Hitlers Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf

Hitlers Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf

Hitlers Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf war eine Rede von Adolf Hitler am 27. Januar 1932[1] vor Vertretern der deutschen Wirtschaft, in der er die Zerschlagung der Arbeiterbewegung versprach und um Unterstützung seiner Partei warb.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

In den Jahren 1926 und 1927 hatte Hitler bei seiner Ruhrkampagne bereits fünf Reden im Ruhrgebiet vor Wirtschaftsführern gehalten, mit denen er erfolglos versucht hatte, die Ruhr-Industriellen zur Unterstützung der NSDAP zu bewegen.[2] Einzig Fritz Thyssen bekannte sich zum Nationalsozialismus und unterstützte die Partei auch finanziell. Ende 1931 schlug er vor, Hitler in den Industrie-Club einzuladen, was dort erhebliche interne Konflikte auslöste. Die Statuten schlossen eigentlich politische Vorträge aus, doch hatte man im Herbst 1931 den Sozialdemokraten Max Cohen eingeladen. Daraufhin bestand Thyssen darauf, dass auch ein Nationalsozialist eingeladen wurde.Jost Henkel lud daraufhin zunächst Gregor Strasser ein, der in den Kreisen der Bergbauindustrie als gemäßigter Nationalsozialist galt und der deshalb ab Frühjahr 1931 regelmäßig einen Monatsbetrag von 10.000 Reichsmark erhielt. Thyssen berichtete Hitler von der Einladung an Strasser, der Parteiführer entschied selbst als Redner aufzutreten.[3]

Hintergrund war das schlechte Image, das die NSDAP bei vielen Managern und Unternehmern hatte. Viele der untergeordneten Parteichargen, von denen nicht wenige den Sozialismus im Parteinamen ernst nahmen, spekulierten offen über Kreditschöpfung, mit der der von den Unternehmern stets begrüßten Deflationspolitik ein Ende gemacht werden sollte. Wenige Wochen vor Hitlers Rede, im November 1931, hatten die Boxheimer Dokumente Furore gemacht, in denen der hessische Nationalsozialist Werner Best im Falle einer gewaltsamen Machtübernahme unter anderem die Abschaffung sämtlicher Privateinkommen angekündigt hatte. Hitler hatte sich zwar intern für den so genannten Wagemann-Plan ausgesprochen, benannt nach dem Direktor des Statistischen Reichsamtes Ernst Wagemann, der ohne Absprache mit der Regierung Brüning die konjunkturschädliche Deflation durch eine moderate Ausweitung der Geldmenge bekämpfen wollte. Zu diesem Zweck schlug er vor, eine zweite Geldsorte einzuführen, die nicht mehr der Deckungspflicht des Golddevisenstandards unterliegen sollte. Nach außen kam es ihm aber auf geldpolitische Seriosität an, weswegen er bereits im Dezember der Auslandspresse ein viel beachtetes Interview gegeben und betont hatte, im Falle einer Machtübernahme die privaten Schuldtitel nicht antasten zu wollen.[2][4]

Ablauf

Das Interesse an der Veranstaltung war außerordentlich groß. Karl Haniel, der damalige Vorsitzende des Düsseldorfer Industrie-Clubs, schrieb am 20. Januar 1932 an Gustav Krupp von Bohlen und Halbach auf dessen Hinweis, er habe keine Einladung erhalten: „Der Andrang der Clubmitglieder zum Hitler-Vortrag übersteigt tatsächlich unsere kühnsten Erwartungen und der größte Saal des Parkhotels ist leider nicht größer zu machen als er nun mal ist“.[5]

Informationen über Hitlers Besuch waren vorab an die sozialdemokratische und die kommunistische Presse durchgesickert, weswegen es am 26. Januar vor dem Hotel zu gewalttätigen Demonstrationen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitgliedern gegen das befürchtete Bündnis von Großindustrie und NSDAP kam.[6] Für viele Zuhörer kam der Weg in das Hotel einem „Spießrutenlaufen“ gleich, Hitler selbst gelangte durch einen Seiteneingang unbehelligt ins Gebäude.[2]

Die Veranstaltung begann gegen 18 Uhr im großen Ballsaal des Hotels, der bis auf den letzten Platz besetzt war. Viele Gäste mussten stehen, für Zuspätkommer wurde die Veranstaltung über Lautsprecher in einen Nachbarraum übertragen. Nach einem Grußwort von Oberbürgermeister Robert Lehr (DNVP) erklomm Hitler eine provisorisch errichtete Tribüne zu seiner etwa zweieinhalbstündigen Rede. Anschließend dankte Haniel dem Redner, und Thyssen machte einige Schlussbemerkungen, die er mit „Heil, Herr Hitler!“ abschloss. Die Versammelten mochten in diesen Ruf aber nicht einstimmen. Albert Vögler wollte nun mit einigen Fragen die übliche Diskussion in Gang bringen, wurde von Thyssen aber unterbrochen, der die Veranstaltung für beendet erklärte. Hitler verließ das Hotel, an dem bei Versammlungen des Industrie-Clubs üblichen gemeinsamen Abendessen nahm an seiner Statt Hermann Göring teil.

Paul Kleinewefers, der 27-jährige Geschäftsführer eines kleinen Krefelder Maschinenbauunternehmens, konnte an der Veranstaltung teilnehmen, weil sein Vater ihm seine Mitgliedskarte geliehen hatte.[7] In seinen 1977 erschienenen Erinnerungen berichtet er, am Ende der Rede habe es „ungehemmten Dauerbeifall.“ gegeben.[8] Ähnliches meldeten auch die sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen, die dem Ereignis große Aufmerksamkeit widmeten. Andere Teilnehmer berichteten dagegen, die versammelten Unternehmer hätten „auffallend zurückhaltend“ reagiert. Der spätere Hitler-Biograph Konrad Heiden urteilte, „die Reaktion der Mehrheit sei lauwarm oder gar negativ gewesen“.[9] Am Tag nach der Rede trafen sich Thyssen, Albert Vögler und Ernst Poensgen mit Hitler, Göring und Röhm auf Thyssens Schloss Landsberg.[10] Im April 1932 sprach dann noch einmal Göring vor dem Industrieclub.[11]

Inhalt

Hitler sprach in seiner Rede hauptsächlich über sein Geschichts- und Menschenbild. Er unterschied sich dabei nicht wesentlich von seinen diesbezüglichen Ausführungen in seiner Schrift „Der Weg zum Wiederaufstieg“ vom Sommer 1927. Den Antisemitismus der NSDAP und ihr mit sozialistischen Versatzstücken durchsetztes 25-Punkte-Programm erwähnte er nicht. Auch auf aktuelle wirtschaftspolitische Fragen, etwa wie die Weltwirtschaftskrise bekämpft werden könne oder wie mit den in der Bankenkrise de facto verstaatlichten Großbanken weiter verfahren werden solle, ging er mit keinem Wort ein. Vielmehr erläuterte er ausführlich und mit zahlreichen historischen Beispielen seine These, dass es vor allem auf die Politik und den in ihr wirksamen Willen ankomme, weniger auf außenpolitische Rahmenbedingungen wie den Versailler Vertrag. Diese überraschende Feststellung war ein Seitenhieb gegen den vom Reichsverband der Deutschen Industrie immer noch unterstützten Reichskanzler Heinrich Brüning, dem man allgemein die Zahlungspause bei den Reparationszahlungen als großes Verdienst anrechnete. Letzte Ursache der deutschen Misere sei gar nicht die Weltwirtschaftskrise, die Hitler sozialdarwinistisch als naturwüchsige Überproduktionskrise erklärte, sondern ein Mangel an Einheit und Einheitlichkeit im Volk. In diesem Zusammenhang polemisierte er entschieden gegen die Demokratie. Der ihr zugrunde liegende Gedanke der Gleichheit aller Menschen bedeute nämlich „eine Majorisierung des Genies, eine Majorisierung der Fähigkeit und des Persönlichkeitswertes“. Mit diesem Bekenntnis zur Ungleichheit der Menschen verband Hitler eine sozialdarwinistisch verstandene Bejahung des Privateigentums und der Einkommensunterschiede im Volk. Der Klassenkampf müsse überwunden werden, denn Deutschland stehe an einem Scheideweg:

„Nimmt die derzeitige Entwicklung ihren Fortgang, so wird Deutschland eines Tages zwangsläufig im bolschewistischen Chaos landen, wird diese Entwicklung aber abgebrochen, so muß unser Volk in eine Schule eiserner Disziplin genommen und langsam vom Vorurteil beider Lager geheilt werden. Eine schwere Erziehung, um die wir aber nicht herumkommen!“

Zu dieser Erziehung zur Einheit benötige man einen Glauben und ein weltanschauliches Programm, wie seine Partei es anbiete. Würden dadurch Deutschlands Einheit und seine Stärke wiederhergestellt, dann stelle sich auch der wirtschaftliche Aufschwung ganz von selber wieder ein. Für einen solchen Wiederaufstieg hatte Hitler kein Patentrezept zur Hand, stellte aber drei verschiedene Möglichkeiten in Aussicht: Eine sei die Gewinnung neuer Exportmärkte im klassisch-liberalen Sinn; als nächstes erwähnte er die Stärkung des deutschen Binnenmarktes im Sinne der Kaufkrafttheorie, wie sie von den Sozialdemokraten befürwortet wurde; ein binnenwirtschaftliche Autarkie, die von den weiterhin auf den Weltmarkt orientierten Wirtschaftsführern befürchtet wurde[12], bezeichnete er als „nur sehr schwer“ realisierbar; als drittes nannte er die Eroberung von neuem Lebensraum, wie es in Wahrheit seiner in Mein Kampf festgehaltenen Programmatik entsprach. [13]

Forschung

Die Veranstaltung galt lange als ein politischer Durchbruch für Hitler. Sie wird oft als ein Beleg dafür angeführt, die Großindustrie habe massiv zum Aufstieg der NSDAP beigetragen.[14] Als Beleg werden oftmals die Thyssen-Memoiren angeführt, in denen Thyssen schrieb:

„Diese Rede machte einen tiefen Eindruck auf die versammelten Industriellen, und als Ergebnis floß eine Zahl von bedeutenden Zuwendungen aus den Quellen der Schwerindustrie in die Kassen der NSDAP“[15]

Der Historiker Reinhard Neebe beurteilte die Rede 1980 als eine wichtige Stufe in der Anerkennung der nationalsozialistischen Bewegung durch die Schwerindustrie.[16] Andere Forscher können in der Rede keinen Erfolg Hitlers erkennen. Gerhard Schulz stellte bereits 1975 fest, die Wirkung der Rede sei nicht gewesen „daß der Industrieclub ‚mit fliegenden Fahnen in das Lager Hitler‘ eilte“.[17] Der amerikanische Historiker Henry A. Turner glaubt ebenfalls nicht daran, dass die Großunternehmer nach der Rede eine Machtübernahme Hitlers gewünscht hätten. Hitler sei es auch gar nicht darauf angekommen, sie auf seine Seite zu ziehen, sondern „daß er lediglich versuchte, die Großindustrie zu neutralisieren.“[18] Wie Thomas Trumpp herausgearbeitet hat, stießen insbesondere Hitlers antisozialistischen Ausführungen auf Interesse der Zuhörer, die erhofften finanziellen Zuwendungen blieben allerdings aus.[19] Erst bei einem Treffen im Februar 1933, als Hitler schon Reichskanzler war, öffneten sie für die NSDAP ihre Scheckbücher. Der Militärhistoriker Hans Erich Volkmann verweist darauf, dass die Unklarheit der Industriellen darüber, was die NSDAP nach einer Machtergreifung wirtschaftspolitisch konkret vorhatte, auch nach der Rede fortbestand.[20] Daher änderte, wie Andreas Schliedper nachweist, die Rede im Industrie-Club auch wenig daran, dass die Spitzen der Industrie die politische Lösung zwar in einer Rechtskonstellation, aber nicht unbedingt mit der NSDAP suchten. Die Partei spielte in ihrem Kalkül keine zentrale Rolle. Man glaubte, sie eher benutzen und sie dadurch auszehren zu können.[21]

Einzelnachweise

  1. The Nazi Germany sourcebook: an anthology of texts, Routledge 2002, p. 104
  2. a b c Auch zum Folgenden Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 260
  3. Thomas Trumpp: Zur Finanzierung der NSDAP durch die deutsche Großindustrie. Versuch einer Bilanz. In: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur. Eine Bilanz. Bonn, 1986, ISBN 3-921352-95-9, S. 144.
  4. zum Wagemann-Plan Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 318f; Rainer Meister, Die große Depression. Zwangslagen und Handlungsspielräume der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland 1929–1932, transfer Verlag Regensburg 1991, S. 343–51.
  5. zit. nach Thomas Trumpp: Zur Finanzierung der NSDAP durch die deutsche Großindustrie. Versuch einer Bilanz. In: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur. Eine Bilanz. Bonn, 1986, S. S. 144.
  6. Manfred Dammer: Generalangriff des Kapitals
  7. Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 266 und 485
  8. Paul Kleinewefers: Jahrgang 1905, Ein Bericht. Stuttgart 1977, S. 76
  9. Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 264
  10. Ernst Poensgen: „Hitler und die Ruhrindustriellen. Ein Rückblick“. Typoskript, 1945 zitiert nach: Willi Eichler: „Europe speaks“. Heft 61, London 1945. online
  11. Georg Franz-Willing: Die Hitler-Bewegung 1925 bis 1934. Preußisch-Oldendorf 2001, S. 336.
  12. Harold James, Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924–1936. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1988, S. 272
  13. Der Wortlaut der Rede, hier die Zitate; Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 261ff
  14. sp z.B. bei Louis P. Lochner, Die Mächtigen und der Tyrann. Die deutsche Industrie von Hitler bis Adenauer, Verlag Franz Schneekluth, Darmstadt, S. 107
  15. Hier zitiert nach: Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin
  16. Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930–1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 45. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981, ISBN 3-525-35703-6, S. 119.
  17. Gerhard Schulz, Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland, Propyläen, Berlin 1975, S. 716
  18. Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 270
  19. Thomas Trumpp: Zur Finanzierung der NSDAP durch die deutsche Großindustrie. Versuch einer Bilanz. In: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur. Eine Bilanz. Bonn, 1986, ISBN 3-921352-95-9, S. 144.
  20. Hans Erich Volkmann, Zur europäischen Dimension nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik, in: ders., Ökonomie und Expansion. Grundzüge der NS-Wirtschaftspolitik. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Bernhard Chiari, Oldenbourg, München 2003, S. 66
  21. Andreas Schlieper: 150 Jahre Ruhrgebiet. Ein Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte. Düsseldorf, 1986 ISBN 3-590-18150-8, S. 133.

Weblinks

Literatur

  • Henry Ashby Turner Jr.: Legende und Wirklichkeit. Hitlers Rede vor dem Düsseldorfer Industrieclub am 26. Januar 1932. Industrie-Club, Düsseldorf 2001 (Sonderdruck).
  • Volker Ackermann: Treffpunkt der Eliten. Die Geschichte des Industrie-Clubs Düsseldorf. Industrie-Club Düsseldorf, Düsseldorf 2006, ISBN 3-7700-1236-4.

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