Altlasten in den Meeren

Altlasten in den Meeren

Altlasten in den Meeren belasten alle Weltmeere.

Inhaltsverzeichnis

Kampfmittel

In den Weltmeeren werden nach wie vor Kampfmittel verklappt. In den europäischen Meeren wurden nach den Weltkriegen Gewehrpatronen ebenso wie mit bis zu einer halben Tonne hochgiftigem Sprengstoff bestückte Seeminen und Torpedos verklappt. Oft sind die Metallhüllen dieser Sprengkörper bereits so stark korrodiert, dass Sprengstoffe herausbröckeln und die Meeresumwelt bedrohen.

Nord- und Ostsee

Zwischen 400.000 und 1,3 Millionen Tonnen konventioneller Munition werden nach schätzungen des NABU als gefährliches Erbe zweier Weltkriege am Grund von Nord- und Ostsee vermutet.[1]

Im europäischen Nordmeer versenkte die Britische Marine nach den Weltkriegen Munition und chemische Kampfstoffe im Meer. Die genaue Menge und Aufteilung ist unbekannt, sicher ist jedoch, dass ein – vermutlich kleinerer – Teil im Nordmeer landete.[2] Im Bereich des Umweltschutzes fällt das Europäische Nordmeer vor allem in den Bereich des OSPAR-Übereinkommens.

Kampfmittel, konventionelle Munition und Waffen wurden unter anderem in Form von Granaten, Bomben, Minen, Panzerfäusten und Patronen in großer Menge nach dem Zweiten Weltkrieg im Meer versenkt. Auszugehen ist von insgesamt 18 Munitionsversenkungsgebieten (MVG) in den Küstengewässern von Nord- und Ostsee. Die Gesamtmenge der Munition ist unbekannt. Ein Teil solcher Munition wurde bereits geborgen, besonders in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

In den an Dänemark grenzenden dänischen Hoheitsgewässern im südlichen Ausgang des Kleinen Belt ein größeres Munitionsversenkungs Gebiet (MVG), dessen Tabungranaten 1959 und 1960 geborgen und anschließend im Golf von Biscaya erneut versenkt wurden.

In der schleswig-holsteinischen Nordsee wurden südwärts Helgoland rund 6000 Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg versenkt, die ursprünglich mit dem Kampfstoff Tabun befüllt waren. Eine Bergung dieser Munition ist nach eingehender Prüfung durch Experten vom Land Schleswig-Holstein verworfen worden, da diese mit einem erheblichen Risiko für die Gesundheit der Bergungskräfte verbunden wäre und eine unmittelbare Gefahr für unbeteiligte Personen oder die Umwelt aufgrund der schnellen chemischen Umsetzungs- sowie Verdünnungsprozesse im Meerwasser nicht zu erwarten ist. Möglicherweise wurde ein Teil der Munition auch schon auf Fahrten zu MVGs über Bord gegeben.

Umweltfolgen

Zur Beurteilung der Auswirkungen von Kampfmitteln auf die Meeresumwelt liegen bisher nur wenige Untersuchungen vor. In Deutschland hat das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MLUR) des Landes Schleswig-Holstein Analysen in Küstengewässern veranlasst und im September 2008 gemeinsam mit dem Innenministerium die „Arbeitsgruppe Munition“ eingerichtet. Sie soll die Erstellung eines umfassenden Lagebilds zu der in der deutschen Nord- und Ostsee lagernden Munition erstellen. In einem ersten Schritt hat wurde generell festgestellt, dass bei frei am Meeresboden liegender Munition das Problem der Korrosion und der allmählichen Schadstofffreisetzung besteht, dass jedoch eine signifikante Belastung der betroffenen Küstengewässer-Wasserkörper bzw. der Küstenmeere im Sinne der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bzw. der schleswig-holsteinischen Wasserrahmenrichtlinien-Verordnung durch die Munition nicht gesehen wird.

Durch fortschreitende Korrosion können demnach Munitionsinhaltstoffe freigesetzt werden. Laut Landesbehörden Schleswig-Holsteins geht dies aber mit einer voraussichtlich lokal begrenzten und nur in einem kleinen bzw. sehr kleinen Teil eines Wasserkörpers stattfindenden langsamen Schadstofffreisetzung einher. Letzteres hängt unter anderem mit dem sehr unterschiedlichen Korrosionszustand der einzelnen Munitionskörper zusammen. Nach den Untersuchungen ist der Zustand der versenkten Kampfmittel unterschiedlich und hängt von den physikochemischen Bedingungen am Versenkungsort, dem Material und der ursprünglichen Wandstärke der Munition ab.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hält die Bedrohung durch die Kampfstoffe für gering. Sie stützt sich auf die chemische Untersuchung eines sieben Quadratkilometer großes Areals vor der Kieler Förde. In diesem Gebiet liegen mindestens zwei Munitionsdepots. Im Jahr 2007 wurden im Bereich des Munitionsversenkungsgebietes Kolberger Heide Wasser- und Sedimentproben genommen.[3]

TNT wird laut der Umweltverbände NABU, der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine in Sprengstoffpartikel freigesetzt. Sie könnten von den Strömungen an Strände transportiert oder von Muscheln aufgenommen werden und damit in die Nahrungskette gelangen. Diese Gefahr ist bisher nicht untersucht worden.[4]

Auch besteht die Gefahr, dass Krebs erregende Schießwolle – ein Gemisch aus Trinitrotoluol (TNT), Hexannitro-Diphenylamin und Aluminium – an die Strände gespült wird.

Erdbebenmessgeräte registrieren regelmäßig Detonationen im Meer.

Radioaktive Stoffe

Atommüllverklappung

Radioaktive Abfälle konnten legal im Meer verklappt werden, bis diese Vorgehensweise zumindest für Feststoffe 1994 von der International Maritime Organisation (IMO) verboten wurde. Sämtliche Atommüll produzierenden Länder haben bis dahin in weniger als 50 Jahren wesentlich mehr als 100.000 Tonnen radioaktiven Abfall im Meer versenkt.

Die USA haben gegenüber der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) eingeräumt, von 1946 bis 1970 über 90.000 Container mit radioaktivem Abfall vor ihren Küsten versenkt zu haben.

Laut Nuclear Energy Agency (NEA) und der IAEO haben 9 Staaten an 15 Stellen im Nordostatlantik bis 1982 insgesamt 114.726 Tonnen Atommüll in 222.732 Fässern versenkt.[5].

Die Briten haben hierbei mit 80 % den größten Anteil beigesteuert, gefolgt von der Schweiz, die bis 1982 schwach- und mittelaktive Abfälle sowie radioaktive Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung unter der Führung der OECD im Nordatlantik versenkt hat.[6] Aus Deutschland wurden einige hundert Tonnen Atommüll im Meer entsorgt[7][8] - das Referat III B4 im Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung initiierte die erste internationale Versenkungsaktion. Dabei verklappten Deutschland, England, Frankreich, Belgien und die Niederlande 1967 insgesamt 10.895 Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Abfall 400 Kilometer vor der Küste Portugals. Der deutsche Atommüll stammte von der Gesellschaft für Kernforschung mbH in Karlsruhe. Es folgen weitere internationale Verklappungen.

Jahrzehntelang wußte die Öffentlichkeit nichts davon. Erst in den 1980er Jahren machte Greenpeace mit spektakulären Aktionen auf das Problem aufmerksam. Im Jahre 2000 veröffentlichte Greenpeace Unterwasseraufnahmen von aufgeplatzten und löchrigen Atommüllfässern, die in einer Tiefe von etwa 100 Metern im Ärmelkanal gefunden wurden. Im selben Jahr untersuchte die Bundesforschungsanstalt für Fischerei das deutsche Versenkungsgebiet im iberischen Atlantikbecken und stellte in ihrem Abschlussbericht fest, „dass aus den Abfallbehältern frei gesetzte Radioaktivität in der Biosphäre angekommen ist“. Im Jahr 2005 wurden die letzten Untersuchungen in den Versenkungsgebieten durchgeführt, allerdings waren die Messergebnisse aufgrund technischer Probleme unbrauchbar.[9] Dabei wird dort intensiv Fisch gefangen.

Die IAEO arbeitet derzeit (2011) an einem aktualisierten Bericht über Alpha-, Beta- und Gammastrahler, des gesamten radioaktive Material, das versenkt wurde.

Atommülleinleitungen

Die direkte Einleitung von radioaktiven Abwässern in das Meer ist jedoch nach wie vor legal und wird auch noch praktiziert: Die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague spült über ein viereinhalb Kilometer langes Rohr täglich 400 Kubikmeter radioaktives Abwasser in den Ärmelkanal.[10] Auch in Sellafield werden ganz legal radioaktive Abwässer in die Irische See eingeleitet. Diese Einleitungen übersteigen die Einleitungen aus La Hague für fast alle Nuklide.

Umweltfolgen

Nach Angaben der IAEO wurde bereits 1992 Plutonium in Fischen aus den Versenkungsgebieten nachgewiesen. Nach einem einem Bericht der internationalen Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Nordatlantiks (OSPAR) aus dem April 2010 wurden in Wasserproben, im Sediment und in Fischen aus den Versenkungsgebieten erhöhte Konzentrationen von Plutonium 238 nachgewiesen. An einigen Stellen waren auch die Konzentrationen von Plutonium 239, Plutonium 240, Americium 241 und Kohlenstoff 14 im Wasser erhöht.[11] Das deute laut OSPAR auf undichte Fässer hin.[12]

Das ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ berichtete am 1. November 2011 über die Altlasten im Atlanik. Dieser Bericht löste Reaktionen im Deutschen Bundestag aus. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte die Bundesregierung auf, die Rückholung der Atommüllfässer zu prüfen.[13]

Off-shore-Plattformen

Weltweit werden nicht mehr genutzte Off-Shore-Plattformen im Meer versenkt.

Allein im Golf von Mexiko müssen jährlich etwa 100 Ölplattformen entsorgt werden. Die Verschrottung an Land ist ziemlich teuer. Nachdem zum Beispiel die Ölfelder ausgeschöpft sind, besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, die Förderplattform zu versenken (vgl. z. B. Brent Spar) und auf diese Weise ein künstliches Korallenriff zu schaffen. Aufgrund der starken Verschmutzung einer solchen Industrieanlage ist dieser Weg der Entsorgung aber kaum umsetzbar, ohne die meistens schon belastete Umwelt weiter zu schädigen. Deswegen beschlossen die 15 Teilnehmerstaaten der OSPAR-Konferenz 1998 ein Versenkungsverbot für Ölplattformen im Nordatlantik.

Plattformen aus anderer Nutzung dürfen allerdings wieterhin versenkt werden.

Jürgen Rullkötter, Professor für Geochemie hält einen kontrollierten Abbau aller Plattformen in der Nordsee für nicht möglich, da sie zu massiv konstruiert sind. Als Alternative wurde diskutiert, die Plattformen mit einer Folie und mit Sand zuzudecken und dann Gesteinsbrocken darauf zu versenken. Dies zögere die Umweltbelastung aber nur hinaus. Rullkötter weist darauf hin, dass in den Tanks noch Rückstände von Öl oder asphaltartigem Material seien, die man nicht ohne Weiteres abpumpen kann. Die Firma Shell will einige ihrer Bohrplattformen aus dem Brent-Ölfeld bis 2012 aufgeben (Brent Alpha, Bravo, Charly und Brent Delta) und versucht kostengünstige Lösungen für deren Entsorgung zu ermitteln.[14]

Einzelnachweis

  1. http://www.nabu.de/nabu/nh/jahrgang2008/heft4/10139.html
  2. Paul A. Tyler: Ecosystems of the Deep Oceans: Ecosystems of the World Elsevier, 2003 ISBN 0-444-82619-X, S. 434
  3. http://www.schleswig-holstein.de/UmweltLandwirtschaft/DE/WasserMeer/07_KuestengewMeere/08_Munition/ein_node.html
  4. http://www.sueddeutsche.de/wissen/altlasten-vor-der-kueste-explosives-auf-dem-ostsee-grund-1.836742
  5. Auslaufende Atommüllfässer beunruhigen Abgeordnete und Umweltverbände, 01.11.2011
  6. Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen, Entsorgungsnachweis: Etappe auf einem langen Weg, 2005, PDF-Datei.
  7. Deutschlandfunk - Dossier - Ewig strahlend? (Teil II) (PDF)
  8. Lasse Ringius: Radioactive waste disposal at sea: public ideas, transnational policy entrepreneurs, and environmental regimes. MIT Press, Cambridge 2001, ISBN 0-262-18202-5 0-262-68118-8; S.25, @google books
  9. http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/11/02/International/Strahlenalarm-Atommuell-Faesser-im-Atlantik-undicht Atommüll-Fässer im Atlantik undicht, Schweizer Fernsehen 2. November 2011
  10. Reimar Paul: Dokumentation über Atommüll: Und ständig wächst der Abfallberg, taz.de. 13. Oktober 2009. Abgerufen am 7. November 2010. 
  11. OSPAR-Positionspapier zu den Auswirkungen der Tiefseeversenkungen von radioaktivem Abfall (RSC 10/4/3-E), das Report Mainz exklusiv vorliegt
  12. http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/11/02/International/Strahlenalarm-Atommuell-Faesser-im-Atlantik-undicht Atommüll-Fässer im Atlantik undicht, Schweizer Fernsehen 2. November 2011
  13. http://www.swr.de/report/presse/-/id=1197424/nid=1197424/did=8816112/mj8ise/index.html
  14. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/1260791/

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