Der Seele Ruh

Der Seele Ruh

Der Seele Ruh ist ein Oratorium des Komponisten, Keyboarders und Countertenors Roland Kunz nach Worten des mittelalterlichen Mystikers Eckhart von Hochheim, genannt „Meister Eckhart“. Die Orchestrierung stammt von dem Komponisten und Pianisten Frank Zabel. Das Oratorium entstand im März und April 2009 als Auftragswerk des Bayerischen Rundfunks – Studio Franken zum 750. Geburtstag von Meister Eckhart im Jahr 2010.

Inhaltsverzeichnis

Besetzung

Das Werk fordert einen ungewöhnlichen Aufführungsapparat. Er umfasst neben zwei Countertenören (bzw. Altstimmen ad libitum) als Gesangssolisten plus traditionellem vierstimmigem Chor auch eine vierköpfige Band (mit Keyboard, Fretless Bass, Schlagzeug und Percussion) und ein groß besetztes Symphonieorchester. Dieses besteht aus Piccoloflöte, Flöte, Oboe, Englischhorn, Klarinette, Bassklarinette, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 2 Tenorbassposaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug (Crotales, Glockenspiel, Xylophon, Vibraphon, Antike Zymbeln, Becken, hängendes Becken, Tamtam, Triangel, gr. Trommel, kl. Trommel, Schellentambourin, Wind chimes (Röhrenglocken), Odaiko, Harfe und Streicher).

Libretto und formaler Aufbau

Das Libretto des Meister-Eckhart-Oratoriums besteht ausschließlich aus Texten des mittelalterlichen Mystikers – teils in mittelhochdeutschem und lateinischem Original, teils in deutscher Übertragung. Die 21 ausgewählten Texte entsprechen den 21 Musiknummern des zweiteiligen Oratoriums.

1. Teil
Nr. 1 Di sele suchit ruwe (Chor)
Nr. 2 Supplico ergo vobis (Chor/Band)
Nr. 3 Du sollst allzumal entsinken (Countertenor/Chor)
Nr. 4 Die hitze des fures di burnit (Countertenor/Chor/Band)
Nr. 5 Gott ist, was er ist (Countertenöre)
Nr. 6 Ich habe gesagt (Countertenöre/Chor/Band)
Nr. 7 Wenn die ganze Welt (Chor)
Nr. 8 Nirgendwo (Countertenor/Band)
Nr. 9 War umbe lebest du? (Chor)
Nr.10 Zerginge das Feuer (Countertenöre/Chor/Band//Odaiko)
2. Teil
Nr. 11 Der wise meister Hechart(Chor/Band)
Nr. 12 Darum ist Abgeschiedenheit (Countertenöre/Chor/Band)
Nr. 13 Die Seele hat Kräfte (Countertenor)
Nr. 14 Gott ist in allen Dingen (Chor)
Nr. 15 Der Himmel ist rein (Countertenor/Band)
Nr. 16 Et ego dico vobis (Chor/Band)
Nr. 17 Lausch denn auf das Wunder (Countertenöre)
Nr. 18 Soll Gott sein Wort in der Seele sprechen (Chor/Band)
Nr. 19 Ruhe (Countertenöre/Chor)
Nr. 20 Du sollst allzumal entsinken (Countertenöre/Chor)
Nr. 21 Geh in deinen Grund und wirke dort (Chor/Band)

Musik

Als Roland Kunz damit begann, sich mit dem Gedankengut Meister Eckharts zu beschäftigen, waren es zunächst die Eckhartschen „Wort-Welten“, die den Komponisten in Bann zogen, etwa die assonanzhaltige Formulierung: „Du sollst allzumal entsinken deiner Deinesheit und sollst zerfließen in seine Seinesheit.“ Aus den „Wort-Welten“ wurden in der kompositorischen Umsetzung „Klang-Welten“. „Eckharts ‚Wort-Welten’“, so Roland Kunz, „sind Musik. Es sind Klänge, die aus einem nach Harmonie und Ruhe strebenden Strom eine zuweilen sich aufbäumende Kraft und Rhythmik entwickeln.“

Orchestriert von Frank Zabel ist die Komposition von Roland Kunz farb- und formenreich. Im Wechsel von Tutti-Chören, Männer- und Frauenchören, Soli und Duetten der Countertenöre, einem Melodram und rein-instrumentalen, symphonischen Passagen schlägt die Musik eine Vielfalt von Tonfällen an – zwischen Schlichtheit (etwa in dem in Terzenparallelen geführten Countertenor-Duett zu sparsamster Holzbläser-Begleitung der Nr. 5) und massiv-monumentalen choralen und orchestralen Klängen (etwa im abschließenden Choral der Nr. 21 mit dem „Laisser-Vibrer“-Effekt des Schlagzeugs am Ende). Ferner sind „moderne“ Band-Sounds zu hören und finden ihr Gegenstück in der Beschwörung mittelalterlicher Musik (z.B. in den „leeren“ Quart-Oktavklängen des Chores „Zerginge das Feuer“ der Nr. 10, die von einer Schlagzeug-Attacke der japanischen Großtrommel Odaiko eingeleitet wird und in einem Zitat der Dies irae-Tonfolge kulminiert). Außerdem gibt es immer wieder folkloristische Anklänge, wie beispielsweise die jüdische Musik à la Gustav Mahler evozierende Nr. 9 mit ihrer Mischung aus Tanz- und Marschcharakteren. Hinzu kommen tonmalerische Partien wie das Flammen-Züngeln zu Beginn der Nr. 4 „Die hitze des fures di burnit“ oder die „fließende“ Kantilene zu den Worten „und Gott ist aus Gott geflossen“ in der Schlusspartie des ersten Teiles. Zur Rubrik Tonmalerei gehört auch das auskomponierte Fadeout am Ende der Arie „Nirgendwo ist Gott so Gott wie in der Seele“, realisiert zu den Worten „denn sie ist seine Ruhestatt“. Nicht zuletzt durchzieht Der Seele Ruh eine Art Leitmotivik. Geheimer „Main Title“ des Oratoriums ist in dieser Hinsicht ein Motiv, das erstmals zu Beginn der Nr. 3 im Englischhorn und in den Streichern erklingt und dann die gesamte Partitur im Original oder in Anspielungen durchzieht.

Zahlensymbolik

Bei aller Klangsinnlichkeit steht hinter dem Meister-Eckhart-Oratorium eine planvolle Disposition. So besteht das Werk aus 21 Musiknummern – einer Zahl, die sich aus der Multiplikation von 3 und 7 ergibt. In der christlichen Zahlensymbolik steht die „3“ für Gott und die „7“ für Geistseele und Körper, also für das Menschliche. Die 21 Musiknummern des Oratoriums symbolisieren insofern die Vereinigung von Gott und Mensch. Überlagert ist diese Zahlensymbolik in der Anlage des Werks von der Vorstellung eines Heptagramms, der Figur der Verbindungslinien in einem Heptagon oder Siebeneck. Vielfach fungiert der Heptagramm als ein Symbol für Perfektion, während das Heptagon in Grabkapellen und auf Gräbern als Signum für ewige Ruhe verwendet wird. Durch die Idee des Heptagramms kommt eine weitere „magische“ Zahl ins Spiel – die „14“. Hat doch der Heptagramm neben 7 Spitzen auch 14 Schnittpunkte. Dementsprechend markieren die Nummern 3, 7 und 14 im Ablauf des Oratoriums charakteristische „Knotenpunkte“: „Du sollst allzumal entsinken deiner Deinesheit“ (Nr. 3) exponiert jenes geheime Leitmotiv des Werks. Doch noch charakteristischer sind die Nummern 7 und 14 des Oratoriums. Die Nr. 14 bringt den insistierenden Effekt einer vom Chor skandierten Sprechfuge, ausgehend von den Worten „Gott ist in allen Dingen“. Die Nr. 7 aber, ein schlichter, reiner a-capella-Chorsatz (wiederum ohne jede Band- oder Orchesterbeteiligung), bringt die vielleicht zentrale Aussage des gesamten Oratoriums zur Sprache. Es ist die entscheidende Frage nach der Art und Weise, in der die Seele ihren Frieden, ihre Ruhe findet. Antwort: „Wenn die ganze Welt abfällt von der Seele, dann kommt die Seele zur Ruhe“.

Aufführungen und Einspielung

Der Seele Ruh wurde am 11. Juni 2010 im Rahmen der 59. Internationalen Orgelwoche Nürnberg – Musica Sacra uraufgeführt. Die Gesangssolisten waren Andreas Scholl und Roland Kunz (Countertenor). Ferner sang der orpheus chor münchen, Einstudierung Gerd Guglhör. Es spielte Roland Kunz’ Band Orlando & die Unerlösten und das Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Anu Tali. Mit den Interpreten der Uraufführung erschien auch eine Einspielung des Werks auf CD. Eine Folgeaufführung – mit denselben Ausführenden – wird am 22. September 2012 in der Frauenkirche in Dresden stattfinden.

Presseecho

Die mit farbig-opulenten Lichtinstallationen inszenierte Aufführung in der Nürnberger Sebalduskirche scheint bisher keine überregionale Reaktion in der Fachpresse erfahren zu haben. Die örtlichen Presse wertet das Stück als "Sakral-Pop"[1] und "kunsthandwerklichen Edelkitsch" [2]. Bemängelt werden im Einzelnen der "süffige" und "weichgespülte Wabersong", der "Breitwandsound mit seinen abgegriffenen Orchestrierungseffekten zwischen Doku-Drama und Kino-Melodram", eine "begrenzte Erfindungsgabe" des Komponisten und die Banalisierung der Texte, Textbuchautor und Komponist verfehlten die spirituelle Gotteserfahrung des mittelalterlichen Mystikers.

Einzelnachweise

  1. *Abgerutscht in den banalen Sakral-Pop, Rezension der Aufführung in der Nürnberger Zeitung
  2. ION: Kunsthandwerklichen Edelkitsch, Rezension in den Nürnberger Nachrichten

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