Gruppe Ludwig

Gruppe Ludwig

Unter dem Namen Ludwig wurde eine terroristische Gruppe bekannt, die in Oberitalien und Deutschland zwischen 1977 und 1984 mindestens zehn folgenschwere Anschläge verübte, meist auf Personen und Gebäude, die im weitesten Sinne dem Amüsier- und Rotlichtgewerbe oder der Drogenszene zuzuordnen waren. Auch Geistliche waren Anschlagsziele. Trotz mehrerer Bekennerschreiben sind die Motive der Täter nicht völlig klar geworden. Inhalte und Aufmachung der teilweise mit Hakenkreuzen und der Parole Gott mit uns versehenen Schreiben lassen einen diffusen rechtsextremistischen und katholisch-fundamentalistischen Hintergrund erkennen. Darauf deutet auch die Auswahl der Ziele hin.

Als – vermutlich einzige – Mitglieder der Gruppe gelten der Mathematiker Dr. Wolfgang Abel (* 3. Januar 1959 in Düsseldorf) und der Chemiker und Doktorand Marco Furlan (* 1. April 1960 in Padua, Italien). Sie wurden wegen einer Reihe von Morden der "Gruppe Ludwig" verurteilt. Mit der Festnahme der beiden endete die Anschlagsserie. Spekulationen über weitere Gruppenmitglieder stützten sich ausschließlich auf die Tatsache, dass Abel zum Zeitpunkt des ersten der Gruppe zugeordneten Anschlags gerade 18, Furlan erst 17 Jahre alt war.

Inhaltsverzeichnis

Taten

Mord an Guerrino Spinelli

Die Tat ereignete sich am 25. August 1977 am Stadtrand von Verona.

Das in der Siedlung „Weiße Gans“ am Stadtrand von Verona parkende Auto des drogenabhängigen Sinti, das er als Schlafstätte benutzt, wird mit vier Molotowcocktails in Brand gesetzt. Der 33jährige stirbt eine Woche darauf an den erlittenen Verbrennungen. Polizeiliche Ermittlungen bleiben erfolglos.

Mord an Luciano Stefanato

Die Tat wurde am 19. Dezember 1978 in Padua mit zwei Küchenmessern begangen.

Der in Padua als homosexuell bekannte Kellner wird durch zwanzig Messerstiche erstochen in seinem Auto aufgefunden. Die Tatwaffen, 25 cm lang, stecken noch in seinem Genick. Die Polizei nimmt einen Verdächtigen fest, der nach eineinhalb Jahren aus Mangel an Beweisen wieder freigesprochen wird.

Mord an Claudio Costa

Die Tat wurde am 12. Dezember 1979 in Venedig mit einem Messer begangen.

Der 22jährige, heroinabhängige, homosexuelle Costa wird mit 34 Messerstichen ermordet. Zeugen wollen zwei Jugendliche gesehen haben. Die Polizei nimmt zwei Verdächtige fest. Diese bleiben bis März 1984 in Haft und werden erst nach mehrmaliger Berufung freigesprochen.

Mord an Alice Maria Beretta

Die Tat wurde am 20. Dezember 1980 in Vicenza mit einem Hammer und einem Beil verübt.

Die 51jährige Prostituierte wird zunächst mit dem Hammer erschlagen, die Leiche dann mit dem Beil zerteilt. Polizeiliche Ermittlungen bleiben erfolglos.

Mord an Luca Martinotti

Die Tat fand 24. Mai 1981 in Verona statt.

Nach dem Brand in den österreichischen Kasematten, die als Notquartier von Drogenabhängigen benutzt werden, werden drei Menschen mit Benzin übergossen und angezündet. Der junge, heroinabhängige Student Martinotti stirbt noch am Etschufer. Die Polizei nimmt drei Tatverdächtige vorübergehend fest.

Mord an Mario Lovato und Giovanni Pigato

Die Morde wurden 20. Juli 1982 in Vincenza mit zwei Hämmern begangen.

Die Mönche der „Communita del Sanctuario di Monte Berico“, einer progressiven, katholischen Glaubensgemeinschaft, 71 und 69 Jahre alt, werden in der Nähe ihres Klosters beim gewohnten Abendspaziergang von zwei Attentätern überfallen. Mit schweren Hämmern schlagen sie den Geistlichen die Schädel ein. Gegen einen der beiden war wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt worden.

Mord an Armando Bison

Die Tat wurde 20. Februar 1983 in Trient mit Maurermeißel und Kruzifix ausgeübt.

Der 71jährige Priester wird mit einem Maurermeißel erschlagen, dann wird ihm ein Holzkeil mit einem Kruzifix ins Genick getrieben. Bison hatte in seiner Jugend für Katholiken unangemessene sexuelle Handlungen vorgenommen. Am 26. März 1983 wird der 35jährige Professor Silvano Romano in Padua festgenommen, aber nach einer Woche wieder entlassen, da sich der Tatverdacht nicht erhärten lässt.

Feuer im Eros-Kino, Mailand, sechs Tote

Der Anschlag fand 14. Mai 1983 in Mailand statt.[1]

Während der Nachmittagsvortellung des Filmes "Lyla, profuma di femmina" in einem Pornokino, der ca. 30 Zuschauer beiwohnen, bricht in der letzten Reihe explosionsartig ein Brand aus. Der Ausgang ist dadurch versperrt. Sechs Männer kommen in den Flammen zu Tode, mehrere Personen werden verletzt. Die Polizei findet heraus, dass zwei junge Männer rund zwanzig Liter Benzin verschüttet und angezündet hatten.

Feuer in der Diskothek Liverpool, Corinna Tatarotti verbrennt

Das Feuer wurde am 7. Januar 1984 in München gelegt.

Um 23.26 Uhr betreten zwei gutgekleidete junge Männer die Sex-Discothek Liverpool in der Münchner Schillerstraße. Jeder wirft einen Kanister Benzin in den Eingang, dann zünden sie die Brandsätze. Acht der dreißig Gäste werden verletzt, das 20jährige Barmädchen Corinna Tatarotti, Tochter eines aus Südtirol stammenden ZDF-Reporters, stirbt Ende April an den erlittenen schweren Verbrennungen. Die Täter flüchten unerkannt. Am Tatort hinterlassen sie eine Sporttasche mit verschiedenen Gegenständen und einen Wecker. Die Polizei vermutet bis zum Eintreffen des Bekennerschreibens mit der Seriennummer des Weckers, dass die Täter in einheimischen Zuhälterkreisen zu finden seien.

Festnahme nach vereiteltem Brandanschlag auf die Diskothek Melamare

Am 4. März 1984 besuchen Abel und Furlan, als Pierrots verkleidet, eine Karnevalsveranstaltung in der Diskothek Melamare in Castiglione delle Stiviere. Sie werden bemerkt, als sie jeweils einen Kanister Benzin in dem von 400 Menschen besuchten Raum verteilen. Es gelingt, das Feuer zu löschen, bevor größerer Schaden eintritt. Ordner überwältigen Abel und Furlan und übergeben sie den Carabinieri, die sie nur mit Mühe vor Übergriffen der erzürnten Menge schützen können.

Ermittlungen und Prozess

Während Furlan behauptete, der Brandanschlag auf das Melamare sei ein Scherz gewesen, um zu sehen, wie die Leute reagieren, ließ Abel in der polizeilichen Vernehmung seinen Hass auf Diskotheken erkennen. Sie seien „Hauptplätze der Drogenverteilung" und Orte „geistloser Zerstreuung“. Allerdings habe er nur die Diskothek zerstören, nicht aber Menschen töten wollen.[2] Beide bestritten, mit anderen Taten in Zusammenhang zu stehen.

Die deutsche Polizei fand in München zahlreiche Beweise, die die Beteiligung Abels an den Anschlägen belegten. So wurde in seiner Wohnung ein Schreibblock gefunden, auf dem sich noch der Durchdruck eines Bekennerschreibens zum Anschlag vom 14. Mai 1983 auf das Pornokino in Mailand befand. Ferner wurden in der Wohnung Textilien, Knöpfe und Schnürsenkel gefunden, die zu den Funden in der Sporttasche aus der Diskothek Liverpool passten. Abels Mutter identifizierte den Wecker der Marke „Peter“ als Eigentum ihres Sohnes.[3]

Abel zeigte sich gegenüber angereisten deutschen Ermittlern allgemein gesprächsbereit, ohne Angaben zu Einzelheiten der Anschläge zu machen, die er weiterhin nicht einräumte. Das Liverpool bezeichnete er als „Bordell-Disko“, die junge Menschen verderbe: „Ich bin grundsätzlich gegen solche Etablissements.“[3]

Von 1984 bis Dezember 1986 blieben Abel und Furlan in Mantua in Untersuchungshaft. Sie entzweiten sich und wurden in verschiedenen Zellen untergebracht. Sie verweigerten Blut- und Haarentnahme, lediglich zu psychologischen Tests liessen sie sich überreden. Das psychiatrische Gutachten attestierte ihnen "verminderte Zurechnungsfähigkeit". Beide begingen in der Untersuchungshaft mehrere Selbstmordversuche. "Der Tod ist das Recht eines jeden überhaupt. Ich will die Todesstrafe!" (Furlan während der Verhandlung).

Im Prozess, der im Dezember 1986 in Verona begann[4] und im Januar 1987 beendet wurde[5], wurden Abel und Furlan in 15 Fällen des Mordes für schuldig befunden[6] und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Für die Dauer der Berufungsverhandlung wurden sie gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Vom Berufungsgericht Venedig wurde die Haft auf 27 Jahre festgelegt.[7] In der Zwischenzeit floh Furlan außer Landes. Er wurde 1995 auf Kreta festgenommen, wo er unter falschem Namen gelebt hatte, und nach Italien überstellt.

2009 wurde Furlan aus der Haft entlassen,[1] Abel sitzt noch bis 2013 in Haft, weil er zusätzlich zu drei Jahren Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt wurde.

Hintergründe und mögliche Motive

Bekennerschreiben

Die nach den Anschlägen veröffentlichten, oft mit Runen, Adlern und Hakenkreuzen versehenen Bekennerschreiben waren anfangs die einzigen Anhaltspunkte der Polizei. Sie deuteten vordergründig auf einen rechtsextremistischen Hintergrund hin, der Inhalt der Schreiben sprach jedoch eher für religiösen als für politischen Extremismus. Die Verfasser warfen den Opfern regelmäßig moralische Verkommenheit und Abfall von der wahren Religion vor und gaben sich dabei überheblich und zynisch. Sie ließen erkennen, dass sie sich berufen fühlten, minderwertiges und entartetes Leben auszulöschen. Wer das „Gesetz Ludwigs“ missachte, müsse sterben. „Zweck unseres Lebens ist der Tod jener, die den wahren Gott verraten.“ - „Die Macht von Ludwig ist grenzenlos.“[8] -„Unser Glaube ist der Nazismus. Unsere Gerechtigkeit ist der Tod. Unsere Demokratie ist die Ausrottung.“ (nebenstehendes Bekennerschreiben)

Lebensläufe

Die Familie Abel war aus beruflichen Gründen des Vaters von Deutschland nach Verona gezogen. In der Familie Abel herrschte strenge Disziplin. Es habe laut Abel nicht einmal Heftpflaster im Haus gegeben; wer sich verletzt habe, habe eben selbst sehen müssen, wie er zurechtkomme.

Furlans Vater war ein angesehener Arzt in herausgehobener Position in einem Krankenhaus. In der Familie Furlan hatte beruflicher Erfolg hohen Stellenwert.

Abel und Furlan kannten sich bereits aus der Schule. Sie galten als hochintelligente Sonderlinge, die durch eine exklusive Freundschaft miteinander verbunden waren, zu der andere keinen Zutritt hatten. Ihre Schulabschlüsse waren gut. Abel studierte nach der Schule Mathematik und promoviertesumma cum laude(mit höchstem Lob). Zum Zeitpunkt seiner Festnahme war er nach München gezogen und arbeitete für einen Versicherungskonzern. Er galt auch dort als Eigenbrötler. Furlan hatte sein Studium der Chemie abgeschlossen und stand ebenfalls kurz vor der Promotion.

Abel und Furlan fühlten sich offensichtlich zur Mystik und zu fundamentalistischen christlichen Ideen hingezogen. Die häufige Verwendung von Runen, Hakenkreuzen und ähnlichen Symbolen lässt ferner eine Affinität zum Germanen- und Arier-Kult erkennen.

Während Furlan schwieg, zeigte sich Abel gesprächsbereit. Er äußerte seine tiefe Abneigung gegen aus seiner Sicht verkommene, die Jugend gefährdende Sitten.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Diego Decarli: La storia di Marco Furlan. ANSA.it, 12. Oktober 2010, abgerufen am 12. Februar 2011.
  2. Erwin Brunner: Die Gnadenlosen (Seite 2). Die Zeit, 5. Dezember 1986, abgerufen am 12. Februar 2011.
  3. a b Einige schlug er mitten entzwei. Der Spiegel Nr. 26/1984, S. 62–69, 25. Juni 1984, abgerufen am 14. Februar 2011.
  4. Prozessbeginn gegen Gruppe Ludwig, in: Die Tageszeitung (TAZ) vom 2. Dezember 1986: Werner Raith: „Gruppe Ludwig“ in Verona vor Gericht. 15 Morde zur Last gelegt, in: TAZ vom 3. Dezember 1986, S. 6
  5. Werner Raith: Wer ist eigentlich „Ludwig“ ? in: TAZ vom 12. Februar 1987, S. 3
  6. Alessandro Gatta: Il killer Furlan presto libero; Uccise 15 persone in nome della Ludwig. La Voce, 15. Oktober 2010, abgerufen am 12. Februar 2011.
  7. 27 Jahre für die „Gruppe Ludwig“, in: TAZ vom 12. April 1990, S. 7
  8. Erwin Brunner: Die Gnadenlosen (Seite 3). Die Zeit, 5. Dezember 1986, abgerufen am 12. Februar 2011.

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