Schulter des Tieres eindringt. Mithras selbst könnte mit dem Sternbild Perseus gleichgesetzt werden, da sich dieses direkt oberhalb des Sternbilds des Stiers befindet.
Cautes und Cautopates symbolisieren die Tag-Und-Nacht-Gleichen: Cautes mit der erhobenen Fackel stellt die Frühlings-Tag-Und-Nacht-Gleiche dar, Cautopates mit der gesenkten Fackel die Herbst-Tag-Und-Nacht-Gleiche. Ihre gekreuzte Beinhaltung symbolisiert den Schnittpunkt des Himmelsäquators mit der Ekliptik am Frühlings- und Herbstpunkt.
Die gesamte Stiertötungsszene entspricht nach Ulansey der mit dem Himmelsäquator verbundene astronomische Konstellation, als der Frühlingspunkt im Sternbild Stier stand. Die Tötung des Stieres symbolisiert dabei das Ende dieses Zeitalters und lässt Mithras als einen Gott erscheinen, dessen Macht die der Gestirne noch übertrifft, da er sie mittels der Präzession unter Kontrolle hat.
Anmerkungen
- ↑ weitere häufige Motive sind die Felsgeburt Mithras' oder Mitras zusammen mit Sol
- ↑ ähnlich wie Perseus beim Töten der Medusa
- ↑ Hierfür wird noch eine Quelle benötigt - woher stammt diese Deutung?
Literatur
- FranzCumont: Les mystères de Mithra, Bruxelles :H. Lamertin 1913.
- Franz Cumont: Les religions orientales dans le paganisme romain, 1929.
- David Ulansey: Die Ursprünge des Mithraskults. Kosmologie und Erlösung in der Antike. Stuttgart 1998. ISBN 3-8062-1310-0
Siehe auch
- Taurobolium, das rituelle Opfern eines Stieres
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