Miles christianus

Miles christianus
Albrecht Dürer. Ritter, Tod und Teufel, Der christliche Ritter

Miles christianus lat. ‚christlicher Soldat‘ (auch: Miles dei ‚Soldat Gottes‘) ist die Beschreibung der Existenz eines Christen als Kämpfer, Streiter oder Kriegsmann.

Inhaltsverzeichnis

Neues Testament und Urchristentum

Die Überlieferung sieht für die Jünger Jesu eine kriegerische Veränderung der Zustände oder eine gewaltsame Herbeiführung eines messianisch handelnden Erlösers nicht vor.[1] Gleichwohl entfalten die neutestamentliche Briefe in Anlehnung an das Alte Testament („Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde?“[2]) und die das Leben als Militia spiritualis begreifende Stoa ein ganzes Arsenal militärischer Metaphorik.

Dazu zählen Waffen allgemein,[3] der Panzer oder die Waffenrüstung,[4] der Gurt,[5] Schuhe,[6] Schild,[7] der Helm,[8] das Schwert,[9] sowie auch der Streiter, Soldat, Kämpfer als solcher,[10] dessen Rolle hier und darauf fußend vielfach in späteren altkirchlichen Schriften betont wird.

Der erste Clemensbrief bezeichnet alle Christen als Streiter Christi „Seid streitsüchtig, Brüder, und Eiferer – für das, was zum Heil dient!“ (1 Clem 37).

Im weiteren findet sich bei Origenes die Kennzeichnung der christlichen Asketen als „Soldaten Christi“. Mit den Schriften Tertullians, Cyprians und den Märtyrerakten verbreitete sich die Militärmetaphorik weit in die christliche Latinität (sacramentum, statio, vexilla, signum, donativum). Wohl konnte im 4. Jahrhundert ein Laie auch als miles christi bezeichnet werden, gleichwohl häufte sich die militärische Charakterisierung der Kleriker. So beschrieb Facundus von Hermiane Athanasius den Großen als Magister militiae Christi, so dass im 6. Jahrhundert die Benediktiner als geistlichen Grundsatz schließlich programmatisch formulierten: „Wir müssen unser Herz und unseren Leib zum Kampf rüsten.“[11]

Zur Zeit der Alten Kirche gebrauchte man die Bezeichnung bis auf häretische Ausnahmen (z. B. Agonistiker) metaphorisch, vielfach kam für Christen eine Beteiligung am Militär wegen des damit verbundenen Kaiserkultes nicht in Betracht (siehe auch: Kriegsdienstverweigerung in der Spätantike).

Mittelalter

Im 10. bzw. 11. Jahrhundert wandelte sich die Deutung des christlichen Streiters von der vergeistlichenden Metapher zum wörtlich und konkret verstandenen christlichen Ritter und Soldaten Gottes. Zunächst übte er in der Gottesfriedensbewegung als bewaffneter Friedensgarant von Kirche und Gläubigen eine weltliche Gewaltfunktion aus.

Im Zuge der aufkommenden Klosterreformen und des Investiturstreits sah sich Papst Gregor VII. veranlasst, den Begriff militia christiana und die paulinische Rede vom „guten Kämpfer Christi“ zu konzentrieren auf die bewaffneten Kräfte der milites sancti Petri. Das Papsttum bediente sich nunmehr des Adels, der nunmehr unter Einsatz direkter militärischer Gewalt weltliche römische Interessen durchsetzte. In seinem Kreuzzugsaufruf 1095 verlieh Papst Urban II. den Soldaten den Ehrentitel milites Christi.

Damit einher ging die Institutionalisierung von Ritualen wie der Waffensegnung zur „Verteidigung und Schutz […] für Kirchen, Witwen und Waisen, für alle Diener Gottes gegen das Wüten der Heiden“,[12] wobei der kirchliche Schwertsegen und die weltliche Schwertleite verschmolzen. Die Miles christianus etablierten sich nunmehr in den geistlichen Ritterorden (Johanniter, Deutscher Orden), zum Schutz der Pilger und zum Kampf gegen die Ungläubigen, wobei die Militarisierung der Orden auf die 1145 mit der Bulle Militia Dei bestätigten Templer zurückgeht, zu denen u.a. der Schwertbrüderorden zählte.

Bernhard von Clairvaux (1091–1153) unterschied in seinem De laude novae militiae ad milites Templi liber zwischen Militia saecularis und Militia Christi zugunsten des Letzteren und schuf damit die theologische Legitimation für diese Vereinigung von Kriegertum und Mönchtum.

Ritter- und Soldatenheilige

In diesen Zusammenhang verbreitete sich der Kult von Militärheiligen. Was zuvor im Bereich der Ostkirche verbreitet war (z.B. Demetrius), griff nun auch im Westen Platz. Heilige wie St. Georg, oder die Märtyrer St. Mauritius oder St. Sebastian aus der kirchlichen Tradition wurden zu Kriegerheiligen etabliert, in deren Viten ritterliche und mönchische Tugenden zusammenflossen, aber auch ganz neue "westliche" Heilige mit historischem Hintergrund wie St. Wilhelm von Gellone, St. Otger oder St. Gerald von Aurillac traten hinzu.

Neuzeit

Durch die Erfahrung der Kreuzzüge diskreditiert verblasste das Bild vom Miles christianus im allgemeinen oder wandelte sich wieder zurück zur Metapher. Die Ritterorden wandelten sich um in soziale Orden.

Die Kriegermetapher erfuhr weitere Ausformungen im Zeitalter des Konfessionalismus auf beiden Seiten. Die weithin militärisch strukturierte Organisation der Jesuiten zählt auf katholischer Seite zu den bedeutendsten Fortführern des Miles-christianus-Gedankens („Wer immer in unsrer Gesellschaft […] unter der Fahne des Kreuzes für Gott streiten will […]“[13]; siehe auch die Legionäre Christi, Miles Christi). Auf der anderen Seite begegnet der Gedanke in Allegoresen oder in Liedern wie Vorwärts Christi Streiter bzw. Mir nach, spricht Christus, unser Held), im Pietismus, der Erweckungsbewegung und auch in Strukturen des Methodismus im 19. Jahrhundert. Als augenfällige zeitgenössische Spielart des Miles christianus muss die Heilsarmee gelten.

Anmerkungen

  1. Mt 26,52 EU; Lk 9,53-55 EU
  2. Hi 7,1 EU
  3. „mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken“ (2 Kor 6,7 EU); „Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören.“ (2 Kor 10,4 EU); „Stellt eure Glieder […] zur Verfügung […] als Waffen der Gerechtigkeit in den Dienst Gottes“ (Röm 6,13 EU); „[…] lasst uns […] anlegen die Waffen des Lichts.“ (Röm 13,12 EU)
  4. „Wir […] wollen uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung“ (1 Thess 5,8 EU); „Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt.“ (Eph 6,11 EU); „Darum legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt.“ (Eph 6,13 EU); „[…] zieht als Panzer die Gerechtigkeit an“ (Eph 6,14 EU)
  5. „Gürtet euch mit Wahrheit“ (Eph 6,14 EU)
  6. „[…] und als Schuhe die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen.“ (Eph 6,14 EU)
  7. „Vor allem greift zum Schild des Glaubens! Mit ihm könnt ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen.“ (Eph 6,16 EU)
  8. „Nehmt den Helm des Heils“ (Eph 6,17 EU)
  9. „Nehmt […] das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes“ (Eph 6,17 EU); „das Wort Gottes ist […] schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Heb 4,12 EU)
  10. „Denn obwohl wir im Fleisch leben, kämpfen wir doch nicht auf fleischliche Weise […] Wir zerstören Gedanken und alles Hohe, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus. So sind wir bereit, zu strafen allen Ungehorsam.“ (2 Kor 10,3-6 EU); „Leide mit als ein guter Streiter Christi Jesu. Wer in den Krieg zieht […] und wenn jemand auch kämpft, […] er kämpfe […] recht“ (2 Tim 2,3f. EU)
  11. Regula, Prolog, 40
  12. zit. bei Weddige, S. 176
  13. Formula Instituti 1.

Literatur

  • Der miles christianus. In: Hilkert Weddige: Einführung in die germanistische Mediävistik. S. 175 f.
  • Hanns Christoph Brennecke: Militia Christi. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4. Auflage, S. 1231-1233
  • Andreas Wang: Der miles Christianus im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition: Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit. Lang, Bern; Frankfurt (M.) 1975, ISBN 3261009330.

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