Musikpsychologie

Musikpsychologie

Musikpsychologie gilt als Teilgebiet der Systematischen Musikwissenschaft und ist die Erforschung universeller Gesetzmäßigkeiten beim Musizieren und Musik hören mit den Methoden der Psychologie.

Die grundlegenden Fragestellungen beschäftigen sich mit der Wahrnehmung von Musik, der Bildung von Musikpräferenzen, der Möglichkeit von Musikverstehen sowie der Musikproduktion als Komposition, Interpretation und Improvisation. Eine allgemein verbindliche, systematische Unterteilung der Musikpsychologie in Teildisziplinen konnte sich bislang nicht durchsetzen.

In Deutschland werden die wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet durch die Deutsche Gesellschaft für Musikpsychologie repräsentiert. Sie besteht seit 1983 und ist die größte nationale Gesellschaft auf diesem Gebiet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Von Anbeginn der Menschheitsentwicklung dienen Musik und Tanz auch dem elementaren Ausdruck, der psychischen Entlastung und dem Hervorrufen bestimmter Emotionen. Schon in der Antike haben Philosophen und Wissenschaftler über die Wirkung von Musik nachgedacht – der antike Arzt Herophilos von Chalkedon beispielsweise stellte Messungen über den Zusammenhang von menschlichem Puls und Musik an. In der griechischen Musiktheorie wurden den verschiedenen Tonarten bestimmte Emotionen zugeschrieben, was die Art zu komponieren bestimmte. In der Renaissance und später im Barock bestand die Auffassung weiter, dass Musik eine Wirkung auf den Hörer habe, was in einer stark ausdifferenzierten Figurenlehre mündete.

Im 19. Jahrhundert wurden die Grundsteine für das gelegt, was heute unter Musikpsychologie verstanden wird. Einhergehend mit der Veränderung des Faches Psychologie, zum Beispiel durch die Eröffnung des Psychologischen Labors von Wilhelm Wundt in Leipzig, bildete sich eine Tonpsychologie heraus, die Carl Stumpf in seinem gleichnamigen Werk von 1883 darlegte. In diesem Buch legte Stumpf den Grundstein der Konsonanzforschung, indem er die musikalische Wahrnehmung nicht mehr in Perzeption und Apperzeption unterteilte, sondern von einer Verschmelzung der Tonwahrnehmung ausging. Stumpfs Schüler wie Max Wertheimer, Kurt Koffka und Wolfgang Köhler untersuchten im Rahmen der von ihnen begründeten Gestaltpsychologie die Wahrnehmung von Musik. Die Fachdisziplin Musikpsychologie kam jedoch erst mit der gleichnamigen Arbeit von Ernst Kurth aus dem Jahr 1931 zu ihrem Namen.

Inzwischen ist die Gestaltpsychologie und die Phänomenologie weitgehend aus dem Fach Musikpsychologie verschwunden. In den letzten Jahrzehnten verlagerte sich der Forschungs- und Theorieschwerpunkt auf die Kognitionspsychologie, bei der insbesondere die Verarbeitungsprozesse im Gehirn untersucht werden.

Musikwahrnehmung

Ein Grundlagengebiet der Musikpsychologie beschäftigt sich mit den Grenzen des Gehörs und der Wahrnehmung von Tonereignissen. So wird in der Psychoakustik beispielsweise untersucht, unter welchen Umständen zwei nacheinander erklingende Töne als zusammenklingend wahrgenommen werden und ab welchem Tempo ein Rhythmus wahrgenommen wird und ab welchem nicht mehr (siehe Universalien der Musikwahrnehmung).

Auch Phänomene wie das der virtuellen Tonhöhe oder die Synästhesie werden untersucht.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Zusammenhang zwischen Musik und Emotion. Auch Aspekte wie das Erkennen von Musik, sowie das Beurteilen, Erinnern und Speichern werden, häufig mit neuropsychologischen Methoden erkundet.

Tests zur musikalischen Begabung

Im Rahmen der musikalischen Begabungsforschung wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich fundierte Tests zur Musikalität entwickelt.[1][2] Ein relativ bekanntes Beispiel ist der Test „Musical Aptitude Profile“ von Edwin E. Gordon aus dem Jahr 1965. Der relativ aufwendige Test ist in die folgenden drei Bereiche unterteilt: Tonales Vorstellungsvermögen (Melodie und Harmonie), das Rhythmische Vorstellungsvermögen (Tempo und Metrum) und letztlich die Musikalische Urteilsfähigkeit (Phrasierung, Balance, Stil.)

Ein weiterer bekannter Test für die „Musikalische Begabung bei Kindern und ihre Meßbarkeit“ (Buch und Schallplatte) wurde von Arnold Bentley 1966 veröffentlicht.[3] Bentleys Musikalitätstest ist ein Gruppentest, der von Lehrern in der praktischen Schularbeit mit sieben- bis vierzehnjährigen Kindern eingesetzt werden soll. Komponenten wie Unterscheidungsfähigkeit für Tonhöhe, des Ton- und Rhythmusgedächtnisses sowie die Fähigkeit, Akkorde zu analysieren bzw. zu bestimmen, sollen mit diesem Test von Bentley bestimmt werden können.

Ein relativ aktueller Test zur Messung der Musikalität (bei Kindern) ist der „Wiener Test für Musikalität“ aus dem Jahr 2004 von Vanecek/Preusche/Längle. Es handelt sich hierbei nach Angaben der Herausgeber um den weltweit ersten computerbasierten Musikbegabungstest für Kinder im Vor- und Volksschulalter. Er gliedert sich in zwei Bereiche: Den sogenannten „Längle Test“ zur Messung der Tonhöhenunterscheidung und den „Wiener Walzer Test“ zur Messung des Erkennens von Rhythmusverschiebungen innerhalb eines Taktes.[4]

Einzelnachweise

  1. Lüken, Miriam: Geschichte und Stand der musikalischen Begabungsforschung.
  2. Renner, Clemens: Wer ist musikalisch?.
  3. Bentley, Arnold (Übertr. u. für d. Anwendung im deutschsprachigen Raum eingerichtet von Richard Jakoby): Musikalische Begabung bei Kindern und ihre Meßbarkeit, 2. Auflage. - Frankfurt/M. [u.a.] : Diesterweg. - 1973. - 110 S.; (ger / dt.)(Schriftenreihe zur Musikpädagogik) ISBN 3-425-03741-2.
  4. Wiener Test für Musikalität im Hogrefe-Verlag.

Literatur

  • Gerhard Alberheim (1974): Zur Musikpsychologie. Wilhelmshaven.
  • Hellmuth Benesch und Hermann Frhr. von Saalfeld (1996): dtv-Atlas zur Psychologie, Band 1 und 2, Deutscher Taschenbuchverlag, München, 5. Auflage.
  • Herbert Bruhn, Rolf Oerter, Helmut Rösing (Hg.) (1993): Musik-Psychologie - Ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt (4 Auflagen bis 2002). ISBN 3-499-55526-3.
  • Herbert Bruhn, Reinhard Kopiez, Andreas C. Lehmann (Hg.) (2008): Musik-Psychologie - Das neue Handbuch. Reinbek: Rowohlt, ISBN 978-3-499-55661-6.
  • Markus Büchler (2000): Musik und ihre Psychologien. Eschborn: Klotz (2. unveränd. Auflage), ISBN 3-88074-180-8.
  • Diana Deutsch (1982): The Psychology of Music. New York: Academic Press, ISBN 0-12-213565-2.
  • Hanslick, Eduard (1894): Vom Musikalisch Schönen. Leipzig: Breitkopf & Härtel, ISBN 3-534-03609-3.
  • Jan Hemming (2002): Begabung und Selbstkonzept: Eine qualitative Studie unter semiprofessionellen Musikern in Rock und Pop, LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster.
  • Karl Hörmann (2009): " Musik in der Heilkunde. Künstlerische Musiktherapie als Angewandte Musikpsychologie". Lengerich: Pabst, ISBN 978-3-899-67157-5.
  • L. Jäncke (2008): Macht Musik schlau? Neue Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der kognitiven Psychologie. Bern: Huber, ISBN 978-3-456-84575-3.
  • Robert Jourdain (2001): Das wohltemperierte Gehirn: Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt , Heidelberg: Spektrum Verlag, ISBN 3-8274-1122-X.
  • Helga de la Motte-Haber (1996): Handbuch der Musikpsychologie. Laaber-Verlag (1. Auflage 1985), ISBN 978-3-89007-329-3.
  • Helga de la Motte-Haber & Günther Rötter (Hg.) (2004): Musikpsychologie. Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft, Band 3, Laaber-Verlag, ISBN 978-3-89007-564-8.
  • Helga de la Motte-Haber (1984): Musikpsychologie. Eine Einführung. Musik-Taschenbücher, Bd. 14., 3. Auflage, Laaber-Verlag, ISBN 978-3-89007-010-0.
  • Rolf Oerter, Thomas Stoffer (Hg.) (2005): Spezielle Musikpsychologie. Göttingen: Hogrefe, ISBN 3-8017-0581-1.
  • Steven Schwartz (1988): Wie Pawlow auf den Hund kam.... Die 15 klassischen Experimente der Psychologie, Weinheim/Basel: Beltz.
  • Thomas Stoffer & Rolf Oerter (Hg.) (2005): Allgemeine Musikpsychologie. Göttingen: Hogrefe, ISBN 3-8017-0580-3.

Siehe auch

Weblinks

  • [1] Deutsche Gesellschaft für Musikpsychologie e.V.
  • [2] Österreichische Gesellschaft für Musik und Medizin (Musikermedizin, Musikphysiologie, Musikpsychologie)
  • [3] Edwin E. Gordon Archive

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