Deutungsmacht

Deutungsmacht

Deutungsmacht ist ein kritisches Konzept der normativen Sozialwissenschaften und der Wissenschaftssoziologie. Damit soll die Selbstkritik von Protagonisten dieser Disziplinen, d. h. von Vertretern z. B. der Psycho-Fächer (Psychiatrie, Psychologie, Psychosomatik und Psychoanalyse) vor allem hinsichtlich des von ihnen beanspruchten gesellschaftlichen Prestiges herausgefordert werden. Diese Selbstkritik erscheint zur Wahrung des emanzipatorischen Interesses erforderlich, das diesen Fächern eigen ist.[1] Mit Hilfe dieses Konzepts soll überprüft werden, ob die geleistete Arbeit und ihre Methoden der sozialen Zielgruppe dienen, so z. B. den psychisch Kranken und ihrer Gesundheit und nicht etwa vorwiegend dem eigenen gesellschaftlichen Prestige oder anderen persönlichen Vorteilen, z. B. dem Gruppennarzissmus der jeweiligen Vertreter dieser Wissenschaften. Es handelt sich also um Fragen der Methodenvalidierung und Evaluation dieser Wissenschaften.

Inhaltsverzeichnis

Erläuterung

Wenn Deutungsmacht eine Form der Machtausübung darstellt, so ergibt sich die besondere Form dieser Machtausübung aus der Definitionsmacht. Sofern Definitionsmacht im gewaltfreien Diskurs zwischen Betroffenen ausgehandelt wird, ist sie demokratisch unbeanstandbar, trägt sie jedoch konflikthafte Züge oder wird sie von einem Beobachter unter asymmetrischen Perspektiven durchgeführt oder erweist sie sich von sozial unterschiedlichen Rollen zwischen den Betroffenen abhängig, so erfüllt sie die von einem unabhängigen Beobachter erwarteten sozialwissenschafltlichen Voraussetzungen nicht.[2] Hieraus ergeben sich z. B. spezielle Kritikpunkte aus unterschiedlicher sozialmedizinischer und medizinsoziologischer Sicht etwa was das Definitionsmonopol der Ärzteschaft angeht als einer professionellen Berufsgruppe mit erheblichem rechtlichem Einfluss bei Fragen der medizinischen Begutachtung im Sinne eines gesellschaftspolitischen Mandats.[3] Demgegenüber sind rechtliche Stellung und Einfluss von Selbsthilfeorganisationen betroffener Patienten durchaus als asymmetrisch anzusehen. Fragen der medizinrechtlichen Begutachtung sind insbesondere in den Psychofächern weitgehend als Rechtsinterpretationen aufzufassen und somit als Gegenstand von Deutungsmacht (→ Forensische Psychiatrie).

Einige problematische Beispiele

Weblinks

Einige wichtige Werke

Nachweise

  1. Habermas, Jürgen: Erkenntnis und Interesse. In: Technik und Wissenschaft als »Ideologie«. [1968] Edition 287, Suhrkamp, Frankfurt 41970, Seite 155
  2. Schmid, Herman: Friedensforschung und Politik in: Senghaas, Dieter: Kritische Friedensforschung. edition suhrkamp 478, Frankfurt am Main 1971, Seite 36
  3. Siegrist, Johannes: Lehrbuch der Medizinischen Soziologie. Urban & Schwarzenberg, München 3 1977, ISBN 3-541-06383-1, Seite 171
  4. Pohlen, Manfred und Margarethe Bautz-Holzherr: Psychoanalyse. – Das Ende einer Deutungsmacht. rororo enzyklopädie, Reinbek bei Hamburg,11995; zu Stw. „Deutungsmacht“: Seiten 15, 21, 30, 33, 73, 97 ff., 105, 110.
  5. Kranz, Detlev: Schwarze Psychosomatik, in: Gestaltkritik, 1/2004, 22 - 29, Köln fernladbarer Text

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Funktionelle Syndrome — stellen ein Zusammentreffen von Krankheitszeichen oder Beschwerden dar, die keine organische Ursache erkennen lassen. Diese charakteristische Situation für die Untersuchung im Frühstadium funktioneller Syndrome gab Anlass zu ihrer Bezeichnung.… …   Deutsch Wikipedia

  • Marjan (Löwe) — Marjan (Paschtu ‏مرجان‎ Marǧān, „Koralle“, * 1976; † 25. Januar 2002) war ein beliebter Löwe im Zoo von Kabul. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Wirkungen 3 Einzelnachweise …   Deutsch Wikipedia

  • DDR-Verfassung — In ihrer über 40 jährigen Geschichte gab es drei Verfassungen der Deutschen Demokratischen Republik, die einerseits in ihrem grundsätzlichen Bekenntnis zu Bürgerrechten und demokratischer Ordnung nie als tatsächliche Maßgabe der politischen… …   Deutsch Wikipedia

  • ERA-TV — Mit dem Tarifvertrag über das Entgelt Rahmenabkommen ERA TV im Jahr 2003 wurde ein neues System in der Metall und Elektroindustrie geschaffen, um das Entgelt von Beschäftigten zu ermitteln. Wesentliches Ziel des ERA ist es, die Unterscheidung… …   Deutsch Wikipedia

  • Entgeltrahmenabkommen — Mit dem Tarifvertrag über das Entgelt Rahmenabkommen ERA TV im Jahr 2003 wurde ein neues System in der Metall und Elektroindustrie geschaffen, um das Entgelt von Beschäftigten zu ermitteln. Wesentliches Ziel des ERA ist es, die Unterscheidung… …   Deutsch Wikipedia

  • Ethnogenese — Das Wort Ethnogenese bezeichnet die Entstehung eines Volkes. Die Entstehung eines neuen Volkes mit einer distinkten Kultur, eventuell auch Sprache, Mythologie und einem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, kann durch länger andauernde Isolation… …   Deutsch Wikipedia

  • Göppinger — Hans Göppinger (* 11. April 1919 in Stuttgart; † 5. April 1996 in Tübingen) war ein deutscher Jurist, Psychiater und Kriminologe. Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Werk 2 Schriften (Auswahl) 3 …   Deutsch Wikipedia

  • Hans Göppinger — (* 11. April 1919 in Stuttgart; † 5. April 1996 in Tübingen) war ein deutscher Jurist, Psychiater und Kriminologe. Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Werk 2 Schriften (Auswahl) …   Deutsch Wikipedia

  • Hito Steyerl — UNTER UNS Linz 09, Installation Hito Steyerl (* 1966 in München) ist Filmemacherin und Autorin, die sich in essayistischen Dokumentarfilmen und Texten mit Fragen postkolonialer Kritik und feministischer Repräsentationskritik auseinandersetzt.… …   Deutsch Wikipedia

  • Julian Nida-Rümelin — (* 28. November 1954 in München) ist ein deutscher Philosoph und seit 2004 Professor für Philosophie an der Ludwig Maximilians Universität München. Seine Spezialgebiete sind theoretische und angewandte Ethik, Entscheidungs und… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”