- Šāh Walīyullāh ad-Dihlawī
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Šāh Walīyullāh ad-Dihlawī oder auch Shah Waliullah (* 21. Februar 1703 in Phulat bei Muzaffarnagar; † 20. August 1762 in Delhi) ist ein bedeutender indisch-islamischer Denker des 18. Jahrhunderts. Er entstammt einer Gelehrtenfamilie in Delhi. Ebenso wie sein Vater arbeitete er an der Zusammenstellung der Rechtsgutachtensammlung Al-fatāwa-l-hindīya-l-ʿĀlamġīrīya mit, welche für den Herrscher Muḥammad Aurangzeb ʿĀlamġīr (reg. 1658–1707) bestimmt war, die jedoch erst nach dessen Tod in deren endgültigen Form vollendet werden konnte.
Er verbrachte einige Jahre in Mekka und studierte dort im Umfeld der Heiligen Stätten, wobei er verbreitetes puritanisches Gedankengut kritisch rezipierte. Er lehnte die unkritische Befolgung (Taqlid) der vier Rechtsschulen ab und forderte stattdessen, dass juristische Auffassungen direkt auf dem Koran und der Prophetenüberlieferung (Sunna) zu beruhen haben. Insofern wurde er Teil einer Gelehrtengeneration, die sich um eigenständige Ansätze für die Glaubenspraxis bemühte. Ebenso verwarf er die bei den Sufis verbreitete Verehrung von Heiligengräbern. Nach seiner Rückkehr nach Indien setzte er den eingeschlagenen Weg seiner Methodik fort und befasste sich dort im Rahmen seiner Möglichkeiten mit der Erneuerung der islamischen Glaubenspraxis.
Seine Einstellung verbindet ihn mit Persönlichkeiten wie Muḥammad b. ʿAlī aš-Šaukānī (1760–1832) und Muḥammad b. ʿAbd al-Wahhāb (1703–1792). Trotz der Ähnlichkeiten ist er durchaus eigenständig, denn er unterscheidet sich von den Genannten dadurch, dass er zwar bestimmte Praktiken des Sufismus verwarf, aber an vielen ihrer Lehren festhielt. Inwieweit er die Sufiorden reformieren konnte, mag dahingestellt sein. Tatsache ist, dass Shah Waliullah in vier Sufi-Orden eingeweiht war, also an deren Praxis Anteil nahm. Die Sufiorden sah er untereinander als ebenbürtig an, da sie nach seiner Auffassung alle jeweils einen Teil der erreichbaren spirituellen Erfahrung innehatten. Ebenso betrachtete er die vier Rechtsschulen des sunnitischen Islams als gleichrangig, wenngleich er selbst von Hause aus der hanafitischen Rechtsschule angehörte. In seinem in Arabisch verfassten Werk Ḥuǧǧatu-l-lāh al-bāliġa hat er die Probleme und das Leben der Muslime in Indien mit Blick auf glaubenspraktische Fragestellungen verarbeitet. Er hat viele Werke in Arabisch und Persisch geschrieben, darunter eine Koranübersetzung ins Persische, um diese, von den seiner Meinung nach Sinn-verschleiernden Korankommentaren zu befreien, darauf abzielend, den Koran den gebildeten Muslimen näherzubringen.
Šāh Walīyullāh war ein Berater der Regierung in Delhi und schätzte den Rohilla-Führer Najib ad-Daula wegen dessen persönlichen Einsatz für den sunnitischen Islam.
Sein Sohn war Shah Abdul Aziz.
Historisch betrachtet, übten Šāh Walīyullāhs Lehren auf die weitere Entwicklung der Tarīqa-yi Muḥammadīya und der Ahl-i Hadîth in Südasien einigen Einfluss aus.
Literatur
- Annemarie Schimmel: Im Reich der Großmoguln Geschichte, Kunst, Kultur. C. H. Beck, München 2000, ISBN 3-406-46486-6.
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