- Zivilverfahrensrecht (Europäische Union)
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Das (Internationale) Zivilprozessrecht oder Zivilverfahrensrecht (vereinzelt auch Europäisches Zivilverfahrensrecht) der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wurde durch mehrere Verordnungen vereinheitlicht. Dies sind besonders die EuGVO und die Brüssel-IIa-Verordnung für die Internationale Zuständigkeit, die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 über den Europäischen Vollstreckungstitel, die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 über das Europäische Mahnverfahren sowie die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung von Schriftstücken.
Inhaltsverzeichnis
Erkenntnisverfahren
Internationale Zuständigkeit
Die Internationale Zuständigkeit bestimmt die Gerichte welchen Staates einen Rechtsstreit zu entscheiden haben.
Zivil- und Handelssachen: EuGVO
Anwendbarkeit
Die EuGVO ist anwendbar, wenn ihr sachlicher, räumlich-persönlicher sowie zeitlicher Anwendungsbereich eröffnet ist. Sachlich ist der Anwendungsbereich eröffnet, wenn nach Art. 1 Abs. 1 EuGVO eine Zivil- oder Handelssache vorliegt; was eine Zivil- und Handelssache ist, ist nicht nach der lex fori, sondern verordnungsautonom zu bestimmen, damit die Anwendung der Verordnung europaweit einheitlich ist. Zeitlich ist die Verordnung für alle Klagen anwendbar, die nach dem 1. März 2002 erhoben wurden (Art. 66 Abs. 1, Art. 76 EuGVO). Aus den Art. 2 bis Art. 4 EuGVO folgt, dass Voraussetzung des räumlich-persönlichen Anwendungsbereiches ist, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hat. Für Gesellschaften und juristische Personen ist der Wohnsitz in Art. 60 EuGVO als deren satzungsmäßigem Sitz, hilfsweise als deren Hauptverwaltung bestimmt.
In Verbrauchersachen wird durch Art. 15 Abs. 2 EuGVO der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Verordnung ausgedehnt, wenn der Beklagte zwar keinen Sitz, aber eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat hat. Der Begriff der Verbrauchersache wird in Art. 15 Abs. 1 EuGVO definiert: Sachlich werden sämtlich gewerblichen Tätigkeiten (Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO) erfasst, in persönlicher Hinsicht muss ein Verbraucher ein Geschäft mit einem Unternehmer abgeschlossen haben. Zuletzt verlangt Art. 15 EuGVO, dass es sich um eine Streitigkeit aus einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstiger Niederlassung handelt. Der EuGH hat das Erfordernis der Niederlassung insoweit konkretisiert, als die fragliche Einrichtung 1. einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit darstellen muss und 2. als Außenstelle ihres ausländischen Stammhauses nach außen hervortreten muss. Mit dem Urteil vom 7. Dezember 2010 hat der EuGH präzisiert, dass die bloße Benutzung einer Website durch einen Gewerbetreibenden als solche noch nicht zur Geltung der Zuständigkeitsregeln der EuGVVO führt, die dem Schutz der Verbraucher anderer Mitgliedstaaten dienen. Der EuGH hat damit die unionsrechtlichen Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit für Verbraucherverträge in Fällen präzisiert, in denen Dienstleistungen im Internet angeboten werden.[1]
Allgemeiner Gerichtsstand
Der Grundsatz actor sequitur forum rei gilt auch in den europäischen Zuständigkeitsregeln. Abgesehen von Ausnahmen durch ausschließliche Kompetenzen und aus Gründen des Verbraucherschutzes kann gem. Art. 2 stets am Wohnsitz des Beklagten geklagt werden. Bei natürlichen Personen verweist Art. 59 auf die lex fori, bei juristischen Personen bestimmt die Verordnung selbst in Art. 60, dass es sich um den Ort des satzungsmäßigen Sitzes, der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung handeln kann.
Besondere Gerichtsstände
Aus den Art. 5-7 ergeben sich weitere Zuständigkeiten
- ratione materiae: Aus vertraglichen Schuldverhältnissen kann etwa auch am Erfüllungsort geklagt werden, aus unerlaubter Handlung am Ort des schädigenden Ereignisses.
- aus Gründen prozessualer Verknüpfung bei einer Klage gegen mehrere Personen, bei Gewährleistungs- und Interventionsklagen, Widerklagen sowie bei der Verknüpfung von Klagen aus vertraglichen Ansprüchen mit solchen über dingliche Recht an unbeweglichen Sachen.
- Zudem kann eine Firma stets auch am Wohnsitz ihrer Niederlassungen verklagt werden.
Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge
Ein Großteil der Regelungen der Verordnung über die internationale Zuständigkeit dient dem Schutz des typischerweise schwächeren Vertragsteil. Die Bestimmungen der Art. 8-21 verdrängen, mit Ausnahme der Niederlassungsregel, die allgemeinen Zuständigkeiten der Art. 2-7 und lassen abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen nur ausnahmsweise zu. Versicherungsnehmer und Verbraucher haben die Möglichkeit ihren Vertragspartner nicht nur an deren, sondern auch an ihrem eigenen Wohnsitz zu verklagen. Sie selbst können dagegen nur an ihrem Wohnsitz verklagt werden. Für Arbeitnehmer gilt auf der Beklagtenseite dasselbe, klagen können sie außer am Sitz des Arbeitgebers auch am Ort der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit.
Ausschließliche Zuständigkeiten
Art. 22 begründet einige Zuständigkeiten, die alle anderen an sich möglichen Gerichtsstände verdrängen. Abweichende Vereinbarungen der Parteien sind nicht zulässig. Ausschließliche Gerichtsbarkeit besteht in folgenden Fällen:
- Dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie Miet- und Pachtverträge über dieselben.
- organisationsrechtliche Fragen juristischer Personen
- Eintragungen in öffentliche Register
- Eintragungen und Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen
Bei letzteren hat der EuGH die umstrittene Frage, ob die ausschließliche Gerichtsbarkeit auch inzident in Vertragsverletzungsverfahren geltend gemacht werden kann, positiv entschieden.
Gerichtsstandsvereinbarungen
Die internationale Zuständigkeit kann gem. Art. 23 grundsätzlich auch durch Prorogation begründet werden. Voraussetzung ist, dass die Parteivereinbarung formalen Anforderungen entspricht. Anerkannt sind die Schriftform, mündliche Vereinbarungen mit schriftlicher Bestätigung, Gepflogenheiten der Parteien sowie internationale Handelsbräuche. Materielle Grenzen ergeben sich aus den ausschließlichen Zuständigkeiten und den Regelungen zum Schutz von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern. Nach Art. 24 kann ein Gerichtsstandsvereinbarung auch konkludent erfolgen: Lässt sich der Beklagte auf das Verfahren ein, begründet dies die Kompetenz des Gerichts. Einzige Grenze sind hier die ausschließlichen Zuständigkeiten.
Rechtshängigkeit und zusammenhängende Verfahren
Eine an sich gegebene Zuständigkeit ist gem. Art. 27 ausgeschlossen, wenn zwischen den selben Parteien in derselben Sache bereits ein Prozess in einem anderen Mitgliedsstaat anhängig ist. Bei Prozessen, die sich zwar nicht auf denselben Gegenstand beziehen, aber miteinander zusammenhängen haben die Gerichte nach Art. 28 die Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen. In erstinstanzlichen Verfahren können sie sich unter bestimmten Voraussetzungen auch für unzuständig erklären.
Familiensachen: Anwendbarkeit der EuEheVO
Die EuGVO wird im Bereich des Ehe- und Kindschaftsrecht durch die Brüssel-IIa-Verordnung (auch EuEheVO) ergänzt.
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile
Anerkennung
Die Anerkennung ausländischer Urteile erfolgt nach den Brüssel-Verordnungen automatisch. Urteile der Gerichte eines Mitgliedsstaats gelten laut Art. 33 auch in allen anderen, können aber in einem eigenen Verfahren oder inzident bei der Entscheidung über eine Klage, die sich auf dieses Urteil stützt überprüft werden. Die Anerkennung kann nach Art. 34 und 35 EuGVO nur aus folgenden Gründen verweigert werden (in der Brüssel-IIa-Verordnung bestehen ähnliche):
- Unvereinbarkeit mit dem ordre public des Mitgliedsstaates. Dies bezieht sich sowohl auf materiellrechte wie auch auf prozessuale Grundsätze.
- fehlendes rechtliches Gehör des Beklagten aufgrund nicht rechtzeitiger Zustellung der Klageschrift
- Unvereinbarkeit mit einem Urteil eines Gerichts des Mitgliedsstaats
- Unvereinbarkeit mit einem in derselben Sache ergangenen Urteil eines anderen Mitgliedsstaats oder Drittstaats
- Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 22 oder derjenigen zum Schutz von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern. Eine weitergehende Zuständigkeitsprüfung kann sich nur aus bilateralen Verträgen ergeben (Art. 72).
Ist gegen die Entscheidung in dem Mitgliedstaat, in dem sie ergangen ist, ein Rechtsbehelf anhängig, kann das Anerkennungsverfahren gem. Art. 37 ausgesetzt werden.
Vollstreckung
Im Gegensatz zur automatischen Anerkennung kann die Zwangsvollstreckung auf Grund ausländischer Titel nach Art. 38 nur durchgeführt werden, wenn dieser zuvor auf Antrag eines Berechtigten in einem eigenständigen Verfahren, dem Exequaturverfahren, für vollstreckbar erklärt worden ist. Gegen die Vollstreckbarerklärung eröffnen die Art. 44 und 45 Rechtsbehelfe.
Einzelnachweise
- ↑ http://www.rechtsfreund.at/news/index.php?/archives/490-blosse-Websitenutzung-fuehrt-nicht-zur-Anwendung-des-Verbrauchergerichtsstandes.html Entscheidung zu Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO
Weblinks
Literatur
- Reinhold Geimer, Rolf A. Schütze, Ewald Geimer: Europäisches Zivilverfahrensrecht. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3406510151.
- Peter F. Schlosser: EU-Zivilprozessrecht. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3406565366.
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