Ulmer Schachtel

Ulmer Schachtel
Historische Darstellung einer Ulmer Schachtel

Die Ulmer Schachtel ist ein Einweg-Bootstyp, der seit dem Mittelalter auf der Donau der Waren- und Passagierbeförderung diente. Er wurde lediglich für Naufahrten stromabwärts verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ulmer Schachtel am Ulmer Donauufer

Die Ulmer Schachtel war ursprünglich lediglich ein Spottname für die Wiener Zille, einen Einweg-Bootstyp, der seit dem Mittelalter auf der Donau der Warenbeförderung diente. Die früheste Erwähnung der Zille stammt vom Dominikaner-Mönch Felix Fabri von 1488/89.[1] Zillen sind im Donauraum der klassische Arbeitsschiffstyp. Auch in Ulm war dieser Schiffstyp bekannt, vornehmlich als kleineres Boot, etwa für die Fischerei. Zum Warentransport flussabwärts verwendete man jedoch Flöße, für die im Verhältnis zur Nutzlast viel Holz benötigt wurde.

Verbürgt ist, dass man im 18. Jahrhundert Schiffsbaumeister, sogenannte Schopper, aus dem bayrischen Donaugebiet anwarb, um den steigenden Holzbedarf für Flöße in den Griff zu bekommen. Seitdem wurde in Ulm ein größerer Zillentyp, ursprünglich als Kelheimer bekannt, vornehmlich zum Warentransport donauabwärts gebaut.

Name

Der Name der Ulmer Schachtel stammt erst aus dem 19. Jahrhundert und beruht darauf, dass diese Zillen in Ulm gebaut wurden und die Stadtfarben, ein schwarz-weißes Streifenmuster, trugen. Als Schachtel wurden sie insbesondere im Württembergischen, wo man vom Neckar elegantere Schiffe gewohnt war, wegen ihrer äußerst einfachen Konstruktion verspottet. Diese einfache Konstruktion war zweckmäßig, da der größere Teil von ihnen nur zur einmaligen sogenannte Naufahrt flussabwärts genutzt wurde. Am Ende der Fahrt wurden Ulmer Schachteln vielfach als Nutzholz oder zur Weiterverwendung verkauft. Eine Abbildung einer Ulmer Schachtel ist am Ulmer Rathaus im Giebel zu sehen.[2]

Beschaffenheit

Ulmer Schachteln, in Ulm zu jener Zeit nach dem Bestimmungsort Wiener Zillen genannt, waren einfach konstruierte, bis zu 30 Meter lange Boote, die zum Schutz wertvollerer Ladung und von Passagieren mit einem Hausaufbau auf dem Deck versehen waren. Sie trieben mit Stangen gelenkt auf der Donau flussabwärts.

Mit den Wiener Zillen wurden in regelmäßig wöchentlichem Schiffsverkehr von Ulm aus Waren und Personen nach Regensburg, Passau, Linz, Wien, Budapest oder Belgrad transportiert. Da sie nach Fahrplan regelmäßig verkehrten, wurden sie „Ordinarischiffe“ genannt. Die Schiffe wurden von einer eigenen Zunft gebaut und betrieben. Während die Boote anfangs maximal 22 m lang und 3 m breit waren, vergrößerten sich ihre Maße mit der Zeit. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichten sie Größen von bis zu 30 Meter Länge und 7,5 Meter Breite. Die Bordwand dieser Boote hatte eine Höhe von etwa 1,5 Metern. Mittig auf dem Schiff befand sich eine größere Holzhütte. Bei Warentransporten lagerte hier das Handelsgut; bei Auswanderungen war dies der Wetterschutz der Passagiere. Das Fahrzeug wurde auf seiner Reise donauabwärts mit Stangen bzw. Ruderblättern, zwei am Bug und zwei am Heck, gesteuert.

Personenbeförderung

Zwischen dem späten 17. und Ende des 18. Jahrhunderts gelangten verschiedene deutsche Auswanderergruppen (meist, aber nicht immer Schwaben) auf Ulmer Schachteln in die von den Habsburgern neueroberten Länder des südöstlichen Europas. In ihren neuen Siedlungsgebieten im heutigen Rumänien, Ungarn und Serbien entstanden die Volksgruppen der Ungarndeutschen und/oder Donauschwaben.

Eine zweite große Auswanderungswelle folgte Anfang des 19. Jahrhunderts. Von 1804 bis 1818 gelangten tausende, meist schwäbischer Auswanderer auf dem Wasserweg ins Mündungsgebiet der Donau (Dobrudscha) im heutigen Bulgarien und Rumänien sowie nach Bessarabien (heutiges Moldawien) ans nördliche Schwarze Meer (heutige Süd-Ukraine) und von dort nach Süd-Russland, insbesondere in das Gebiet des Kaukasus. Die zumeist schwäbisch-stämmigen Auswanderer schifften sich in Ulm auf Flößen und Ulmer Schachteln ein und fuhren die Donau abwärts bis zu deren Mündung ins Schwarze Meer bei Ismajil. Reiseerzählungen berichten von äußersten Strapazen der Auswanderer während der rund 2.500 Kilometer langen Fahrt. Zahlreiche Unglücksfälle sowie nach dem Genuss verschmutzten Flusswassers und aufgrund schlechtester hygienischer Bedingungen in der drangvollen Enge der meist überfüllten Boote ausbrechende Krankheiten forderten zahllose Todesfälle. Ergebnis dieser zweiten großen donauabwärts gerichteten Auswanderungsbewegung waren folgende Volksgruppen:

Heute

Oberösterreichischer Werftbau Wesenufer / Freizell 2005 . LüA 11m
Typ Fischerzille 1982 LüA 10m

Dieser Bootstyp der Zille wird auch heute noch als Arbeits-, Fischer- und Freizeitboot eingesetzt. Hervorzuheben ist seine besondere Eignung für den Hochwasser-Rettungseinsatz der Freiwilligen Feuerwehren entlang der Flussläufe. Nach wie vor werden sie aus Nadelhölzern gebaut, hauptsächlich Lärche und Fichte. Produktionsstätten gibt es vor allem an der oberösterreichischen Donau bei Engelhartszell.

Am linken Flussufer bestehen zwei Familienbetriebe, die das Schiffbauer-Handwerk bereits über mehrere Jahrhunderte betreiben. Die hier hergestellten Baugrößen liegen um 6 bis 12 Meter Schiffslänge, in Ausnahmefällen jedoch weit darüber. Es werden einige fixe Zillen-Typen angeboten, wie etwa die Feuerwehrzillen mit genormten Abmessungen. Alle übrigen Zillen sind Sonderanfertigungen und für den jeweiligen Einsatzzweck maßgeschneidert. In dieser Flexibilität liegt noch heute die Stärke dieses Bootstyps. Bedingt durch die einfache Bauart herrscht, verglichen mit neuzeitlichen Konstruktionen, ein sehr günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis vor. Die sprichwörtliche Robustheit der Zillen bietet gute Chancen für den Weiterbestand dieser traditionellen Wasserfahrzeuge. Von regionaler Bedeutung sind die alljährlichen Zillensportmeisterschaften.

Am 11. September 2010 sank die Ulmer Schachtel „Ulm“ im Schleusenkanal des Kraftwerks „Böfinger Halde“.[3]

Literatur

  • Merkwürdige und vollständige Reisebeschreibung der im Jahr 1817 ausgewanderten Würtemberger, Badenser und Schweizer, nach Kaukasien. Aus dem Tagebuch eines dahin Gewanderten. Zur Beruhigung der im Vaterlande zurückgebliebenen und zugleich zur Warnung den Auswanderer nicht nachzufolgen, „Germanien“ 1818 (Neuauflage bearbeitet von Friedrich Fiechtner. Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen, Stuttgart 1970)
  • Wolf-Henning Petershagen, Ulrich Burst: Die Ulmer Schachtel. Ein schwimmendes Kuriosum. Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Ulm 2001, ISBN 3-88294-316-5

Einzelnachweise

  1. Henning Petershagen: Die Ulmer Schachtel, ISBN 978-3-7995-8023-6
  2. http://calisto.lima-city.de/ulm1.htm
  3. Der Untergang der „Ulm“, Südwest Presse vom 14. September 2010

Weblinks


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