Überproduktionskrise

Überproduktionskrise

In der marxistischen Wirtschaftstheorie wird unter einer Überproduktionskrise eine periodisch wiederkehrende Wirtschaftskrise im Kapitalismus verstanden, in der mehr Waren produziert als verkauft werden. Wenn beispielsweise genug Nahrungsmittel vorhanden sind, aber kein Geld unter den Hungernden, um diese zu kaufen. Diese Form der Wirtschaftskrise, „welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre“ (Manifest), sei bedingt durch die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Akkumulation selbst. Einerseits strebt das Kapital danach, möglichst viele Waren zu produzieren und zu verkaufen, um einen möglichst hohen Profit zu erzielen. Andererseits strebt es Aufgrund der Profitmaximierung auch dahin, den Preis der Arbeitskräfte, daher der potentiellen Käufer ihrer Waren, möglichst niedrig zu halten und zu drücken. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die produzierten Güter aus Mangel an realen Käufern nicht mehr zur Gänze abgesetzt werden können. Die mangelnde Kaufkraft betrifft nicht nur jene Waren für die unmittelbaren Konsumenten, sondern wirkt in weitere Wirtschaftsbereiche fort. So werden beispielsweise keine neuen Aufträge zwischen Unternehmen mehr erteilt oder alte storniert, die Lager bleiben voll, die Produktion steht still wie das Transportwesen. Entlassungen finden statt, welche die Gesamtkaufkraft weiter reduzieren usw. usf., ein Teufelskreis bildet sich aus, der erst durch die Erweiterung des Marktes oder die massenhafte Zerstörung der gesellschaftlichen Produktivkräfte bereinigt wird, was gemeinhin in der apologetisch-bürgerlichen Vorstellung als ein „Gesundschrumpfen“ oder ähnliches bezeichnet wird. Daher werden Betriebe geschlossen, Produktionsmittel außer Betrieb genommen, der Warenbestand durch gedrosselte Produktion geschrumpft, usw. daher die Produktion dem Konsumtionsvolumen angepasst oder im Falle der erweiterten Märkte umgekehrt die Konsumtion der Produktion. Dies ermögliche, dass die „ganze Scheiße“ (Marx) wieder von vorne losgehen, bzw. auf erhöhter Stufenleiter fortgehen kann, da die Bourgeoisie nur immer „allseitigere und gewaltigere Krisen“ durch ihre vermeintliche Krisenbewältigung produziere.

Überproduktionskrisen treten insbesondere in Kombination mit anderen Krisenmomenten im Kapitalismus auf und verstärken sich gegenseitig. Z.B. bei Handelskrisen. Jedoch können sogenannte Handelskrisen auch nur einen Ausdruck einer längerfristigen Überproduktionskrise darstellen.

Der Fordismus kann als ein spezifischen Akkumulationsregime verstanden werden, das neben der Massenproduktion auch eine entsprechende Massenkonsumtion der Waren ausbildete, ohne die die Produktion auf einer solchen Stufe unmöglich wäre.

„Die Epochen, worin die kapitalistische Produktion alle ihre Potenzen anstrengt, erweisen sich regelmäßig als Epochen der Überproduktion; weil die Produktionspotenzen nie so weit angewandt werden können, daß dadurch mehr Wert nicht nur produziert, sondern realisiert werden kann; der Verkauf der Waren, die Realisation des Warenkapitals, also auch des Mehrwerts, ist aber begrenzt, nicht durch die konsumtiven Bedürfnisse der Gesellschaft überhaupt, sondern durch die konsumtiven Bedürfnisse einer Gesellschaft, wovon die große Mehrzahl stets arm ist und stets arm bleiben muß.“ - Marx, Das Kapital, Band 2.

In der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie ist die Überproduktionskrise eine gesetzmäßig wiederkehrende Wirtschaftskrise des Kapitalismus und des Imperialismus, weil die sog. „Anarchie“ des Marktes dazu führe, dass das Kapital immer wieder zu viel Waren im Vergleich zur kaufkräftigen Nachfrage nach Gütern produziere.[1]

Inhaltsverzeichnis

Die Theorie

Ursache dieser Krise sei der im Laufe der Zeit immer größer werdende Widerspruch zwischen privater Aneignung der Produktionsgewinne und dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion. ("Das Volk bekommt immer weniger vom Profit" - streng wissenschaftlich ist damit gemeint, dass ein immer größerer Teil des Volkseinkommens Profit ist.)

Dieser Gegensatz führe im Verlaufe des Wachstums der Arbeitsproduktivität durch Automatisierung, Rationalisierung, Effizienzsteigerung, Lohndumping, Arbeitszeiterhöhungen, unbezahlte Überstunden, Billiglohnkräfte, Sonderschichten usw. in allen Bereichen der Volkswirtschaft zu einer Produktion mit immer weniger Arbeitskräften, so dass gleichzeitig die Kaufkraft der produzierenden Bevölkerung immer weiter abnimmt und die Eigentümer der Produktionsmittel, die Kapitalisten, immer weniger Produkte verkaufen können. (Denn die durch Entlassungen kurzfristig angestiegenen Gewinne werden vom Kapitalisten privat angeeignet und nicht an die von ihm wegrationalisierten Arbeitskräfte weitergegeben.) So betrachtet ist Überproduktionskrise auch ein Synonym für Unterkonsumtionskrise.

Es würde dann mehr produziert als verkauft werden kann, wodurch die Produktion eingeschränkt wird, weitere Arbeitskräfte entlassen werden, deren Kaufkraft dann auch sinkt, so dass ein sich selbst verstärkender Teufelskreis entsteht.

Die von der Theorie angenommenen Reaktionen

Die Kapitalisten und die marktwirtschaftlich orientierten Politiker versuchen gemäß dieser Theorie zunächst, diese Überproduktion durch Preissenkungen, Lohnsenkungen und vorwiegend durch Ausweitung des Exportes in andere Länder zu überwinden. Dies ist jedoch während einer Weltwirtschaftskrise nicht mehr möglich, da dann in nahezu allen Ländern eine zu geringe Kaufkraft entstanden ist. Ein nächster Schritt des Kapitalismus könne dann eine gewaltsame Eroberung neuer Märkte und Rohstoffquellen sein, sowie die massenhafte gewaltsame Vernichtung von früher produzierten Werten mittels Krieg oder Bürgerkrieg, um die Nachfrage nach Waren und Erzeugnissen wieder zu steigern. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Rüstungsgütern, der Unterdrückungs- und Ausbeutungsapparat kann im Inland ohne große Erklärungsnot ausgeweitet werden und überflüssige unzufriedene Arbeitskräfte kann das System durch Kriegseinsatz abschieben und töten lassen.

Die von der Theorie angenommene Folge

Vor oder spätestens nach einem solchen Krieg oder Weltkrieg würde aber zumeist ein verlustloser friedlicher Weg begangen werden, denn wenn die private Aneignung der Gewinne durch eine gesellschaftliche Aneignung ersetzt würde (durch Steuererhöhungen und Enteignungen für Kapitalisten, Verstaatlichungen), könne dieser Teufelskreis schnell durchbrochen werden.

Historischer Hintergrund und empirische Bewertung

Der Hintergrund dieser zentralen marxistisch-leninistischen Theorie war die Beobachtung der Konjunkturzyklen und die Politik des Imperialismus des 19. Jahrhunderts. Aus der Feststellung, dass im Konjunkturabschwung die Produktion höher lag, als in der optimistischen Annahme des Aufschwungs (Schweinezyklus) und der Hoffnung der damaligen Kolonialpolitik, neue Märkte exklusiv für die Kolonialmacht zu erschließen, entstand die Theorie von der Überproduktionskrise. Diese Theorie ist die Basis der marxistisch-leninistischen Vorstellung vom Imperialismus als besondere Entwicklungsstufe (Stadium) des Kapitalismus. Nach Lenin sei zudem die staatsmonopolistische Phase dieses Imperialismus (Stamokap) die letzte Phase des Kapitalismus überhaupt.

Siehe auch

Einzelnachweis

  1. Tobias ten Brink: Geopolitik - Geschichte und Gegenwart kapitalistischer Staatenkonkurrenz. Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, ISBN 978-3-89691-123-0, S. 307., S. 96, Fußnote 55.

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