Theorie der freien Radikale

Theorie der freien Radikale

Die Theorie der freien Radikale, auch Freie-Radikale-Theorie (engl. Free Radical Theory of Aging, FRTA) genannt, ist ein Erklärungsmodell für das Altern aller Organismen.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Die Theorie der freien Radikale besagt, dass in Folge der Stoffwechselprozesse aus molekularem Sauerstoff in Zellen sogenannte freie Radikale entstehen. Diese kurzlebigen Molekülfragmente, wie beispielsweise das Hydroxyl-Radikal OH, spielen bei einer Reihe von zellbiologischen Prozessen eine wichtige Rolle und sind durch verschiedene analytische Verfahren nachweisbar. Der US-amerikanische Biogerontologe Denham Harman stellte 1956 die These auf, dass diese freien Radikale die Ursache des Alterungsprozesses sind.[1][2][3] Mit ihrer Freisetzung schädigen die freien Radikale für die Funktion der Zelle wichtige Moleküle, wie die DNA, die RNA und eine Vielzahl von Proteinen und Lipiden.[4][5] Dies führt, so die These, zu einer stetig wachsenden Ansammlung von geschädigten Zellkomponenten, was wiederum den komplexen Alterungsprozess bewirkt. Die Zellen selbst sind in der Lage, Substanzen zu produzieren, die freie Radikale unschädlich machen können, indem diese mit diesen „Radikalfängern“ reagieren oder an ihnen katalytisch zerlegt werden. Dazu zählen beispielsweise die Urate oder das Enzym Katalase. Auch über die Nahrung können Antioxidantien, wie Ascorbinsäure, β-Carotin, Polyphenole oder Flavonoide, aufgenommen werden, die in den Zellen mit den freien Radikalen reagieren können. Dennoch lassen sich beispielsweise im Harn Abbauprodukte nachweisen, die in der Folge der Schädigung der DNA oder von Lipiden entstehen.[6]

Rezeption

Zu Beginn wurde die Theorie der freien Radikale von vielen Gerontologen abgelehnt und teilweise als parawissenschaftlich betrachtet. In der Folgezeit konnten mit dieser Theorie aber einige wissenschaftliche Befunde erklärt werden. Sie dient auch als Erklärungsmodell für die Entstehung einer Reihe von Krankheiten wie Krebs, Arteriosklerose, Diabetes mellitus oder Alzheimer.

Geringere Nahrungsaufnahme bedeutet geringeren oxidativen Stress für die Zellen, was wiederum zu einer geringeren Menge freier Radikale und so zu weniger Schädigungen innerhalb der Zelle führt. Tatsächlich bewirkt eine Kalorienrestriktion in den verschiedensten Modellorganismen eine signifikante Erhöhung der Lebenserwartung. Die Supplementation von Antioxidantien führt bei einer Reihe von Spezies zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Überlebenszeit, wenn diese Substanzen schon sehr frühzeitig verabreicht werden. Die maximale Lebensdauer konnte dagegen nicht erhöht werden.[7] Bei dem Modellorganismus Drosophila bewirkt ein Abschalten von Genen, die für Enzyme kodieren, die freie Radikale katalytisch zersetzen, eine drastische Reduzierung der Lebenserwartung.[8][9]

Eine Reihe weiterer Experimente liefert zur Theorie der freien Radikale widersprüchliche Ergebnisse. So konnte die Arbeitsgruppe um den deutschen Internisten Michael Ristow zeigen, dass freie Radikale notwendig sind, um die Mitohormesis in Gang zu setzen, wodurch die Zelle eine erhöhte Abwehrkapazität gegen freie Radikale erzielt. Antioxidantien verhindern dagegen die Mitohormesis.[10][11]

Aus der Theorie der freien Radikale heraus wurde die Theorie des Mitochondrialen Alterns entwickelt.[12]

Weiterführende Literatur

Einzelnachweise

  1. D. Harman: Aging: a theory based on free radical and radiation chemistry. In: Journal of Gerontology 11, 1956, S. 298–300. PMID 13332224
  2. D. Harman: The free radical theory of aging. In: Antioxid Redox Signal 5, 2003, S. 557-561. PMID 14580310
  3. D. Harman: Free radical theory of aging. In: Mutat Res 275, 1992, S. 257–266. PMID 1383768
  4. H. C. Schröder: Superoxidradikale, Genexpression und Alterung: Reparable Schäden auf der Ebene der DNA und irreparable Schäden auf der Ebene der mRNA Reifung. In: Erfolgreiches Altern, M. M. Baltes, M. Kohli und K. Sames (Hrsg.), Verlag Huber, 1989, ISBN 3-456-81841-6 S. 259–269).
  5. G. G. Duthie u. a.: Oxidants, antioxidants and cardiovascular disease. In: Nut Res Rev 2, 1989, S. 51–62. PMID 19094346
  6. T. Schmidt u. a.: Physiologische Potentiale der Langlebigkeit und Gesundheit im evolutionsbiologischen und kulturellen Kontext - Grundvoraussetzungen für ein produktives Leben. In: Produktives Leben im Alter M. Baltes und L. Montada (Hrsg.), Campus-Verlag, 1996, ISBN 3-593-35456-X S. 69–130.
  7. B. N. Ames u. a.: Oxidants, antioxidants, and the degenerative diseases of aging. In: PNAS 90, 1993, S. 7915–7922. PMID 8367443; PMC 47258
  8. S. Helfand und B. Rogina: Genetics of aging in the fruit fly, Drosophila melanogaster. In: Annu Rev Genet 37, 2003, S. 329–348. PMID 14616064
  9. T. Parkes u. a.: Transgenic analysis of the cSOD-null phenotypic syndrome in Drosophila. In: Genome 41, 1998, S. 642–651. PMID 9809435
  10. G. Bjelakovic u. a.: Mortality in Randomized Trials of Antioxidant Supplements for Primary and Secondary Prevention. In: JAMA 297, 2007, S. 842–857.
  11. T. J. Schulz u. a.: Glucose Restriction Extends Caenorhabditis elegans Life Span by Inducing Mitochondrial Respiration and Increasing Oxidative Stress. In: Cell Metabolism 6, 2007, S. 280–293. doi:10.1016/j.cmet.2007.08.011.
  12. K. B. Beckman und B. N. Ames: Mitochondrial aging: open questions. In: Ann N Y Acad Sci 854, 1998, S. 118–127. PMID 9928425

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