Medizinsoziologie

Medizinsoziologie

Medizinsoziologie und Gesundheitssoziologie sind Teilgebiete der Soziologie. Die Medizinische Soziologie ist ein Teilgebiet der Medizin. Die Medizinsoziologie beschäftigt sich mit der Rolle und Bedeutung, die Krankheit und Gesundheit in der Gesellschaft haben und den Formen und Folgen ihrer gesellschaftlichen Behandlung. Die Medizinsoziologie interessiert sich:

  • auf der Mikroebene für individuelle und kollektive Orientierungsformen und Handlungsrationalitäten (z. B. Wahrnehmung von Krankheit, Risikoverhalten etc.),
  • auf der Mesobene für die Organisations- und Netzwerkformen der gesellschaftlichen Behandlung von Krankheit und Gesundheit (z. B. Krankenhausstrukturen, Kooperationsformen bei Seuchen etc.),
  • auf der Makroebene für gesellschaftliche Strukturen, Institutionen und Gestaltungsmöglichkeiten (z. B. Gesundheitssystem, soziale Ungleichheit etc.).

Inhaltsverzeichnis

Näheres

Gesundheit und Krankheit verweisen nicht nur auf Funktion oder Fehlfunktion des Körpers, sondern sind vor allem auch ein Phänomen der individuellen Befindlichkeit. Das jeweils gegebene Verständnis von Gesundheit und Krankheit ist durch gesellschaftliche Normen und Werte beeinflusst, ist Bestandteil der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit.

Gesundheit und Krankheit sind Phänomene, die in mindestens drei verschiedenen Bezugssystemen definiert werden, die sich aus einer psychologischen, einer medizinischen und einer soziologischen Perspektive ergeben:

  1. Bezugssystem der betroffenen Person: sich gesund oder krank fühlen, Reaktion auf wahrgenommene Beeinträchtigungen, Krankheitsbewältigung;
  2. Bezugssystem der Medizin: physiologische Regulation / Dysregulation bzw. organische Funktion / Fehlfunktion (Befunde);
  3. Bezugssystem der Gesellschaft: Leistungsminderung bzw. Notwendigkeit, Hilfe zu gewähren, Analyse des Hilfesuchens im Krankheitsfall, soziale Definitionsprozesse bei (chronischer) Krankheit und Behinderung, soziale Rolle des Kranken, Organisation des „Krankheits-“ bzw. Gesundheitssystems.

Im Bezugssystem der Gesellschaft analysiert die Medizinsoziologie:

Zur Geschichte

SieheSozialmedizin (zur Abgrenzung der Medizinischen Soziologie von der Sozialmedizin)

Die Medizinische Soziologie entwickelte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert aus der Beobachtung, dass gesellschaftliche Bedingungen und Umwelteinflüsse eine wesentliche Bedeutung für Krankheitsentwicklung haben. Gegenwärtig werden jedoch weniger „weiche“ soziale Faktoren als Ursachen der Krankheitsentstehung angenommen. In Zeiten der Entschlüsselung des menschlichen Genoms und großer Hoffnungen auf neue Therapieformen durch Genforschung werden insgesamt wieder stärker materialistische Faktoren, d. h. genetische Ursachen von Krankheiten favorisiert.

Aus der Medizinischen Soziologie der 1950er Jahre (J. J. Rohde, W. Schoene) hat sich inzwischen der Ansatz der Gesundheitssoziologie entwickelt. Dieser ist auf ein in den späten 1980er-Jahren einsetzender Perspektivenwechsel zurückzuführen, welcher Gesundheit mit Begriffen wie Public Health und Salutogenese verbindet. Die weitgehende institutionelle Abkoppelung von den Sozialwissenschaften habe dazu beigetragen, dass sozialwissenschaftliche Analyseansätze und Theorien in der Forschung unterrepräsentiert seien. Inzwischen würden jedoch in der Gesundheitssystemforschung beispielsweise mit der Anwendung der Regulationstheorie und in der Präventionsforschung beispielsweise mit dem Bourdieuschen Habitus-Konzept wieder verstärkt soziologische Theorien einbezogen.[1]

Als Studienfach

Eigenständiges Studienfach

Das Studienfach "Gesundheitssoziologie" wird von mehreren Hochschulen zum Erwerb der Qualifikation des R.A.I.-Koordinators angeboten.

Bestandteil des Medizinstudiums

Die „Medizinische Soziologie“ ist ein Fach des vorklinischen Studienabschnittes des Studiums der Humanmedizin. Es beschäftigt sich mit sozialen, psychosozialen und psychischen Faktoren von Gesundheitsstörungen und deren medizinischer Betreuung einschließlich Prävention, Therapie und Rehabilitation, und untersucht Zusammenhänge zwischen Gesundheit einerseits und genetischen Faktoren, Umwelteinflüssen, Lebensstilvariablen, sozialem Milieu und der medizinischen Versorgung andererseits.

Literatur

Monographien und Aufsätze

  • Bernhard Borgetto/Bernhard Mann/Christian Janßen: „Soziologische Theorien in der medizinsoziologischen Versorgungsforschung“, in: Christian Janßen/Bernhard Borgetto/Günther Heller (Hgg.), Medizinsoziologische Versorgungsforschung. Theoretische Ansätze, Methoden, Instrumente und empirische Befunde, Weinheim und München: Juventa 2007, ISBN 978-3-7799-1148-7
  • Lars Clausen: „Offene Fragen der Seuchensoziologie“, in: Ders. Krasser sozialer Wandel, Opladen: Leske + Budrich 1994, S. 51-61, ISBN 3-8100-1141-X
  • Uta Gerhardt: Ideas about illness. An intellectual and political history of medical sociology, New York, NY: New York Univ. Press, 1989
  • Bernhard Mann: Krankenhaussoziologie und Gesundheitswesen. In: Soziologische Revue, Jahrgang 27, 2004, S. 480-491, ISSN 0343-4109
  • Michael Schillmeier/Wiebke Pohler: „Kosmo-politische Ereignisse. Zur sozialen Topologie von SARS“, in: Soziale Welt, 2006, H. 4, S. 331-349
  • Johannes Siegrist: Medizinische Soziologie, München: Urban und Schwarzenberg Verlag 1995, ISBN 3-541-06385-8
  • Alf Trojan/Hanneli Dohner (Hgg.): Gesellschaft, Gesundheit, Medizin - Erkundungen, Analysen und Ergebnisse, Frankfurt am Main: Mabuse Verlag 2004, ISBN 3-935964-01-3
  • Heiko Waller, Sozialmedizin, 4. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer 1997, ISBN 3-17-014200-3
  • Claus Wendt/Christof Wolf (Hgg.): „Soziologie der Gesundheit“, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderhefte Bd. 46, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, ISBN 3-531-15296-3
  • Irving Kenneth Zola, „Medicine as an institution of social control“, in: Sociological Review 1972, H. 4, S. 487-504.

Zeitschriften

  • Sociology of Health & Illness

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Thomas Gerlinger: Historische Entwicklung und theoretische Perspektiven der Gesundheitssoziologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 46, 2006, S. 34-56.

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