Giuseppe Toniolo

Giuseppe Toniolo

Giuseppe Toniolo (* 6. März 1845 in Treviso; † 7. Oktober 1918 in Pisa) gilt als einer der bedeutendsten Wirtschaftshistoriker und Soziologen des Katholizismus. Als Historiker befasste er sich mit der Ökonomie der Toskana und der Entstehung der Sozialen Frage, als Soziologe und Ökonom mit Fragen der Arbeit, der Kleinbetriebe und der Sozialreformen. Dabei stellte er sich gegen den Materialismus und betrachtete Ethik und Glauben als treibende Kräfte der menschlichen und historischen Entwicklung. Der Papst galt ihm als oberste Autorität.

Von 1883 bis 1918 war er Professor an der Universität Pisa. Ab 1905 war er einer der drei Reorganisatoren der politischen Rolle der Katholischen Kirche in Italien. Er war 1907 einer der Gründer der Settimana sociale dei cattolici italiani und wurde von Papst Paul VI. am 7. Januar 1971 zum Diener Gottes erhoben, was den ersten Schritt in einem Heiligsprechungsverfahren darstellt.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Toniolo wurde in Treviso, in der Gemeinde Sant'Andrea geboren. Seine Familie gehörte dem Bürgertum des Veneto an, sein Vater war Ingenieur, dem die Familie an die Orte seiner Beschäftigung folgte und daher mehrfach umzog. Der junge Toniolo besuchte verschiedene Schulen in Venedig, darunter das Collegio di S. Caterina.

Er schrieb sich für Rechtswissenschaften an der Universität Padua ein. Dort lernte er bei Fedele Lampertico und Angelo Messedaglia. 1866 schloss er sein Studium ab und wurde zwei Jahre später Assistent. Ab 1873 war er freier Dozent für politische Ökonomie.

1874 wurde er am Istituto tecnico in Venedig angestellt, arbeitete daraufhin kurzzeitig in Padua, und wurde 1878 als außerordentlicher Professor an die Università di Modena e Reggio Emilia berufen. 1878 heiratete er Maria Schiratti, die sieben Kinder zur Welt brachte.

Schließlich wechselte er als Ordentlicher Professor an die Universität Pisa, wo er von 1883 bis zu seinem Tod im Jahr 1918 politische Ökonomie unterrichtete. 1908 begann er sein Hauptwerk auf dem Gebiet der Soziologie, das Trattato di economia sociale.

Kirche in Pieve di Soligo

Beigesetzt wurde er in der Kirche Santa Maria Assunta in Pieve di Soligo.

Rolle im Katholizismus

1889 gründete Toniolo in Padua die Unione cattolica di studi sociali (katholischer Verband für Gesellschaftsstudien), deren Präsident er wurde. Ab 1904 bemühte er sich um die Organisation der Azione Cattolica, 1907 war er Mitgründer der Settimana Sociale dei Cattolici Italiani (Soziale Woche der Katholiken Italiens).

1893 gründete er in Pisa die Rivista internazionale di scienze sociali e discipline ausiliarie. Im folgenden Jahr formulierte er mit seinen Rerum Novarum das erste christlich-demokratische Programm, das sich ausdrücklich gegen den Sozialismus richtete. Zwar war er nie ein Politiker, doch wurde er zum Mitgründer der Federazione Universitaria Cattolica Italiana (FUCI). Auf ihn gehen Initiativen wie die Unione Cattolica per gli studi Sociali (1889) zurück, ebenso wie die Rivista internazionale di scienze sociali (1893), aber auch die Società cattolica italiana per gli studi scientifici (1889).

Ihm wurde, nachdem der Plan einer politischen Partei aufgegeben wurde, zusammen mit Medolago Albani und Paolo Pericoli von Papst Pius X. die Neuorganisation des politischen Katholizismus in Italien in Form der drei Unioni, die die Enzyklika Il Fermo Proposito von 1905 gefordert hatte, übertragen. Er selbst wurde Präsident der Unione Popolare, der bedeutendsten unter ihnen. Dabei stand er in persönlichem Kontakt zu Papst Leo XIII. Ihre Aufgabe war es, unter formaler Trennung von der kirchlichen Organisation die Rückkehr der Kirche in die Politik zu fördern, was sich etwa in Wahlkampagnen niederschlug.[1] Eine katholische Partei war noch nicht vorgesehen.

Nachwirkung

Eine Gruppe unter Leitung von Pater Agostino Gemelli plante bereits 1919, eine katholische Universität zu gründen, um die Kultur und die religiöse Bildung im Sinne der Katholischen Kirche zu fördern. 1920 entstand das Istituto Giuseppe Toniolo di Studi Superiori, das als Vorgängerin der Universität gilt. 1921 wurde das Institut vom Ministerium für Bildung anerkannt und von Papst Benedikt XV. erhielt sie den kirchlichen Status einer Universität. Die staatliche Anerkennung als Universität erfolgte am 2. Oktober 1925 unter dem Namen Università Cattolica del Sacro Cuore.

In Verona besteht die Stiftung Giuseppe Toniolo. Sie hat ihren Sitz im Kloster San Fermo, das aus dem 13. Jahrhundert stammt. Sie bringt seit 1991 die Zeitschrift La Società (Die Gesellschaft) heraus, die auf Italienisch und Polnisch die katholische Soziallehre vertritt. Dabei ist sie selbst das Centro di Cultura e Sviluppo der Katholischen Universität von Mailand.

1933 schrieben Vertreter der FUCI an Gabriele Vettori, Erzbischof von Pisa, und Eugenio Beccegato, Bischof von Ceneda (Vittorio Veneto), um Toniolos Lebensweg zu prüfen. Seit dem 14. Juni 1971, als Papst Paul VI. seine Verdienste würdigte, gilt er als Servus Dei, als Diener Gottes. Damit wird der erste Schritt im Kanonisierungsprozess bezeichnet. Die Azione Cattolica Italiana betreibt seine Seligsprechung.

Werke

Als seine wichtigsten Werke gelten Dei remoti fattori della potenza economica di Firenze nel Medio Evo (etwa: Über die verborgenen Faktoren der wirtschaftlichen Macht von Florenz im Mittelalter, 1889), Il programma dei cattolici di fronte al socialismo (Das Programm der Katholiken vor dem Sozialismus), Il concetto cristiano della democrazia (das christliche Konzept der Demokratie, 1897), l’Odierno problema sociologico (das heutige soziologische Problem, 1905) und der Trattato di Economia sociale (Traktat über die Sozialökonomie, 3 Bände, 1908-21).

Giuseppe Toniolo veröffentlichte weitere Werke mit den Schwerpunkten Arbeit, gerechter Lohn und Verteilung des Reichtums:

  • Economia delle piccole industrie (1874) (Ökonomie der kleinen Industrien)
  • Varie forme di rimunerazione del lavoro (1875) (Verschiedene Formen der Stärkung der Arbeit)
  • Lezioni sulla distribuzione della ricchezza (Verona, 1878) (Lesungen über die Verteilung der Reichtümer)
  • Il Salario (1878-79) (Der Lohn)

Seinen Ruf als Wirtschaftshistoriker begründete er vor allem durch Arbeiten aus den Jahren 1881 bis 1893. Zu diesen zählen:

  • Scolastica ed Umanesimo nelle dottrine economiche al tempo del Rinascimento in Toscana (Antrittsvorlesung 1886-87)
  • Storia dell'economia sociale in Toscana (1890-91)
  • La storia come disciplina ausiliaria delle scienze sociali (1890)
  • La genesi storica dell'odierna crisi sociale-economica (1893)

Darin forderte er als Lösung der sozialen Frage die Rückkehr zur Gerechtigkeit und zur Caritas in den Klassenverhältnissen, vor allem aber die Rückkehr zum Gehorsam gegenüber der Kirche, die seiner Ansicht nach nicht irren könne.

Ab 1893 stand wieder die soziale Frage im Vordergrund:

  • Programma sintetico di scienza sociale economica (1893)
  • L'economia capitalistica moderna nella sua funzione e nei suoi effetti (1894)
  • Per la storia del movimento cooperativo (1895)
  • La protezione internazionale dei lavoratori (1900)
  • Provvedimenti sociali popolari (1902)
  • Le dottrine socialistiche nell'antichità classica e nel Medioevo (1899)
  • Il socialismo nella storia della civiltà (1902)
  • Il supremo problema della sociologia (1903)
  • Le premesse filosofiche e la sociologia contemporanea (1909).

Literatur

  • Achille Ardigò: Toniolo: il primato della riforma sociale, Bologna: Cappelli, 1978.
  • Gianfranco Legitimo: Sociologi cattolici italiani: De Maistre, Taparelli, Toniolo, Rom: Volpe 1963.
  • Federico Marconcini: Profilo di Giuseppe Toniolo economista, Mailand: Vita e pensiero 1930.
  • Cinzio Violante: Il significato dell'opera storiografica di G. Toniolo nell'età di Leone XIII, in: Aspetti della cultura cattolica nell'età di Leone XIII, hgg. v. Giuseppe Rossini, Rom 1961, S. 707-769.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Christopher Seton-Watson: Italy from Liberalism to Fascism, 1870-1925, New York 1967, S. 274f.

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