Trofim Denisovich Lysenko

Trofim Denisovich Lysenko
Trofim Denissowitsch Lyssenko

Trofim Denissowitsch Lyssenko (russisch Трофим Денисович Лысенко, wiss. Transliteration Trofim Denisovič Lysenko; * 17.? / 30.?/ 29. September 1898 Karliwka, Ukraine; † 20. November 1976 in Kiew) war ein sowjetischer Biologe und Agronom. Seine Theorie, nach der Erbeigenschaften durch Veränderungen von Umweltbedingungen entstehen, erwies sich als wissenschaftlich unhaltbar. Einige seiner Forschungsergebnisse wurden als Fälschung entlarvt.

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Lyssenko stammte aus einer bäuerlichen Familie in Karliwka in der Ukraine. 1925 wurde er am landwirtschaftlichen Institut der Universität Kiew als Agronom graduiert.

1929 ging er an das Allunions-Institut für Genetik und Saatzucht in Odessa, das er von 1934 bis 1939 leitete. Ab 1940 leitete er das Institut für Genetik der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion. Als treuer Parteianhänger (er war niemals Mitglied der KPdSU) versprach er, ertragreiche Sorten zu züchten und alle Ernährungsprobleme zu lösen. 1936 wurde er von Josef Stalin mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet, den er später noch sechsmal erhielt. Bis zum Tod Stalins 1953 war sein Einfluss in Partei und Wissenschaft ungebrochen.

1948 organisierte er die berüchtigte Augustsitzung der Akademie für Agrarwissenschaften. Eine Periode erzwungenen Gehorsams gegenüber obskuren und primitiven Dogmen in allen Bereichen der Biologie begann.

Im März 1953 wurde er von Nikita Chruschtschow persönlich kritisiert. Mitte April 1956 wurde er als Präsident der Lenin-Akademie für landwirtschaftliche Forschung durch P. P. Lobanow ersetzt, blieb jedoch landwirtschaftlicher Berater Chruschtschows.

1962 wurden seine wissenschaftlichen Fehlinterpretationen und Fälschungen sowie seine Politik der politischen Ausgrenzung wissenschaftlicher Kritiker durch prominente Naturwissenschaftler, darunter Jakow Seldowitsch, Witali Ginsburg und Pjotr Kapiza, offengelegt. Lyssenko wurde daraufhin von Chruschtschow entlassen.

Lyssenkos Werk

Lyssenko war zur Regierungszeit von Josef Stalin der führende Biologe der UdSSR. Er vertrat in der Nachfolge Lamarcks die Ansicht, dass erworbene Eigenschaften vererbt würden und negierte die Existenz von Genen als unsozialistisch und deshalb falsch. Die Entstehung der Arten erfolge also nicht, wie Charles Darwin herausfand, durch Mutation und Selektion, sondern durch Vererbung erworbener Eigenschaften. Seine Theorien prüfte er in groß angelegten Landwirtschaftsprojekten. So säte er Weizen unter ungünstigen klimatischen Bedingungen und fand daraufhin im nächsten Jahr Roggenpflanzen auf dem Feld. Tatsächlich hatten sich Roggenpflanzen von benachbarten Feldern ausgesät. Lyssenko interpretierte dagegen solche Ergebnisse als Beleg für seine Thesen. Mit der Einführung der künstlichen Jarowisation von Weizensaatgut wollte er die nach der Kollektivierung verbreiteten Missernten in der Ukraine und Russland verhindern. Die von ihm prognostozierten Ertragssteigerungen erwiesen sich bald als agrarwissenschaftlicher Humbug.

Wesentliche Thesen Lyssenkos, z. B. in seinem Hauptreferat auf der Tagung der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der UdSSR im August 1948 in Moskau vorgetragen, waren:

  1. Die Vererbung ist eine Eigenschaft des gesamten Organismus. Es existieren keine diskreten Erbanlagen oder Gene.
  2. Durch veränderte Umwelt- und Lebensbedingungen können erbliche Veränderungen induziert werden. Der Charakter der Veränderungen ist dem Charakter der induzierenden Bedingungen adäquat.
  3. In der Auseinandersetzung mit den Umweltbedingungen erworbene Eigenschaften werden vererbt.
  4. Bei Pflanzen können gezielte Veränderungen durch Pfropfung im Prozess der vegetativen Hybridisation induziert werden; es existiert kein prinzipieller Unterschied zur sexuellen Hybridisation.
  5. Durch Aufzucht von Winterformen ohne Kälteschock können bei Getreide erbliche Sommerformen erzielt werden.
  6. Kulturpflanzenarten wie Weizen und Roggen lassen sich durch geeignete Umweltbedingungen ineinander umwandeln.

Durch gute Beziehungen zum sowjetischen Geheimdienst NKWD gelang es ihm, Kritiker mundtot zu machen. Insbesondere nach seiner Ernennung zum Präsidenten der Akademie für Landwirtschaftswissenschaften (AdL) der Sowjetunion im Jahre 1938 ließ er andere Biologen, vor allem Genetiker, politisch verfolgen und in Straflager bringen. So war Lyssenko mitverantwortlich für den Tod des bedeutenden Biologen und Gründers der Akademie, Nikolai Iwanowitsch Wawilow, im Jahre 1943.

Lyssenko verstand es, sich durch gute Beziehungen innerhalb der KPdSU und zu Stalin persönlich erhebliche Ressourcen zu verschaffen. Auf seine Anweisung hin wurden erhebliche Flächen mit Weizen bepflanzt, die dafür klimatisch nicht geeignet waren. Die dadurch hervorgerufenen Missernten verschärften die ohnehin schlechte Ernährungslage der russischen Bevölkerung deutlich, es kam zu Hungersnöten. Ebenso auch in China nachdem Mao für den Großen Sprung nach vorn den chinesischen Bauern die Methoden Lyssenko befiehlt. [1]

Die biologischen Wissenschaften der Sowjetunion wurden nachhaltig geschädigt, so dass der Begriff Lyssenkoismus fortan als Schlagwort für die Unterordnung wissenschaftlicher Erkenntnis unter die Wunschvorstellungen der Politik gebraucht wurde.

Siehe auch

Literatur

  • Shores A. Medwedjew: Der Fall Lyssenko. Eine Wissenschaft kapituliert. Hamburg, 1971 (Original: The Rise and Fall of T.D.Lysenko. New York/London 1969) Sehr gute Einführung in alle Aspekte des „Falls“ Lyssenko.
  • Johann-Peter Regelmann: Die Geschichte des Lyssenkoismus. Frankfurt (Main) 1980.
  • Ekkehard Höxtermann: "Klassenbiologen" und „Formalgenetiker“ - Zur Rezeption Lyssenkows unter den Biologen der DDR. In: Acta Historica Leopoldina Bd. 36, 2000, S.273-300.
  • Nils Roll-Hansen: The Lysenko Effect: The Politics of Science. Humanity Books, 2005.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.geschichteinchronologie.ch/as/china/China-05-1958-1964-Maos-grosser-sprung-nach-vorn-hungersnot-personenkult-atombombe.html

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