- Vokallänge
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Vokalquantität ist ein linguistischer Begriff, der angibt, ob ein vokalisches Phonem das Merkmal lang oder kurz besitzt. Dieses Merkmal ergänzt das Vokaltrapez um eine dritte Dimension. Vokalquantität ist der Gegenbegriff zu Vokalqualität.
Inhaltsverzeichnis
Vokalquantität im Deutschen
Phonetik
In der deutschen Standardsprache kann man die kurzen und langen Vokale einander als sieben Wortpaare (= Minimalpaare) gegenüberstellen:
- Bann vs. Bahn,
- Mitte vs. Miete,
- Pollen vs. Polen,
- Busse vs. Buße,
- bette vs. bete vs. bäte (zur Schreibung siehe unten),
- Hölle vs. Höhle,
- fülle vs. fühle.
Das Paar Bann/Bahn unterscheidet sich nur durch die Vokalquantität. In den übrigen Beispielen kommt als weiterer Unterschied dazu, dass die kurzen Vokale offen, die langen Vokale geschlossen artikuliert werden. Hinzu kommt das unbetonte Schwa ([ə]}, das in den oben angegebenen Minimalpaaren in den Endungen vorkommt.
Somit hat die deutsche Sprache acht lange und acht kurze Vokalphoneme. Zu den langen Vokalen werden außerdem auch die Diphthonge gezählt; damit erhöht sich ihre Zahl auf 11, wenn man [ʊi̯] (wie in „hui“) nicht mitrechnet. In manchen Regionen fehlt die Unterscheidung zwischen langem e und langem ä; so soll Hegel stets die Säle statt die Seele gesagt haben.
Berücksichtigt man auch den Vokalismus von entlehnten Wörtern (Lehn- und Fremdwörtern), so kommt eine Reihe geschlossener Kurzvokale hinzu. Man kann sich dies gut am Beispiel der Wörter „Post“ (mit kurzem, offenem [ɔ]), „Moral“ (mit kurzem, geschlossenem [o]) und „Koma“ (mit langem, geschlossenem [oː]) verdeutlichen. (Die Vokallänge zwischen „Moral“ und „Koma“ ist unterschiedlich.) Diese geschlossenen Kurzvokale treten nicht nur bei den „o“-Lauten auf.
Die Einteilung in kurze und lange Vokale ist nicht an eine bestimmte physikalische Dauer des Lauts geknüpft. Des einen Sprechers lange Vokale können kürzer sein als eines anderen Sprechers kurze Vokale. Zur Verständigung erforderlich ist nur, dass ein Sprecher überhaupt eine hörbare Unterscheidung zwischen kurzen und langen Vokalen macht. Bei Worten, in denen sich die Vokalquantität nicht durch paarweise Gegenüberstellung ermitteln lässt, greift Analogiebildung.
- Beispiel: Ist das a in das kurz oder lang? Diese Frage lässt sich nicht anhand der Rechtschreibung entscheiden. Man geht vielmehr so vor, dass man das zu untersuchende Wort abwandelt, dabei aber den zu untersuchenden Vokal unverändert lässt: das, Fass, fasse, Masse - bis man auf ein Kontrastpaar, Masse/Maße stößt, anhand dessen man eindeutig entscheiden kann, dass das a in Masse und folglich auch in fasse, Fass, das ein kurzer Vokal ist.
Die Ermittlung einer Vokalquantität hängt also nicht von einer - unvermeidlich unscharfen - subjektiven Empfindung ab, der Vokal werde mehr oder weniger lang ausgesprochen, sondern von der Einordnung in eine von zwei scharf definierten Klassen.
Orthographie
In der deutschen Orthographie wird ein kurzer Vokal oft durch die doppelte Darstellung des nachfolgenden Konsonanten angezeigt. Das Schriftbild verleitet viele erwachsene Sprachbenutzer zu falschen Rückschlüssen auf die Phonetik ihrer Sprache; in diesem Fall zu der Vermutung, es gebe kurze und lange Konsonanten. Tatsächlich gibt es im Deutschen keine phonemisch relevante Konsonantenquantität, keine lautliche Gemination (anders zum Beispiel im Spanischen: caro vs. carro).
In vielen Fällen kann man aus dem Schriftbild zweifelsfrei auf die Vokalquantität schließen (vgl. auch Aussprache der deutschen Sprache: Unterscheidung von Vokalquantität und -qualität bei einzelnen Vokalbuchstaben):
Ein kurzer Vokal liegt vor, wenn dieser durch einen einzelnen Vokalbuchstaben wiedergegeben wird und ihm
- ein doppelt dargestellter Konsonant folgt (kamm, Hütte, Pollen, ...),
- ck folgt, was nur eine spezielle Schreibkonvention ist, die kk ersetzt (picken),
- tz folgt, da auch in dieser Kombination das [t] zweimal dargestellt wird (sitzen),
- der Buchstabe x folgt (Hexe).
Nur in der Regel kurz ist der Vokal, wenn
- dem folgenden Konsonantenbuchstaben noch mindestens ein weiterer folgt (kalt, Hirsch, Wachs, Loch, senden, Teflon, Kosmos, Sperling, Weßling, ...; aber: Tratsch, Mond, Trost, Wuchs, Buch, Papst, ...),
- ein einzelner Konsonantenbuchstabe am Wortende von Funktionswörtern und Affixen (Vorsilben/Endungen) (in, um, mit, weg, ab, das, un-, -nis, -in, ..., nach alter Rechtschreibung auch in daß, miß-), oder am Wortende von "Abkürzungswörtern" oder verkürzten Wörtern wie TÜV, FAZ, taz; Lok, Prof, Bus, ... folgt.
Ein langer Vokal liegt zweifelsfrei in den folgenden Fällen vor (vorausgesetzt, er steht in einer betonten oder nebenbetonten Silbe):
- bei Verdoppelung des Vokalbuchstabens (Saat),
- bei Dehnungskennzeichnung des i als ie (bieten) (Dehnungs-e) (aber Achtung: in Fremdwörtern wird ie auch getrennt gesprochen: Orient, Serie, Familie; seltener auch aa, ee, oo: Azalee, zoologisch),
- bei einem dem betonten Vokal folgenden (stummen) h (Dehnungs-h) (fühlen, seht),
- vor einem einzelnen Konsonantenbuchstaben, wenn diesem ein Vokalbuchstabe folgt (Hüte, Buße, lesen, Brezel, spuken, Sirup).
Fast immer bzw. in der Regel (aber nicht zweifelsfrei) lang ist der Vokal
- vor einzelnen Konsonantenbuchstaben am Wortende (regelhafte Abweichungen, vgl. oben: vor allem am Ende von Funktionswörtern, sowie vor x und j) (Lob, Tat, Öl, Kran, Biotop, Mus, Flöz, in neuer Rechtschreibung gilt dies auch für ß: z.B. Fuß; aus Fluß ist durch die Rechtschreibreform Fluss geworden; bei Eigennamen gibt es nun gerade bei ß dazu viele Ausnahmen, da die Reform die Schreibungen von Eigennamen nicht verändert hat, z.B. Voß, sprich "Foss"; weitere Ausnahmen ergeben sich bei noch nicht vollständig integrierten Wörtern vor allem aus dem Englischen: Job, Club/Klub, Trip, Hit, Kid, fit, Smog, chic, ..., zum Teil lässt sich die kurze Aussprache des Vokals daraus erschließen, dass es verwandte Wortformen mit gekennzeichnetem Kurzvokal gibt, z.B. jobben, Clubbing, fitter),
- vor bestimmten Konsonantenbuchstaben und -kombinationen: vor b, g, d, v, w und in neuer Rechtschreibung auch vor ß, wenn ihnen ein s, t oder st folgt (lebst, Obst, Krebs, Vogt, jagt, intensivst, lädt, grüßt, ...), außerdem vor gd und ks (Magd, Jagd, Keks, Koks, piksen),
- vor einfachem b, c, d, g, k, p, t, v, w, die von l oder r gefolgt werden (Natrium, übrig, Adler, Capri, Iglu, ...),
- in rheinischen Eigennamen vor Dehnungs-i (Broich, sprich Brooch - nicht Broich),
- in westfälischen Eigennamen vor Dehnungs-e (Soest, sprich Soost),
- in brandenburgischen Eigennamen vor Dehnungs-w (Teltow, sprich Teltoo),
Wie die Kontrastpaare nette/Nähte, Kette/Käthe, Teller/Täler zeigen, wird das kurze ä in der Regel als e geschrieben. Manchmal werden homonyme Wörter durch unterschiedliche Schreibung unterschieden: Lärche vs. Lerche.Vokalquantität in anderen Sprachen
Eine zweiwertige Einteilung in kurze und lange Vokale gibt es auch in vielen anderen Sprachen. Oft sind die kurzen und die langen Vokale jedoch im Vokaltrapez so unterschiedlich angeordnet, dass die Opposition kurz - lang immer mit einem deutlichen Unterschied der Artikulation einhergeht.
Im Englischen beruht der minimale Kontrast in dem Paar
- hit /ɪ/ vs. heat /hiːt/
sowohl auf unterschiedlicher Tondauer als auch auf unterschiedlicher Mundöffnung; bei anderen kurz-lang-Paaren ist der Artikulationsunterschied noch deutlicher; mehrere lange Vokale des Altenglischen sind überdies zu Diphthongen geworden.
Im Englischen wird die Situation noch dadurch kompliziert, dass stimmhafte Konsonanten am Silbenende in einigen Aussprachevarianten ("accents") eine Vokallängung zur Folge haben, so dass sich der Unterschied in diesen speziellen Fällen fast nur noch auf die Qualität beschränkt. Hier ein Beispiel:
- pick [pɪk] - peak [piːk] - pig [pɪːg]
Ein ähnlicher Prozess hat in der deutschen Sprachgeschichte dazu geführt, dass Silben, die auf stimmhaften Konsonanten endeten, gelängt wurden.
Im Japanischen wird in der Silbenschrift die Vokalquantität explizit ausgedrückt. Jeder der fünf Vokale kann gelängt vorkommen, dabei ist in vielen Fällen die länge eines Vokals bedeutungsentscheidend. Ein Beispiel:
- 少女 しょうじょ (shōjo Mädchen) [ɕoːdʑo] — 処女 しょじょ (shojo Jungfrau) [ɕodʑo]
Estnisch besitzt ein dreiwertiges Merkmal lang - mittel - kurz.
Es gibt auch Sprachen, in denen die Vokalquantität als Unterscheidungsmerkmal gar nicht verwendet wird, etwa Spanisch und Neugriechisch.
Vokalquantität als metrische Grundlage der antiken Dichtung
Im Altgriechischen und Lateinischen beruht die gesamte Dichtung nicht wie im Deutschen auf Wortbetonung und Reim, sondern auf der Vokalquantität.
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