Türkengefahr

Türkengefahr
Türkenbrief (1595)

Der Ausdruck Türkengefahr bezeichnet das während des 15.17. Jahrhunderts in der europäischen Öffentlichkeit verbreitete Schreckbild des expandierenden Osmanischen Reiches, also die Bedrohung des christlichen Abendlands durch eine islamische Macht. Der Begriff der "Türkengefahr" wurde ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert in der deutschsprachigen Regionalgeschichtsschreibung und verstärkt ab den 1950er Jahren in der österreichischen Geschichtsschreibung über die Habsburger verwendet. [1]

Inhaltsverzeichnis

Hintergründe

Den historischen Auslöser der programmatischen antitürkischen Propaganda bildete der Fall Konstantinopels im Jahr 1453 und der türkische Vorstoß nach Otranto in Süditalien. Verstärkt instrumentalisiert wurde sie aber erst nach dem Zusammenbruch Ungarns in der Schlacht bei Mohács und dem türkischen Angriff auf Wien 1529.

Christen und Juden waren unter osmanischer Herrschaft weitgehend toleriert. Wenn ihre rechtliche Stellung gegenüber den Moslems auch eindeutig nachrangig war, konnten Christen und Juden ihre jeweiligen religiösen Praktiken doch frei ausüben. Die steuerliche Finanzlast der christlichen Landbevölkerung an den Sultan war zunächst deutlich niedriger als der vergleichsweise hohe – und materiell zu entrichtende - Tribut, der zuvor dem christlichen Adel zu entrichten war. Diese relativ günstigeren osmanischen Verhältnisse sowie gewisse Ähnlichkeiten mit dem Christentum bewirkten anfänglich auf dem Balkan scharenweise Abwanderungen in den osmanischen Herrschaftsbereich und Konversionen christlicher Bevölkerungsteile zum Islam. Man spricht teilweise auch von einer so genannten 'Türkenhoffnung', also dem Gegenteil der Türkenfurcht. Diese Sympathien lebten besonders unter den ärmsten Gesellschaftsschichten auf. Man erhoffte sich ein besseres Leben unter osmanischer Herrschaft. Die angefertigten Türkendrucke dienten präventiv dazu, dass diese kleine Bewegung der Türkenhoffnung von Furcht überschattet wurde.

Mittels einer geschickten Nationalitätenpolitik vermochte der Sultan durch die Integration konvertierter Beamter seine Herrschaft in den vormals christlichen Gebieten zu etablieren und auszubauen. 1453-1623 regierten unter den 48 Großwesiren mindestens 33 Konvertiten.

Von Korsika, Sardinien, Sizilien, Kalabrien, Genua, Venedig, Spanien, von allen Gegenden des Mittelmeerraumes sind Renegaten dem Islam zugelaufen. Umgekehrt nichts dergleichen. Vielleicht unbewußt öffnet der Türke seine Tore und der Christ verschließt die seinen. Die christliche Intoleranz, aus der Überzahl geboren, spricht die Menschen nicht an; sie stößt sie ab (...). Alles bricht auf zum Islam, wo Stellungen und Gewinne warten.[2]

Die Einstellung der Venezianer gegenüber den Osmanen war zwiespältig. Die mit der Renaissance einher gehende Horizonterweiterung weckte das Interesse an den fernen Ländern, das sich vielfach in künstlerischen Produktionen niederschlug (siehe Orientalismus). Die beginnende ethnografische Reiseliteratur zeichnet ein vergleichsweise objektives von Achtung geprägtes Bild der osmanischen Kultur. „Sultan Soliman sei der Großzügigkeit und der Religion zugetan“ (Paolo Giovi), „was burgerliche Gerechtigkeit antrifft/soltu wissen das sie streng sind, etliche Laster zu strafen“ (Münsters Cosmographia) „friedliche Menschen“ (Pierre Belon).

Gesellschaftspolitische Auswirkungen

Angesichts des französisch-türkischen Bündnisses war die römisch-katholische Welt geschwächt und gespalten in einer Zeit, als gerade die aufkommende Reformation ihre Macht und die des katholischen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in Frage stellte. Wenn auch Frankreich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in dieser Bündnisfrage isoliert war, so verweigerten jedoch auch die protestantischen Reichsfürsten dem Kaiser die Reichstürkenhilfe und verbündeten sich mit Frankreich, während die Türken die Protestanten in Siebenbürgen und Oberungarn gegen die katholischen Habsburger unterstützten.

Selbst Martin Luther forderte zwar schon 1529 eine defensive Einheit des Christentums, fürchtete aber einen Sieg der Türken über den Kaiser weniger als den eigenen Abfall vom rechten (protestantischen) Glauben. Agricola bezichtigte 1538 die "unwissenden und dummen Bauern, die den Türken als ihren Herrn ersehnten" verdächtiger "Sympathien für den Reichsfeind", und auch Georgewitsch (Türcken-Büchlin, 1558) kritisierte jene christlichen "Leute, die lieber unter den Türken denn unter dem Kaiser leben wollen". Zu den sozialen Hoffnungen der gerade erst im Bauernkrieg blutig unterworfenen Bauern gefährdete auch die religiöse Toleranz bzw. relative Religionsfreiheit der Türken die katholische Ordnung sowie den Universalanspruch von Papst bzw. Kaiser und stellte somit die Einheit der Christenheit in Frage. Simon Wolder (New Türckenbüchlin, 1558) befürchtete deshalb, "daß der Türke uns damit am meisten schaden wird, daß er jederman glauben läßt, was er will, wenn er nur seinen Tribut zahlt".[3]

Obwohl siebenbürgische Angriffe auf Österreich sowie Kuruzen-Aufstände erst im 17. Jahrhundert erfolgten, so war bei der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken 1683 die Situation bereits anders als zur Zeit der ersten Belagerung 1529. Die Türken hatten mit ihrer ziel- und sinnlosen Grausamkeit gegenüber der nichtmuslimischen Bevölkerung alle früheren Sympathien verspielt, und die Gegenreformation hatte sich in Österreich, Bayern und Böhmen inzwischen durchgesetzt bzw. die Macht der Habsburger zumindest in diesen Regionen wieder gefestigt.

Die Kirchen

Hieronymus Bosch: Ecce homo. (Die Peiniger in Türkengewändern, Stadthintergrund mit Türkenflagge

Allmählich sahen führende geistige Kräfte des "Abendlands" das Osmanische Reich als eine ernsthafte Bedrohung an, gegen die Persönlichkeiten wie Michel de Montaigne warnend die Stimme erhoben. Diese Erwägungen blieben freilich akademisch; die Bevölkerung wurde durch sie nicht erreicht.

Papst Calixt III. verordnete ein allgemeines tägliches Angelusgebet gegen die Türken. In Deutschland alarmierten auf Geheiß Karl V. allmittäglich zu läutenden Türkenglocken gleichermaßen Katholiken wie Protestanten. 1571 erließ Pius V. ein Ablassjahr zur Unterstützung der christlichen Flotte gegen den Sultan. Nach dem Sieg bei Lepanto setzte er das Fest Unserer Heiligen Frau der Siege (Rosenkranzfest) ein, das den Marienkult in besonderer Weise begründete. Eine besondere antitürkische Note verliehen dabei die symbolisch die Mondsichel zertretenden Mondsichelmadonnen. Zahlreiche triumphale Epinikien (Siegeslieder) wurden verbreitet. Architektonisch fand der Triumph in der Errichtung von Türkentoren Niederschlag.

Die Schutzmantelmadonna zertritt das Mondsichelsymbol

Auf protestantischer Seite erkannte man wohl weiterhin die Hauptgefahr in der Papstkirche. Luther sah ein Leben unter dem Sultan erträglicher an als eines unter dem Papst. Dennoch unterschätzte man das türkische Drohpotenzial nicht.

Luther erregte mit seinen Türkenschriften Aufsehen. In seiner Vermahnung zum Gebet wider den Türcken ruft er zur allgemeinen Buße auf: es stehet und geht fast wie fur der Sintflut. Gene 6. „Gott sahe auff Erden und siehe, sie war verderbet. Er sieht Türke, Papst und Teufel als eine die Christenheit bedrohende höllische Vereinigung.

Und wenn ir nun wider den Türcken zihet, so seid ja gewis und zweivelt nichts daran, das ir nicht wider fleisch und blut, das ist wider Menschen streitet... Sondern seid gewis, das ir wider ein groos heer Teuffel streitet .
Die Türken sind, gleich den Juden, halsstarrig und verstockt... das türkische Reich, so groß es immer sein kann, ist nichts, denn nur allein Brocken Brodes... die Christen... haben...die Verheißung Gottes, so uns im Sohne Gottes geoffenbaret ist, da die Türken iren stinkenden Alkoran, ire Siege und zeitliche Gewalt haben, worauf sie sich verlassen.

Eine Beteiligung an einem geplanten Kreuzzug gegen die Türken lehnte Luther jedoch als „Bereicherungsstreben“ ab.

Mit dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts erlosch das öffentliche Bewusstsein von einer quasi globalen Türkengefahr - auch weil Anzeichen einer Schwächung des Osmanenreichs bereits unübersehbar waren - und machte dem Gedanken des abzuschüttelnden „Türkenjochs“ Platz. Osmanisch besetzte Länder besannen sich auf ihre eigene nationale Identität und setzten auf den Befreiungskampf; gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich der Ausdruck Kranker Mann am Bosporus für das angeschlagene Osmanenreich einzubürgern.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Almut Höfert: Den Feind beschreiben. “Türkengefahr” und europäisches Wissen über das Osmanische Reich. Campus, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-593-37482-X, S. 51.
  2. Atkinson, Nouveaux horizons, S. 243-245.
  3. Burchard Brentjes: Chane, Sultane, Emire. Leipzig 1974, S. 49f. und S. 98.

Literatur


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