Karin Mylius

Karin Mylius

Karin Mylius (* 11. Januar 1934 in Münster; † 13. Dezember 1986 in Halle (Saale)) war eine deutsche Hochstaplerin und 1968 bis 1986 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle (Saale).

Inhaltsverzeichnis

Legende

Karin Mylius erschuf eine Darstellung des eigenen Lebens mit unterschiedlichen, teils einander widersprechenden Angaben.

Ihr richtiger Vater sei ein jüdischer Frauenarzt Dr. Jakob Morgenstern gewesen, die Mutter habe aus Holland gestammt. Sie selbst habe Rahel Morgenstern geheißen. Den Namen Loebel habe sie von ihren Eltern Paul und Emilie, die in Wirklichkeit nicht die leiblichen Eltern gewesen seien, sondern sie als Pflegeeltern vor der NS-Verfolgung gerettet hätten. Einmal behauptete sie, im sowjetischen Exil überlebt zu haben, ein anderes Mal berichtete sie von KZ-Aufenthalten, auch davon, in einem Kloster versteckt gewesen zu sein und so überlebt zu haben. Über den Geburtsort des Vaters machte sie unterschiedliche Angaben. In der NS-Zeit sei sie Augenzeugin der Ermordung ihres eigenen Bruders geworden.

Leben

Karin Loebel, die Tochter des Polizeihauptwachtmeisters Paul Loebel und seiner Ehefrau Emilie Loebel, kam 1939 mit den Eltern nach Halle, wo ihr Vater als Polizist an der Vertreibung von Juden beteiligt war.

Nach 1945 gelang es Karin Loebel, ihre und ihrer Eltern Herkunft zu verschleiern. Sie beteiligte sich an FDJ-Lehrgängen, einem „Zirkel schreibender Arbeiter“ und war Mitglied der SED, des FDGB, der DSF und des DFD.

Anfang der 1960er Jahre ging sie eine Beziehung ein mit Hermann Baden dem Präsidenten des Verbandes Jüdischer Gemeinden in der DDR und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle (Saale) und machte sich mit Badens Billigung zur faktischen Geschäftsführerin der Halleschen Jüdischen Gemeinde.

Am 20. Februar 1961 konvertierte die evangelische Karin Loebel bei Martin Riesenburger zum Judentum, wobei ihr der Name Rahel verliehen wurde.

Nach dem Tod Hermann Badens heiratete sie den Leipziger Indologen Klaus Mylius und bekam zwei Kinder. Ihre Eltern wohnten im Gemeindegrundstück, ihr Vater wurde Hausmeister der Jüdischen Gemeinde.

Nach der Abwahl des Gemeindevorsitzenden Franz Kowalski wurde Karin Mylius am 9.10. 1968 zu dessen Nachfolgerin gewählt. Die Tatsache, dass eine Frau diese Rolle übernahm, führte in den traditionsbewussten jüdischen Gemeinden der DDR teilweise zu Protesten.

Ihren 1974 verstorbenen Vater ließ Karin Mylius auf dem Jüdischen Friedhof bestatten. Die Bestattung vollzog sie selbst, angetan mit Tallit und Barett. Auf dem Grabstein ihrer nichtjüdischen Eltern ließ sie einen Davidstern anbringen. Nach dem Tod der Eltern tauchte der von ihr totgesagte Bruder auf um sein Erbe anzutreten.

Als das zwischenzeitlich verloren geglaubte Archiv der jüdischen Gemeinde Halle wieder entdeckt wurde, stellten sich zahlreiche von Karin Mylius gemachte autobiografische Behauptungen als haltlos heraus. Nachdem zunächst in USA-Publikationen Anfragen laut wurden, häuften sich Nachfragen und Kritiken innerhalb der Jüdischen Gemeinden der DDR.

Am 8. September 1986 wurde die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle durch den Vorsitzenden des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Helmut Aris, von ihrem Amt entbunden. Am 3. 10. 1986 erstattete Aris gegen Karin Mylius Strafanzeige wegen betrügerischer Erschleichung der Zugehörigkeit zum Judentum und damit zur Vorsitzenden durch falsche Personalangaben. Gegen ihre Absetzung legte sie am 5. 12. 1986 bei Helmut Aris Widerspruch wegen "Diskriminierung" ein.

Als Karin Mylius am 13. Dezember 1986 verstarb, verweigerte der Verband der Jüdischen Gemeinden eine Beteiligung an der Bestattung. Die Trauerfeier erfolgte in der Trauerhalle auf dem Halleschen Gertraudenfriedhof. Beigesetzt wurde sie mit Zustimmung der Gemeinde auf dem Jüdischen Friedhof Halle nach jüdischem Zeremoniell, das ihr Sohn abstattete.

Die sterblichen Überreste ihrer Eltern wurden im Oktober 1988 exhumiert und fanden Platz auf dem Getraudenfriedhof. Ein Rabbiner weihte daraufhin den Jüdischen Friedhof neu.

Funktionen und Verdienste

Karin Mylius übernahm zeit ihres Lebens zahlreiche gesellschaftliche Funktionen, darunter die als Vorsitzende des Schiedsgerichts oder als Stadtverordnete. Für ihre gesellschaftlichen Leistungen wurde sie mit der der Verdienstmedaille der DDR und dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze ausgezeichnet.

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