- Vierte Partei
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Unter dem Schlagwort Vierte Partei wurden in der Bundesrepublik Deutschland in den 1970ern und frühen 1980ern Diskussionen um eine bundesweite Ausdehnung der CSU geführt. Der Begriff ist im Grunde falsch, weil die CSU jederzeit eine selbständige Partei war und somit im Deutschen Bundestag immer mindestens vier Parteien (in drei Fraktionen) vertreten waren; er war aber zur Zeit der Diskussionen allgemein im Gebrauch.
Inhaltsverzeichnis
Politische Konstellation und Idee
Seit 1961 waren im Deutschen Bundestag nur noch die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vertreten. Seit 1969 bildeten SPD und FDP eine Koalition, die bei der Bundestagswahl 1972 deutlich gestärkt wurde. Dadurch kam es im konservativen Lager zu Überlegungen, wie es mittelfristig möglich sein würde, wieder eine Mehrheit zu gewinnen. Darunter war die Idee, die bisher auf Bayern beschränkte CSU zu einer bundesweit antretenden vierten Partei zu machen. Diese sollte vor allem das konservative Profil schärfen und Wähler des rechten Randes an sich binden. Die CDU hätte dann die Möglichkeit, das Spektrum der Mitte abzudecken und auch liberale Wähler anzusprechen; und schließlich könnten die beiden Parteien gemeinsam eine Mehrheit rechts von der sozialliberalen Koalition bilden.
Aktivitäten
Diese Idee war vor allem in der CSU populär, die sich durch ein bundesweites Antreten einen Bedeutungsgewinn erhoffte. Weniger Zustimmung fand die Idee in den eher liberalen Kreisen der CDU, die Verluste durch die Konkurrenz einer vierten Partei befürchteten. Konservative und Nationalliberale in den und außerhalb der Unionsparteien, die nach der Linkswende der FDP politisch heimatlos geworden wären, befürworteten dagegen tendenziell eine konservative Sammlungsbewegung.
So bildeten sich Mitte der 1970er sogenannte CSU-Freundeskreise außerhalb Bayerns, die bei einem entsprechenden Beschluss schnell lokale Verbände hätten aufbauen können. 1975 gründete sich – ohne Teilnahme der CSU – die Aktionsgemeinschaft VIERTE PARTEI, die die Pläne in die Tat umsetzen wollte, aber an der fehlenden Kooperation der CSU und der „Freundeskreise“ scheiterte.
Der Kreuther Trennungsbeschluss
Nachdem die CDU/CSU unter Führung des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl die Bundestagswahl 1976 verloren hatte, kam es zum offenen Machtkampf zwischen ihm und dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Mit dem spektakulären Kreuther Trennungsbeschluss vom November 1976 kündigte die CSU die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag auf und bereitete eine bundesweite Ausdehnung vor. Die CDU drohte daraufhin, im Gegenzug auch in Bayern anzutreten und dort schnell starke Verbände aufzubauen, die die hegemoniale Stellung der CSU bedroht hätten. Diese von Kohl offenbar gut vorbereitete Gegenmaßnahme ließ die CSU schließlich ihren Trennungsbeschluss zurücknehmen. Allerdings wurde ihr größere Mitsprache in bundespolitischen Angelegenheiten zugebilligt.
Unterschiedliche Einschätzungen
In den folgenden Jahren kam es hin und wieder zu neuen Diskussionen um eine vierte Partei; insbesondere Franz Josef Strauß verteidigte diese Idee weiterhin als Weg zur Regierungsübernahme, während Helmut Kohl und der größte Teil der CDU sie ablehnten. Die unterschiedlichen Standpunkte gründeten dabei auch auf einer unterschiedlichen Einschätzung der FDP: Strauß hielt sie für eine linke Partei, die sich an die SPD gebunden habe; Kohl hingegen war der Auffassung, dass eine Regierungsübernahme auch durch einen Koalitionswechsel der FDP möglich wäre - womit er schließlich recht behielt. Einige Kommentatoren waren auch der Ansicht, dass dem vergleichsweise moderaten Kohl eine Regierung mit den Liberalen durchaus lieber war als allein mit einer gestärkten, rechtskonservativen CSU.
Die Grünen
Die zur gleichen Zeit entstehenden „grünen“ Bewegungen wurden ebenfalls als „vierte Partei“ gehandelt, zumal zu jener Zeit noch unklar war, ob sie sich politisch eher rechts oder links einordnen würden (vergleiche Politisches Spektrum). Dies betraf vor allem die 1978 gegründete Grüne Aktion Zukunft des CDU-Aussteigers Herbert Gruhl. Während der Entstehung einer einzigen grünen Partei nach 1979 wurde jedoch klar, dass diese sich politisch links sah und somit nicht der ursprünglichen Idee einer vierten Partei entsprach.
Ende der Idee nach dem Machtwechsel
Für die Bundestagswahl 1980 konnte sich Strauß als Kanzlerkandidat der Unionsparteien gegen Kohls Wunschkandidaten Ernst Albrecht durchsetzen. Nach Strauß’ deutlichem Scheitern bei der Wahl gegen Kanzler Helmut Schmidt war Kohls Stellung aber wieder gestärkt, so dass eine vierte Partei als Wunschkonzept der CSU an Bedeutung verlor. 1982 kam es tatsächlich zum Koalitionswechsel der FDP, und Helmut Kohl wurde Kanzler. Bei der Bundestagswahl 1983 etablierten sich einerseits die Grünen als neue Partei im Bundestag, andererseits wurde die Mehrheit von CDU/CSU und FDP bestätigt, so dass die Idee einer vierten Partei fallen gelassen wurde.
Kurzen Auftrieb erhielt sie nur durch die Neugründung der Partei Die Republikaner 1983, die zunächst eine rechte CSU-Abspaltung war und hoffte, die Idee einer bundesweiten Partei rechts der Union, aber auf dem Boden des Grundgesetzes, erfüllen zu können. Da die CDU/CSU aber Kooperationen mit den REP ablehnte, konservative Wähler weiterhin an sich band und dadurch die REP an den äußersten rechten Rand drängte (Strauß: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“), schafften es auch die Republikaner nicht, sich im Sinne einer vierten Partei zu etablieren. Auch der nach der politischen Wende in der DDR gegründeten DSU gelang es auf die Dauer nicht, sich in der Rolle einer programmatisch CSU-nahen Partei außerhalb Bayerns zu etablieren. Die echte vierte (bzw. korrekt: fünfte) Partei im Bundestag wurden die Grünen; der Begriff kam aber in den 1980ern außer Gebrauch.
Literatur
- Andreas Schulze: Kleinparteien in Deutschland: Aufstieg und Fall nicht-etablierter politischer Vereinigungen, Chemnitz 2003, ISBN 3824445581. S.71ff.
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