Josef Löwenherz

Josef Löwenherz
Razzia der SS im Gemeindehaus der Israelitischen Gemeinde Wiens am 18. März 1938. Von rechts nach links: Adolf Eichmann, Herbert Hagen, Josef Löwenherz.

Josef Löwenherz (* 6. August 1884; † 1960 in New York) war ein österreichischer Zionist, Rechtsanwalt und Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde Wien während der Zeit des Nationalsozialismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Löwenherz, aus Mähren gebürtig[1] und aus einer renommierten jüdischen Familie Galiziens stammend, studierte an der Universität Lemberg Rechtswissenschaften. Bereits als Student gehörte er zionistischen Organisationen an und nahm als Delegierter vom 10. bis zum 15. Zionistenkongress teil. Nach dem Ersten Weltkrieg war er als Rechtsanwalt in Wien tätig. Von 1924 bis 1937 war er Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und danach hauptamtlich Direktor der jüdischen Gemeinde Wiens.[2]

Die Besetzung der Direktorenstelle in der jüdischen Gemeinde Wien durch Löwenherz war innerhalb der Gemeinde strittig, da Nichtzionisten diese Position nicht durch einen Zionisten besetzt haben wollten und Löwenherz nun von einem Ehrenamt in ein Hauptamt wechselte. Löwenherz galt als versierter Organisator und stand mit dem Joint Distribution Committee in den USA sowie Paris in Kontakt. Des Weiteren arbeitete er mit der 1930 in Wien entstandenen Auswandererfürsorge zusammen und engagierte sich in der Arbeitsgemeinschaft der jüdischen Kultusgemeinden Österreichs.[3]

Nach dem „Anschluss“ von Österreich an das Deutsche Reich wurde die jüdische Gemeinde Wiens am 18. März 1938 durch SS-Angehörige geschlossen und Löwenherz mit anderen Führungsmitgliedern der Gemeinde sowie weiteren jüdischen Funktionären verhaftet.[3] Die erste Begegnung zwischen Löwenherz und Eichmann fand noch während der Haft von Löwenherz statt. Eichmann ohrfeigte bei dieser Begegnung eigenen Angaben zufolge Löwenherz.[4] Löwenherz entging der Deportation in das KZ Dachau, da er durch Adolf Eichmann Anfang Mai 1938 mit dem Wiederaufbau der nun als „Jüdische Gemeinde Wien“ bezeichneten Israelitischen Kultusgemeinde beauftragt wurde. Er war nun nicht nur Amtsdirektor der „Jüdischen Gemeinde Wien“ sondern auch erster Sekretär und musste – unterstützt von einem Beratungskomitee – zudem die Aufgaben des Präsidiums und anderer Funktionsträger der „Jüdischen Gemeinde“ wahrnehmen.[5] Sein Stellvertreter wurde 1940 Benjamin Murmelstein. Löwenherz war in der Ausübung seiner Amtsgeschäfte jedoch den Anweisungen von SS und Gestapo vollkommen unterworfen.[3]

Die sozialen, kulturellen und religiösen Aspekte innerhalb der Gemeinde traten immer weiter in den Hintergrund und die erzwungene Emigration jüdischer Mitbürger sowie deren Betreuung gewannen im Laufe der Zeit immer mehr an Gewicht. Löwenherz wurde durch Eichmann genötigt, ein Konzept für die Auswanderung der Wiener Juden zu erstellen. Die Ergebnisse dieses Konzeptes schufen die Basis für die Ende August 1938 geschaffene „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“.[6] Im Rahmen der „Arisierung“ musste Löwenherz ab 30. März 1940 als Rechtsnachfolger aller noch bestehenden jüdischen Kultusgemeinden in Österreich fungieren.[7] Löwenherz musste mehrmals im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) im so genannten Eichmannreferat erscheinen. So wurden ihm als Vertreter der jüdischen Gemeinde Wiens gemeinsam mit Paul Eppstein von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland durch Eichmann im Beisein von Rolf Günther und Friedrich Suhr mitgeteilt, dass ab dem 19. September 1941 alle Juden im Deutschen Reich einen Judenstern tragen müssen.[8]

Ab dem 1. November 1942, nach der durch die Nationalsozialisten verfügten Auflösung der „Jüdischen Gemeinde Wiens“, leitete er als so genannter Judenältester den „Ältestenrat der Juden in Wien“. Diese Institution befand sich in der Seitenstettengasse 2 bis 4 und hatte die Zuständigkeit für alle in den „Alpen- und Donaureichsgauen lebenden staatsangehörigen und staatenlosen Juden“. Ein dreiköpfiger Beirat, dem auch Murmelstein angehörte, stand Löwenherz zur Seite.[9]

Die verbliebenen jüdischen Institutionen, zunächst die „Jüdische Gemeinde“ und später auch der „Ältestenrat“, wurden letztlich für Deportationen, Beschlagnahmung und Verfolgung der Juden in Österreich durch die NS-Behörden instrumentalisiert. Dennoch versuchte Löwenherz weiter, jüdischen Mitbürgern die Ausreise zu ermöglichen.[3]

Nach Kriegsende

Im Mai 1945 wurde Löwenherz von Soldaten der Roten Armee wegen Kollaboration mit der NSDAP verhaftet und war danach für drei Monate in der Tschechoslowakei interniert.[10] Ein gegen ihn in Prag eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt und die Beschuldigungen gegen Löwenherz fallengelassen. Anschließend stellte er sich noch einem jüdischen Ehrengericht in London, welches ihn von jeglichem Kollaborationsanschuldigungen freisprach.[2] Löwenherz zog über die Schweiz mit seiner Frau Sophie zu seinen Kindern in die USA und lebte in New York City. Im Rahmen des Eichmann-Prozesses in Jerusalem wurde er im Dezember 1960 durch den israelischen Konsul gebeten, eine schriftliche Zeugenaussage für das Verfahren abzugeben. Löwenherz, der unter den Erlebnissen der NS-Zeit litt, starb nur drei Tage danach an einem Herzinfarkt.[11]

Zitat

In London sprach Löwenherz im Juli 1945 auf einer Versammlung der Association of Jewish Refugees, bei der der in Wien gebürtige Rechtsanwalt Franz Rudolf Bienenfeld die Situation, in der sich Löwenherz in Wien befand, sehr gerecht einschätzte: „Ein jeder, der in einem von den Nazi besetzten Lande in einer öffentlichen Stellung zu verbleiben genötigt war oder sich für moralisch verpflichtet hielt, eine solche Stellung im Interesse seiner Schutzbefohlenen beizubehalten, mußte mit den deutschen Behörden arbeiten und in diesem Sinne war er ein Kollaborateur.“[12]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Geburtsort u. -datum bei: Brigitte Bailer-Galanda / Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands: Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten. Wien 1992 S.190.
  2. a b Leo Baeck Institute:Joseph Löwenherz (1884–1960) – Biographical Note
  3. a b c d Israel Gutman (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust – Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Piper, München/Zürich 1998, 2. Band, S. 902f.
  4. Welt Online: „Dann habe ich Dr. Löwenherz eine Ohrfeige gegeben“, 21. August 1999
  5. Michael Nagel: Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung: deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002, ISBN 978-3-487-11627-3, S. 83.
  6. Jan Björn Potthast: Das jüdische Zentralmuseum der SS in Prag – Gegnerforschung und Völkermord im Nationalsozialismus. Campus, Frankfurt/M. 2002, ISBN 3-593-37060-3, S. 47.
  7. Daniela Ellmauer, Albert Lichtblau, Historikerkommission der Republik Österreich: „Arisierungen,“ beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Salzburg, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Hildesheim 2004, ISBN 978-3-486-56780-9, S. 141
  8. Esriel Hildesheimer: „Jüdische Selbstverwaltung unter dem NS-Regime“. Mohr Siebeck, Tübingen 1994, ISBN 978-3-161-46179-8, S. 204.
  9. Michael Nagel: Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung: deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002, ISBN 978-3-487-11627-3, S. 92.
  10. Rainer Mayerhofer: Wiens Israelitische Kultusgemeinde nach 1945: Die Vierte Kehilah auf www.hagalil.com
  11. Pierre Geneé, Bob Martens und Barbara Schedl: Jüdische Andachtsstätten in Wien vor dem Jahre 1938 In: Jüdische Kulturzeitschrift „David“
  12. Zeitspiegel vom 20. Juli 1945, Central Archive for the History of the Jewish People; zitiert nach Evelyn Adunka: Die vierte Gemeinde. A.a.O., S. 19.

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