Barnabasevangelium

Barnabasevangelium

Das Barnabasevangelium ist ein apokryphes Evangelium, das Barnabas, einem Jünger aus dem engeren Kreise Jesu zugeschrieben wird. Die Überlieferungsgeschichte des Textes ist umstritten. Besondere Bedeutung erhält der Text dadurch, dass er in zentralen Aussagen stark von der Glaubenstradition fast aller christlichen Konfessionen abweicht und eine Brücke zu islamischem Gedankengut aufbaut.

Von islamischen Gelehrten wird das Barnabasevangelium gerne als Kronzeuge für die Verfälschung der Lehre Jesu herangezogen. Christliche Theologen, säkulare Historiker, aber auch einige islamische Gelehrte sehen im vorliegenden Text dagegen eine Fälschung aus dem 14. bis 16. Jahrhundert (Pseudepigraph).

Das Barnabasevangelium ist nicht zu verwechseln mit dem Barnabasbrief aus dem 1. Jahrhundert oder mit den Barnabasakten der neutestamentlichen Apokryphen.

Inhaltsverzeichnis

Text

Das Barnabasevangelium versteht sich selbst als „wahres Evangelium Jesu, genannt Christus, eines neuen Propheten, der von Gott der Welt gesandt, gemäß dem Bericht des Barnabas, seines Apostels“ und gilt den Verteidigern seiner Echtheit als das einzige bekannte Evangelium, dessen Verfasser wirklich Zeuge der Ereignisse um Jesus war. Die Geschichte des Textes lässt sich jedoch nur bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Der älteste vollständig erhaltene Text ist ein italienisches Manuskript aus dem 18. Jahrhundert, das heute in der Österreichischen Nationalbibliothek einzusehen ist. Von zwei älteren spanischen Manuskripten ist nur noch eines fragmentarisch erhalten und wird in Sydney aufbewahrt. Griechische, lateinische oder aramäische Handschriften wurden niemals entdeckt. Die Behauptung, dass eine Handschrift aus dem 1. Jahrhundert in der Türkei aufgefunden worden sei, ist nicht überprüfbar. Sie kann sich auf keinen archäologisch gesicherten Befund, sondern lediglich auf eine Notiz in der türkischen Zeitung Türkiye vom 25. Juli 1986 stützen, demzufolge eine aramäische Handschrift des Barnabas-Evangeliums auf dem Berg Mem in Uludere (Südostanatolien) entdeckt wurde. Das Manuskript soll sich demnach im Besitz der türkischen Regierung befinden, ist jedoch unveröffentlicht. Außer dem Pressebericht existieren keine weiteren nachprüfbaren Informationen dazu.

Die von den Verfechtern der Echtheit postulierte frühe Textgeschichte beruht auf einigen Spekulationen. Das Evangelium sei in der frühen Kirche weit verbreitet gewesen und beispielsweise durch Irenäus rezipiert worden, habe zwischenzeitlich sogar dem Kanon der alexandrinischen Kirche angehört, bis es im Jahr 325 durch das Konzil von Nicäa verboten worden sei. Der Papst habe jedoch ein Exemplar in seiner Privatbibliothek gerettet, wo es aufbewahrt wurde bis es am Ende des 16. Jahrhunderts ein Freund Papst Sixtus' V. aus der Bibliothek entwendete. Nach einer weiteren Legende aus dem 16. Jahrhundert stamme ein Manuskript von Barnabas selbst. Es sei im Jahr 478 mitsamt den sterblichen Überresten des Barnabas auf Zypern entdeckt worden. Der Autor beruft sich dabei auf eine – in ihrer Historizität umstrittene – zypriotische Legende des 5. Jahrhunderts, in der allerdings von einem Evangelium berichtet wird, das von Barnabas abgeschrieben wurde.

Für eine frühchristliche Existenz des heute bekannten Barnabasevangeliums gibt es keinen Beweis. Das Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis (496 n. Chr.) nennt zwar im Rahmen eines Verzeichnisses apokrypher Schriften ein „Barnabasevangelium“ („Evangelium nomine Barnabae“) unter den kirchlich nicht angenommenen Büchern. Die Schrift ist jedoch sonst unbekannt und kann daher nicht mit dem heute bekannten Werk identifiziert werden.

Inhalt

Die Theologie des Barnabasevangeliums weicht in drei fundamentalen Punkten von der Auffassung fast aller christlichen Kirchen und der kanonischen neutestamentlichen Schriften ab:

  • Trinität, Gottessohnschaft Jesu
  • Erlösertod am Kreuz
  • Auferstehung

Das Evangelium schildert die Lebensgeschichte Jesu und seiner Jünger von der Ankündigung der Geburt Jesu bis zu seinem Tod. Der Text vereinigt dabei jüdische, christliche und muslimische Elemente. Wie die anderen Evangelien auch, erzählt es von Jesu Wundern, seinen Gleichnissen, von letztem Abendmahl, Verrat, Prozess und Kreuzigung. Im Gegensatz zur christlichen Tradition stirbt allerdings nicht Jesus, sondern – aufgrund einer Verwechslung – Judas Ischariot am Kreuz. Folglich kann es auch keine Auferstehung Jesu gegeben haben. Damit erweitert das Barnabasevangelium eine Aussage des Koran, der in seiner einzigen Erwähnung der Kreuzigung davon ausgeht, dass nicht Jesus gekreuzigt wurde, ohne das wahre Geschehen näher zu erläutern oder sich auf eine andere Person festzulegen (Sure 4, 157–158). Im gesamten Text des Evangeliums findet sich dezidiert islamisches Gedankengut. So enthält es die in frühchristlicher Zeit noch unbekannte Schahada (das islamische Glaubensbekenntnis), nennt Adam, Abraham, Ismael, Moses, David und Jesus unterschiedslos Gesandte Gottes oder lässt die Verheißung Jesu Geburt an Ismael ergehen, der auch anstelle von Isaak durch Abraham geopfert werden sollte. Damit bestreitet der Text die exklusive Stellung Jesu Christi im Christentum.

Aus der Rezeption islamischen Gedankengutes schließt die nichtislamische Redaktionskritik, dass die vorliegende Textgestalt nicht vor dem 7. Jahrhundert entstanden sein kann. Allenfalls wäre eine ältere Vorlage – sofern sie überhaupt existierte – in wesentlichen Teilen überarbeitet bzw. verfälscht worden. Eine weitergehende Analyse des Inhaltes zeigt Parallelen zu mittelalterlichem Gedankengut, so etwa den Vorstellungen Dantes über Himmel, Hölle und Paradies oder den Idealen mittelalterlicher Mönchsaskese. Als wahrscheinlichste Datierung gilt nicht-islamischen Historikern daher der Zeitraum vom 14. bis ins 16. Jahrhundert.

Verfasser

Etliche fehlerhafte Darstellungen der Geographie und Geschichte Judäas in den Erzählungen zeigen, dass der Verfasser weder Zeit noch Örtlichkeiten der Handlung aus eigener Anschauung kannte. Gegen ein vorschnelles Urteil, es handele sich um eine islamische Propagandaschrift, sprechen die erheblichen Differenzen zur islamischen Lehre, die sich trotz der Rezeption des Islam im Text finden.

Ein unter Historikern als wahrscheinlich angesehener Erklärungsansatz ist es, im Verfasser einen zum Islam konvertierten Christen zu sehen, der über Kenntnisse in beiden Traditionen verfügte. Den Text hat er wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Spanien verfasst. Außer den schon genannten Argumenten (mittelalterliches Gedankengut, fehlende antike Textbezeugung) bringt Lonsdale Ragg noch folgendes Argument zur Datierung vor: Das Barnabasevangelium spricht von den Jubeljahren im Abstand von 100 Jahren, während das Alte Testament in 3 Mos 25,10 LUT einen 50jährigen Abstand nennt. 1300 n.Chr. setzte Papst Bonifatius VIII. die Jubeljahrfeier auf den 100jährigen Abstand fest, aber schon 1343 verkürzte Clemens VI. die Zeit auf die biblischen 50 Jahre und kündigte das nächste Jubiläum für 1350 an. Einen 100jährigen Turnus des Jubeljahres hat es also historisch nur in der Zeit von 1300 bis 1343 gegeben, was für eine Abfassung des Barnabasevangeliums in dieser Zeit spricht.[1]

Differenzen zur christlichen und islamischen Theologie

Differenzen zur christlichen Theologie

Trotz der auf nichtmuslimischer Seite eindeutigen Zurückweisung einer frühchristlichen Entstehungszeit hält die Diskussion über die Echtheit der Schrift in der Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum bis heute an. Viele islamische Forscher halten an der Frühdatierung fest, da sie einen schlagkräftigen Beweis für die Verfälschung der Offenbarung durch die (paulinische) Tradition der Kirche liefere, keinen Widerspruch zum Islam darstelle und sich die Widerlegung ihrer Beweisführung letztlich auf christliche Glaubensauffassungen gründe. Mit derselben Konsequenz lehnen christliche Forscher die Möglichkeit der Echtheit ab. Ihnen genügen bereits die Widersprüche zwischen der Darstellung des Barnabas und der der kanonischen Evangelien als ausreichender Fälschungsbeweis. Nicht in allen Details stimmt das Barnabas-Evangelium mit islamischen Lehren überein, aber doch in sehr vielen, und da der Islam erst im siebten Jahrhundert entstand, spricht dies literatur- und religionswissenschaftlich gegen eine Abfassung der Schrift vor dem siebten Jahrhundert, aber durch eine Person, die sowohl mit der Kirche des 14. Jahrhunderts als auch oberflächlich mit dem Islam vertraut ist. Folgende Punkte deuten auf islamischen Einfluss hin:

  • Behauptung der Verfälschung des Alten Testamentes durch die Juden (Pharisäer)
  • Behauptung der Verfälschung des Neuen Testamentes durch die Christen
  • Propheten wie Adam, Abraham, Ismael, Mose, David und Jesus werden als „Gesandte Gottes“ bezeichnet
  • Adam rezitiert das islamische Glaubensbekenntnis (sahada)
  • Ismael, nicht Isaak, wird von Abraham beinahe geopfert
  • Jesu alleinige Sendung zu den Juden
  • Übermittlung der Offenbarung Gottes durch den Engel Gabriel
  • Jesus nennt Muhammad „den Größeren“, der nach ihm kommen würde
  • Judas, nicht Jesus, wird gekreuzigt
  • Paulus habe die christliche Lehre verfälscht

Differenzen zur islamischen Theologie

Einige Widersprüche zum Koran deuten darauf hin, dass der Autor – offensichtlich ein spanischer Katholik des 14. Jahrhunderts – nur oberflächlich mit dem Islam vertraut war und nicht alle islamischen Lehren kannte. Folgende Punkte stimmen teilweise mit der spätmittelalterlichen christlichen (römisch-katholischen) Lehre überein, nicht aber mit dem Koran:

  • Eintreten für die Monogamie
  • Geburt Jesu in einer Herberge in Betlehem
  • Marias schmerzlose Geburt Jesu
  • Neun Himmel und als zehnter das Paradies
  • Die Hölle als ein nur zeitweiliger Ort des Verbleibs für die Verdammten
  • Muhammad als der Messias

Hauptargumente gegen die Frühdatierung

  • Es gibt keine Textüberlieferung des Barnabasevangeliums vor dem 16. Jahrhundert.
  • Im Gegensatz zu den kanonischen und auch zu anderen apokryphen Texten ist bei christlichen Kirchenvätern oder Kirchenlehrern kein Zitat aus dem Barnabasevangelium nachgewiesen.
  • Es wird vor dem 16. Jahrhundert auch von keinem islamischen Autor erwähnt.
  • Es gibt im Barnabasevangelium mehrere schwere historische und geographische Fehler, wie beispielsweise, dass Jesus Christus geboren wurde, als Pilatus Statthalter war (also ab 26 oder 27 n. Chr.), oder dass Jesus zu Schiff nach Jerusalem reiste (das aber inmitten des Festlands liegt).
  • Es gibt im Barnabasevangelium Widersprüche zu frühen nicht-christlichen Quellen.
  • Das Barnabasevangelium zitiert aus der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung, die jedoch erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. entstand.
  • Das Barnabasevangelium erwähnt vier der Fünf Säulen des Islam, die jedoch vor der Entstehung des Islam im 7. Jahrhundert n. Chr. unbekannt waren.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Christine Schirmacher: Wurde das wahre Evangelium Christi gefunden? (PDF; 149,80 kB)

Literatur

  • Lonsdale & Laura Ragg: The Gospel of Barnabas. Clarendon Press, Oxford 1907 (Kritische Ausgabe des italienischen Manuskripts mit ausführlicher wissenschaftlicher Einleitung).
  • David Sox: The Gospel of Barnabas. Allen & Unwin, London 1984.
  • Christine Schirrmacher: Mit den Waffen des Gegners. Christlich-Islamische Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert (= Islamkundliche Untersuchungen. Band 162). Klaus Schwarz Verlag, Berlin 1992. (Inhaltsverzeichnis)
  • Safiyya M. Linges: Das Barnabas Evangelium. Turban Verlag, Bonndorf 1994, ISBN 3-92760602-2 (deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung des italienischen Manuskripts; Neuauflage 2004 Spohr-Verlag).
  • Christine Schirrmacher: Wurde das wahre Evangelium Christi gefunden? Buchrezension in der Zeitschrift für Mission, XXI Heft 3, 1995, S. 210–211.

Weblinks

Textausgaben

Sekundärliteratur


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