Rotlichtmilieu

Rotlichtmilieu

Das Rotlichtmilieu ist eine soziale Umgebung (Milieu), welches im Umfeld des sexorientierten Gewerbes, etwa der Prostitution, anzutreffen ist und oft seinen Schwerpunkt in einem Rotlichtviertel hat.

Der Begriff Rotlichtmilieu wird in der Regel negativ wertend benutzt. Siehe hierzu auch Rotlicht.

Inhaltsverzeichnis

Bestandteile

Die Reeperbahn in Hamburg bei Nacht

Dem Rotlichtmilieu zugeordnet werden neben den Prostituierten die Eigentümer, Betreiber und Mitarbeiter von Bordellen, Striptease-Bars und teilweise von Sexshops und Table-Dance-Bars, die Zuhälter, Menschenhändler, teilweise auch Dealer, Hehler usw.

Trotz der vor wenigen Jahren erfolgten gesetzlichen Anerkennung der Arbeit als Prostituierte gilt die Ausübung dieser Tätigkeit gesellschaftlich noch immer als anrüchig. Die übrigen vermeintlichen oder tatsächlichen Angehörigen des Rotlichtmilieus (s. o.) gehören zu den Kriminellen, die nach polizeilichen Schätzungen (oft mangelt es an der Beweislage) im Milieu weit überdurchschnittlich häufig vertreten sind.

Größere Ketten, etwa die von Beate Uhse gegründete Firma mit dem gleichnamigen Sexversand, haben es geschafft, Sex außerhalb des Rotlichtmilieus zu kommerzialisieren. Im Bereich der Table-Dance-Bars versuchen Betriebe wie das Dollhouse den gleichen Weg einzuschlagen. Es wird eine Politik der Abgrenzung von der Prostitution betrieben. Damit soll der Betrieb seriöser erscheinen und eine größere Zahl von potenziellen Kunden ansprechen, nämlich auch diejenigen, die sich vom Rotlichtmilieu abgestoßen fühlen.

Mit dem Begriff Rotlichtmilieu wird meist auch kriminelles Verhalten (z. B. Drogenhandel, Menschenhandel, Erpressung) assoziiert. Insbesondere in Deutschland hatte der Boxsport ebenfalls eine enge Verbindung mit dem Rotlichtmilieu. Dies resultiert aus einer Zeit, in der die dortigen Konflikte noch mit bloßen Händen bereinigt wurden.

Machtverhältnisse im deutschen Rotlichtmilieu

Die Machtverhältnisse im deutschen Rotlichtmilieu sind charakterisiert durch die Aufspaltung in Einflussbereiche jeweils ethnischer Gruppen, wobei die Frauen als Opfer des der Prostitution zugrundeliegenden Menschenhandels derzeit vorwiegend aus Osteuropa und dort vor allem aus Russland und Rumänien stammen.[1]

Im Rahmen der Befragung der Opfer durch das Bundeskriminalamt (BKA) ergab sich für 2005, dass 220 der Betroffenen über die tatsächliche Tätigkeit getäuscht, 166 nach eigenen Angaben professionell über Künstleragenturen oder ähnliche Organisationen angeworben, 78 mittels Gewaltanwendung nach Deutschland gebracht wurden und 199 gaben an, bereits zu Beginn mit der Ausübung der Prostitution einverstanden gewesen zu sein. Allerdings war die überwiegende Anzahl derjenigen Frauen, die bereits zu Anfang mit ihrer späteren Betätigung einverstanden waren, über die tatsächlichen Umstände und Verdienstspannen bei der Prostitution getäuscht worden. Die Fortführung oder die Aufnahme der Prostitution wurden 2005 laut Befragung des BKA bei 317 (Mehrfachnennungen möglich) im Jahr 2005 eingeleiteten Ermittlungsverfahren in 255 Fällen durch Ausnutzung der Hilflosigkeit der Frauen, in 169 unter Ausnutzung einer Zwangslage, in 175 Fällen durch Gewalt, in 152 Fällen durch Drohung und in 94 Fällen durch List gefördert.[2] Insgesamt bestehen Schätzungen, wonach es sich bei 95% der Straßen- und Bordellprostitution um Fälle von Zwangsprostitution handelt.[3] Der Zuhälter hat zwar heute eine etwas schwächere Stellung, als beispielsweise zu Beginn der 1980er Jahre, so dass Prostitution ohne Zuhälter heutzutage zumindest möglich ist. Eine wesentliche Bedeutung hat der Zuhälter allerdings im Bereich der Einschleusung von Prostituierten aus dem Ausland.[4]

Bis in die 1980er Jahre war das Rotlichtmilieu in Deutschland fast ausschließlich von Deutschen kontrolliert. In der Folge des Auftretens von AIDS gingen die Umsätze dann zunächst erheblich zurück, was zu erheblichen Revierkämpfen, bis hin zum Einsatz von Auftragsmördern wie Werner Pinzner (St.-Pauli-Killer) führte. Die deutschen Zuhältergruppen wurden dann durch ausländische Gruppen, unter anderem albanische und türkische Gruppen, verdrängt.[5] Auch heute beträgt der Anteil an deutschen Beschuldigten in Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Nachtleben noch etwa 40 %.[6] In den 1980er Jahren wuchs der Einfluss anderer ethnischer Gruppen, zu Beginn vor allem von Türken. In den 1990er Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhanges, gewannen mehr und mehr osteuropäische Gruppierungen an Einfluss.

Bei der Entwicklung der Machtverhältnisse fand eine Art soziale Evolution statt: Die bestorganisierten und brutalsten Gruppen überlebten und gewannen immer mehr Kontrolle. Auch lassen sich rechtliche Erfolge fast immer nur gegen schlechter organisierte Gruppierungen erzielen, in deren Reihen etwa ein V-Mann platziert werden konnte.

Im Bereich der Kriminalität mit Bezug zur Prostitution und Nachtleben wurden 2005 in nachgewiesenen 29 % der Fälle von Druck auf Zeugen und Opfer ausgeübt, damit diese die Aussage verweigern.[7] Kritiker sind der Auffassung, dass die Polizei nicht in der Lage ist, einen angemessenen Schutz zu gewährleisten.

Ökonomische Effekte

Durch den verstärkten Nachzug aus Osteuropa hat sich das Verhältnis zwischen Freiern und Prostituierten wirtschaftlich zu Gunsten der Freier entwickelt. Bestimmte noch zu Beginn der 1980er Jahre die Angebotsseite stärker Preise und Angebote, wird dies durch den Konkurrenzdruck zu Beginn des 21. Jahrhunderts eher von der Nachfrageseite bestimmt. Derzeit beträgt der durchschnittliche Monatsverdienst einer Prostituierten vor Abzügen und nach Abdeckung sonstiger Kosten etwa 1.000 Euro.[4] Die relativ hohe Häufung von Prostituierten der Straßen- und der Bordellprostitution in Rotlichtvierteln bei relativ hohen Kundenzahlen führt insgesamt zu einer sehr stark marktorientierten Preisbildung im Sinne eines Polypols. Dies führt dazu, dass die dortigen Preise in der Regel unterhalb der in weniger direkten Wettbewerb stehenden Begleitserviceprostitution und den Callgirls und Callboys liegen.[8]

Sozialleben

Soweit möglich, bemühen sich Prostituierte oft um Distanz zu ihren Freiern. Zum einen wird eine möglichst strikte Trennung zwischen Berufs- und Privatleben herbeigeführt. Zum zweiten werden gegenüber dem Kunden unterschiedliche Techniken der Distanzierung durchgeführt, etwa körperliche Tabuzonen, die dem privaten Lebenspartner vorbehalten bleiben (zum Beispiel Zungenkuss, auch bestimmte Sexualpraktiken). Gleichzeitig erfordert das vom Freier gewünschte Bedürfnis nach möglichst großer körperlicher Nähe ein gewisses schauspielerisches Talent, um das Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach Distanz der Prostituierten und Nähe der Freier auszugleichen.[9]

Rechtliche Regelung: Prostitutionsgesetz

Die Prostitution ist durch das drei Paragrafen umfassende Prostitutionsgesetz (ProstG) vom 20. Dezember 2001[10] in der Bundesrepublik mittlerweile grundsätzlich legal. Zwar gilt der Prostitutionsvertrag noch immer als sittenwidrig, aber es ist ein Anspruch auf den Hurenlohn nach der Durchführung der sexuellen Handlungen vorgesehen (§ 1 S. 1 ProstG). Daneben sind die Sozialversicherungspflicht und die Möglichkeit, in die Pflegeversicherung einzuzahlen, durch diese Gesetzesänderungen ermöglicht worden.

Das ProstG verfolgte den Zweck, durch diese Legalisierung die im Umfeld der Prostitution und des Rotlichtmilieus begangenen Straftaten, insbesondere Menschenhandel und im Zusammenhang mit der Zwangsprostitution begangene Delikte, zu bekämpfen. Diese Ziele wurden nur unzureichend erreicht. Neben weiterbestehenden landesrechtlichen Restriktionen, wie Sperrbezirksverordnungen und einer uneinheitlichen Handhabung des Baurechtes bei Baugenehmigungen durch Landesbehörden, scheiterte das Gesetz auch an tatsächlichen Strukturen. So verfügt die überwiegende Anzahl der Prostituierten über keine Aufenthaltserlaubnis oder Arbeitserlaubnis. Insgesamt wird geschätzt, dass nur 1 % der Prostituierten als solche tatsächlich gemeldet sind.[11] Die ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ursula von der Leyen wollte die durch die Rot-Grüne Vorgängerregierung durchgeführten Änderungen nicht zurücknehmen, obwohl ihre Partei die Einführung des Prostitutionsgesetzes bekämpft hatte. Sie wollte allerdings nach dem Vorbild Schwedens Freier von Zwangsprostituierten und von Opfern des Menschenhandels strafrechtlich verfolgen lassen. Die Justizministerin Bayerns Beate Merk fordert demgegenüber, dass zumindest im Strafrecht die Reform der Vorgängerregierung zurückzunehmen sei.[12]

Die relativ weitgehende Legalisierung der Prostitution in Deutschland führte im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die in Deutschland stattfand, zu erheblichen Protesten in Frankreich und zur ersten parteiübergreifenden Demonstration gegen deutsche Politik seit Jahrzehnten. Der Protest richtete sich gegen die „Weltmeisterschaft der Bordelle“. Frankreich verfolgt eine ausgesprochen restriktive Politik. So sind dort Bordelle seit sechzig Jahren geschlossen. Außerdem sammelten Feministinnen weltweit 100.000 Unterschriften gegen die Legalisierung in 125 Ländern im Vorfeld der WM.[13]

Ordnungswidrigkeitenrecht

Nach § 120 Abs. 1 Nr. Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, wenn Prostitution in einem durch Rechtsverordnung verbotenem Gebiet ausgeübt wird. Nach dem Wortlaut des § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist es auch verboten Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anzubieten, anzukündigen, anzupreisen oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt zu geben. Dies bedeutet allerdings nach Ansicht des Bundesgerichtshofes nicht, dass Werbung für Prostitution generell unzulässig sei. Es müsse vielmehr eine konkrete Beeinträchtigung der Allgemeinheit, zum Beispiel des Jugendschutzes hinzutreten.[14]

Rezeption

Über ehemalige Kölner 'Rotlichtkönige' drehte 2011 der Filmemacher Peter F. Müller einen Dokumentationsfilm mit dem Titel "Wir waren das Miljö".[15]

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Rotlichtmilieu – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Bundeslagebericht 2005 vom Juli 2006
Bundeslagebericht 2004 vom August 2005
Bundeslagebericht 2003 vom Juli 2004
  • Lagebilder Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamtes
Lagebild Organisierte Kriminalität 2005 vom Juli 2006
Lagebild Organisierte Kriminalität 2004 vom Juni 2005
Lagebild Organisierte Kriminalität 2003 vom Mai 2004

Einzelnachweise

  1. Lagebericht Organisierte Kriminalität de Bundeskriminalamtes 2005, Gliederungspunkt 3.5.6. Vgl. Bundeslagebericht Menschenhandel des Bundeskriminalamtes 2005.
  2. BKA, Bundeslagebericht Menschenhandel 2005. Vgl. Michael Schwelien: Wo es keine Zeuginnen sind, gibt es keine Täter. In: Die Zeit vom 2. Oktober 2003.
  3. Florian Klenk: Nackte Gewalt. In: Die Zeit vom 28. September 2006.
  4. a b Martin Auer: Hurentaxi – Reportage aus dem Wiener Rotlichtmilieu – Schluss. In: Readers Edition, 24. September 2006.
  5. Die lenkenden Hände vom Kiez. In: Der Spiegel. Nr. 34, 1986, S. 82–89 (18. August 1986, online).
  6. Lagebericht Organisierte Kriminalität de Bundeskriminalamtes 2005, Gliederungspunkt 3.5.6
  7. Bundeskriminalamt: Bundeslagebericht Menschenhandel. 2005 (PDF).
  8. Richard Reichel/Karin Topper: Prostitution: Der verkannte Wirtschaftsfaktor. In: Aufklärung und Kritik, Heft 2/2003, S. 3 ff.
  9. Martina Schuster: Prostitution professionell. Über Sozialtechniken von Sexarbeiterinnen. In: parapluie No. 12, Winter 2001/2002.
  10. BGBl. I 2001, S. 3983; FNA 402-39.
  11. Joachim Renzikowski: Reglementierung von Prostitution – eine kritische Betrachtung des Prostitutionsgesetzes. Gutachten im Auftrag des Bundesfamilienministeriums, 2007. Vgl. Katharina Schuler: Luftnummer. In: Die Zeit Nr. 4, 2006.
  12. Sex mit Zwangsprostituierten soll strafbar werden. In: Spiegel-Online, 24. Januar 2007.
  13. Dorothea Hahn: Protest in Paris gegen „WM der Bordelle“. In: taz, 1. Juni 2006.
  14. BGH, Urteil vom 13. Juli 2006 (I ZR 231/03).
  15. Kölner Stadtanzeiger vom 4./5. Juni 2011, Seite 36 f. Auf DVD erhältlich.

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