- Whittaker Chambers
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Jay Vivian „Whittaker“ Chambers (* 1. April 1901 in Philadelphia, Pennsylvania; † 9. Juli 1961 in Westminster, Maryland) war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Redakteur, sowie kommunistischer Agent und Informant. Er war Repräsentant des amerikanischen McCarthyismus der frühen 1950er Jahre und wurde wegen seiner Aussagen gegen Alger Hiss bekannt.
Chambers bleibt eine umstrittene historische Figur. Die meisten Historiker betrachten Chambers zwiespältig: Entweder war er „Held“ oder „Lügner“. Denn es hängt mitunter von der politischen Orientierung des Beobachters ab, ob man ihm seine Warnungen zugute halten oder die Schuld am McCarthyismus zuschreiben sollte.
Inhaltsverzeichnis
Jugend und Erziehung
Chambers wurde in Philadelphia (Pennsylvania) geboren, aber kurz danach zog die Familie nach New York um. Er wuchs hauptsächlich auf Long Island und in Brooklyn auf. In seiner Autobiografie Witness (Zeuge) schmähte er seine Eltern als spießig, kleinbürgerlich und ideenlos. Als Beispiel erwähnte er den Namen des Hundes der Familie: da der Hund eine Bulldogge war, hielten die Eltern es für angemessen und geistreich, das Haustier „Taurus“ zu benennen. Chambers beschrieb sich selbst als Einzelgänger, dessen Eltern häufig voneinander getrennt (aber nicht geschieden) waren; seine Kindheit war überwiegend unglücklich. Nach dem High-School-Abschluss 1919 arbeitete er zwei Jahre in einer Bank. Dann immatrikulierte er 1921 an der Columbia University. Er hatte Schwierigkeiten, sich ständig auf das Studium zu konzentrieren. Später erinnerten sich mehrere Professoren und Dozenten an ihn; sie sagten, er sei ein talentierter aber schlampiger, undisziplinierter Schreiber gewesen, der den Unterricht und die Vorlesungen nur selten besuchte. Laut Chambers' Behauptungen in Witness war er eher am Untergang des Westens interessiert; andere Angelegenheiten schienen ihm belanglos. Ganz gewiss wurde dieses Thema gleich nach dem Ersten Weltkrieg weithin diskutiert. Wie Oswald Spengler glaubte Chambers, dass die „Zivilisation des Abendlandes“ in einer fatalen Krise steckte. Er fühlte sich verzweifelt. 1922 wurde er von der Hochschule verwiesen. Manche Quellen deuten an, er hätte ein blasphemisches Theaterstück geschrieben; andere sagen, der Grund sei mangelnder Vorlesungsbesuch gewesen. An der Columbia University entdeckte Chambers die Werke von Karl Marx und Lenin. Die russische Revolution war damals noch ein aktuelles, dramatisches Ereignis. Bald entschied sich Chambers dafür, dass der Kommunismus der einzige richtige Weg sei.
Die amerikanische Kommunistische Partei
Für zwei Jahre arbeitete Chambers sehr hart in Bergwerken. 1925 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei von Amerika (American Communist Party). Er verfasste Artikel und editierte kommunistische Zeitschriften wie The Daily Worker und The New Masses. 1927 übersetzte Chambers, der deutsch sprach, das Kinderbuch Bambi von Felix Salten ins Englische. Laut seinen Erinnerungen tat Chambers das, weil der Lohn vom Daily Worker gering und unsicher war. Chambers wurde von Clifton Fadiman bei Simon & Schuster angestellt und er bekam regelmäßige Arbeit als Übersetzer.
1932 fing Chambers an, im kommunistischen Untergrund zu arbeiten. Im folgenden Jahr schickte man ihn nach Moskau, wo er beim Nachrichtendienst trainierte. Als er nach Amerika zurückkehrte, ging Chambers nach Washington, D.C., wo Josef Peters (später als „J. Peters“ bekannt) seine Kontaktperson wurde. Durch Peters lernte Chambers Harold Ware kennen; Ware leitete die „Ware Group“, die angeblich als eine „marxistische Diskussionsgruppe“ von Intellektuellen fungierte, aber in Wirklichkeit eine kommunistische Geheimzelle war. Damals war Alger Hiss bei der Agricultural Adjustment Administration tätig, die die US-Farmer unterstützte. Chambers organisierte Kommunisten in Washington und war als Kurier gestohlener Dokumente zwischen New York City und Washington tätig. Er tat dies bis 1938, als er die Partei verließ. Später behauptete er, er wäre durch den Stalinismus, die Schauprozesse, den Massenmord und die Straflager (den Gulags) desillusioniert worden. Er behauptete auch, dass er vor der Partei und den Sowjets Angst hätte, und deswegen bewahrte er eine Dokumentensammlung auf, die später als die „Kürbispapiere“ (Pumpkin papers) berühmt wurden.
Sein Leben nach der Partei
Ab 1938 wandte sich Chambers in seiner Politik nach rechts. Er bekam eine Stelle beim TIME-Magazin; schließlich stieg er dort zum Chefredakteur auf. Sein Gehalt war $30.000 (dies entspricht heute ungefähr $400.000). Bei TIME war Chambers unerschütterlicher Gegner des Kommunismus. Manchmal erzürnte er die Reporter, denn er veränderte ihre Beiträge, falls sie seiner Meinung nach zu „weich“ dem Kommunismus gegenüber waren. Nach der Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes zwischen NS-Deutschland und der UdSSR kam Chambers Adolf Berle, dem amerikanischen Vize-Außenminister, entgegen. Die zwei Männer sprachen drei Stunden miteinander. Chambers erklärte alles, was er von den kommunistischen Aktivitäten in Amerika wusste. Danach heftete man den Bericht ab, und er wurde vergessen.
Der Prozess
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein neuer, ehrgeiziger Abgeordneter im US-Repräsentenhaus, Richard M. Nixon, auf die Geschichte von Chambers aufmerksam. Am 3. August 1948 bezeugte Chambers vor dem House Un-American Activities Committee (Ausschuss für die Ermittlung von unamerikanischen (verräterischen) Aktivitäten, oder HUAC). Er legte eine Liste mit Namen vor. Diese Leute, so Chambers, waren Mitglieder eines kommunistischen Untergrundnetzwerkes, das während der 1930er und 1940er Jahre innerhalb der US-Regierung tätig gewesen sei. Einer der Namen war Alger Hiss. Im Jahre 1948 war Hiss ein sehr angesehener Mann. Er war der Chef der Carnegie Foundation for International Peace (der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden); kaum drei Jahre vorher hatte er eine wichtige Rolle bei der Schaffung der Vereinten Nationen gespielt.
Viele im Kongress und bei der Presse waren skeptisch. Hiss war ein eleganter, charmanter, gut gebildeter Mann, ein klassisches Beispiel des „Establishments“. Er hatte an der Harvard University Jura studiert und mit Oliver Wendell Holmes, Jr., dem berühmten Richter am Obergerichtshof, gearbeitet. Er hatte einen imponierenden Werdegang. Im Vergleich dazu schien Chambers vage, verstohlen und verrufen. Er hatte schon zugestanden, dass er selber mehrere Jahre lang Kommunist gewesen war. Chambers war fettleibig, und seine Geschichte erschien den meisten unglaubwürdig und ohne konkreten Beweis zu sein. Hiss versuchte, diese Situation auszubeuten. Hiss verleumdete Chambers absichtlich in der Presse und gab Gerüchte über Chambers' Homosexualität preis. Manche der Geschichten waren wahr.
Zunächst leugnete Hiss, dass er Chambers je gekannt habe. Später veränderte er seine Behauptungen und erklärte, er erkenne jetzt Chambers als einen Mann, den er früher als „George Crosley“ gekannt habe. Kurz danach bezichtigte Chambers Hiss in einer Radiosendung, dass er eigentlich Kommunist gewesen sei. Daraufhin verklagte Hiss Chambers auf $75.000. Im November 1948 zeigte Chambers Ermittlern des HUAC-Ausschusses einen Kürbis auf seiner Farm in Maryland. Der Kürbis war ausgehöhlt worden; darin waren drei Rollen Mikrofilm. Den Inhalt bezeichnete man als die „Pumpkin Papers“ (Kürbispapiere). Nixon posierte mit einer Lupe und den Negativen, und die Fotos von ihm wurden überall veröffentlicht. (In den 1970ern stellte sich heraus, dass eine Rolle leer war und die anderen nicht geheime Informationen über Feuerlöscher und Rettungsboote enthielten.) Hiss verlor seine Zivilklage, die auch sein Verderben wurde. Er leistete einen Meineid, als er schwor, dass er nie ein Kommunist gewesen sei.
Am 31. Mai 1949 begann der Prozess gegen Alger Hiss. Das Verratsgesetz war schon verjährt; deswegen konnte die US-Staatsanwaltschaft ihn nur wegen Meineids anklagen. Der Jury konnte keine einstimmige Entscheidung treffen. Es gab also einen zweiten Prozess, in dem die Jury am 21. Januar 1950 Hiss schuldig sprach. Chambers musste vierzehnmal erscheinen und aussagen. Dies zwang ihn dazu, seine Stelle bei TIME zu kündigen. Er wurde sehr depressiv und versuchte erfolglos, Selbstmord zu begehen.
Nach dem Prozess
Der Hiss-Prozess begünstigte Richard Nixon sehr. Mit 40 Jahren wurde er Vizepräsident, und obwohl er 1960 die Präsidentenwahl verlor, gewann er sie 1968. Hingegen half Chambers die Publizität nicht. Er hatte seinen Job bei TIME dauerhaft verloren. Er wohnte auf seiner Farm und schrieb seine Autobiografie, Witness, die 1952 veröffentlicht wurde. Seine Kritiker bestehen darauf, dass sein Leben so unentschlossen und labil war, mit so vielen Veränderungen im Lebensstil und in der Weltanschauung, dass seine Angaben konsequenterweise unzuverlässig und parteilich war.
1961 starb Chambers an einen Herzinfarkt. Einige Jahre früher arbeitete er kurz als Chefredakteur bei National Review, der von William F. Buckley, Jr. gegründeten konservativen Festschrift. Chambers’ letztes Buch, Cold Friday (deutsch: Kalter Freitag) wurde 1964 posthum veröffentlicht. In diesem Buch sagte Chambers richtig vorher, dass der Zerfall des Kommunismus in den Ostblockstaaten beginnen würde. 1984 verlieh Ronald Reagan Chambers, der ein Held der amerikanischen konservativen Bewegung bleibt, den Freiheitsorden.
Weblinks
- Literatur von und über Whittaker Chambers im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- WhittakerChambers.org (englisch)
- „Der Fall Hiss“
- “Truman Presidential Library”
- “Whittaker Chambers—A Centenary Reflection”
- “WHITTAKER CHAMBERS’ HOME IN LYNBROOK” (Archivversion vom 31. Oktober 2005) (archiviert bei Internet Archive)
- The New Criterion: “Whittaker Chambers: the judgment of history” (Archivversion vom 28. Februar 2007) (archiviert bei Internet Archive)
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