- Tonhöhengedächtnis
-
Als absolutes Gehör oder Tonhöhengedächtnis bezeichnet man die meist angeborene, aber auch erlernbare Fähigkeit eines Menschen, die Höhe eines beliebigen gehörten Tons zu bestimmen, d.h., ihn innerhalb eines Tonsystems exakt einzuordnen. Welche neuronalen Zusammenhänge für das absolute Gehör verantwortlich sind und welche Funktionen im Gehirn und Hörnerv dazu benötigt werden, ist weitgehend ungeklärt.
Inhaltsverzeichnis
Ursprung
Medizinische Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass fast allen Menschen die Fähigkeit, ein absolutes Gehör zu entwickeln, angeboren ist. Die meisten verlieren diese aber im Laufe ihres Lebens, weil sie nicht benutzt wird. Viele Komponisten und Musiker besitzen das absolute Gehör. Es wird angenommen, dass sie das absolute Gehör durch frühkindlichen Kontakt mit Musik im Elternhaus erlangt haben. Ein Kind, dem eine bestimmte Melodie stets in der gleichen Tonart zu Gehör gebracht wird, kann eher ein absolutes Gehör entwickeln, als wenn ihm eine Melodie immer wieder in einer anderen Tonart zu Gehör gebracht wird. Aus dem gleichen Grund kann die frühzeitige und intensive Beschäftigung mit Musikinstrumenten mit fester Tonhöhe die Entwicklung eines absoluten Gehörs fördern: Kinder, die im Alter von drei Jahren bereits ein Instrument spielen gelernt haben, hören sehr viel häufiger absolut.
Verbreitung
Das absolute Gehör ist nur etwa bei jedem zehntausendsten Erwachsenen vorhanden. Bei Berufsmusikern tritt es allerdings bei jedem zehnten auf. Noch häufiger ist die Fähigkeit des absoluten Hörens bei Personen zu finden, die von Geburt an blind sind: Jede zweite von ihnen verfügt über diese Fähigkeit [1].
Die Musikpsychologin Diana Deutsch konnte zeigen, dass die Sprecher von Tonsprachen sehr viel häufiger ein absolutes Gehör besitzen. In diesen Sprachen ändert sich die Bedeutung einer Silbe mit ihrer Tonhöhe.
Bedeutung
Die weit verbreitete Meinung, ein absolutes Gehör sei für eine erfolgreiche Musikerkarriere erforderlich, ist ein Vorurteil. Im Gegenteil ist es oft der Fall, dass Musiker mit dieser Fähigkeit bei transponierten Musikstücken oder der Verwendung verschiedener Stimmungen Schwierigkeiten haben: Die geschriebenen Noten entsprechen nicht den erfahrungsgemäßen Tonhöhen und müssen demzufolge ständig „umgerechnet“ werden.
Das absolute Gehör bei Menschen ohne professionelle musikalische Ausbildung äußert sich zum Beispiel derart, dass sie wahrnehmen, wenn ein Musikstück in einer anderen Tonart vorgetragen wird als in der originalen. Umgekehrt singen sie von sich aus ein bekanntes Stück immer in der Originaltonart.
Varianten
Es wird unterschieden zwischen dem passiven (die Höhe gehörter Töne kann exakt angegeben werden) und dem aktiven absoluten Gehör (gewünschte Töne können aus dem Stegreif angesungen werden), wobei das aktive absolute Gehör das passive beinhaltet. Das aktive absolute Gehör setzt zusätzlich eine ausgeprägte musikalische Vorstellungskraft voraus.
Die Gabe zur Ton-Farb-Synästhesie ist im Grunde keine absolute Gehörfähigkeit. Sie kann aber dem passiven Absoluthören entsprechen.
„Relatives Gehör“
Die meisten Menschen können Tonhöhen nur relativ unterscheiden, das heißt ihnen vorgespielte Töne nach Tonhöhe ordnen, jedoch nicht die absolute Tonhöhe erkennen. Sie können also die Intervallfolgen eines Liedes korrekt singen, die Wahl der Tonart findet aber mehr oder weniger zufällig statt. Relativhörer können im Rahmen der Gehörbildung lernen, durch Memorieren eines gegebenen Referenztones (z. B. von einer Stimmgabel) wie ein Absoluthörer Töne zu bestimmen und anzugeben. Der Unterschied zu einem erlernten absoluten Gehör ist insofern graduell; man könnte sagen, dass beides nur andere Hörgewohnheiten sind: Das absolute Gehör hört tiefer in die erklingenden Töne, die immer dieselbe Farbe haben.
Trivia
- Viele Menschen mit dem Williams-Beuren-Syndrom verfügen über ein absolutes Gehör.
- Der blinde Joybubbles (1949–2007) konnte dank seines absoluten Gehörs den 2600-Hz-Ton des Steuersignals zur Gesprächsweitervermittlung bei Telefonen mit Mehrfrequenzwahlverfahren pfeifen.
Einzelnachweise
- ↑ Oliver Sacks on Earworms, Stevie Wonder and the View From Mescaline Mountain in WIRED MAGAZINE - ISSUE 15.10
Literatur
- Eva-Marie Heyde: Was ist absolutes Hören? - eine musikpsychologische Untersuchung. München 1987, ISBN 3-89019-172-X
- Diemut A. Köhler: Gehörbildung für Absoluthörer - musikpsychologische Grundlagen und Lehrkonzept. Frankfurt/M 2001, ISBN 3-631-37638-3
- Oliver Sacks: Musicophilia: Tales of Music and the Brain. Knopf 2007
- Albert Wellek: Das absolute Gehör und seine Typen. Bern 1970
Weblinks
Wikimedia Foundation.