Sergei Loznitsa

Sergei Loznitsa

Sergei Loznitsa (weißrussisch Сяргей Уладзіміравіч Лазніца / Siarhei Uladzimirawitsch Lasniza, ukrainisch Сергій Володимирович Лозниця / Serhii Wolodimirowitsch Losnizia; * 5. September 1964 in Baranawitschy, Woblast Brest, Weißrussische SSR) ist ein ukrainischer Filmregisseur und Drehbuchautor. Bekanntheit erlangte er ab Ende der 1990er Jahre als Regisseur von Dokumentarfilmen über die russische Provinz beziehungsweise die sowjetische Geschichte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sergei Loznitsa wurde in der Weißrussischen SSR geboren. Seine Familie zog später nach Kiew, wo er bis ins Jahr 1981 die Oberschule besuchte. Daraufhin wechselte Loznitsa auf das Kiewer Polytechnische Institut (KPI) und belegte das Fach Angewandte Mathematik. 1987 beendete er sein Studium und arbeitete die folgenden vier Jahre als diplomierter Ingenieur am Institut für Kybernetik in Kiew. Gleichzeitig war er als Übersetzer für die Japanische Sprache tätig und begann sich für den Film zu begeistern.

1991 übersiedelte Loznitsa nach Moskau und ließ sich an der staatlichen russischen Filmhochschule WGIK zum Filmregisseur ausbilden. Seine Professorin war die georgische Regisseurin und Drehbuchautorin Nana Dschordschadse. Während seines Studiums entstand unter Mitarbeit von Marat Magambetow die erste Regiearbeit Segodnya my postroim dom (1996; dt.: „Heute bauen wir ein Haus“). Der 28-minütige Dokumentarfilm über die Fertigstellung eines Hauses in Russland brachte ihm zahlreiche Auszeichnungen auf internationalen Filmfestivals ein, darunter die Goldene Taube und den MDR-Film-Preis der DOK Leipzig sowie die Dokumentarfilmpreise der Internationalen Filmtage Augsburg und des Filmfestivals von Potsdam.

Nach Abschluss seines Filmstudiums im Jahr 1997 konnten Loznitsa und Magambetow mit Zhizn, osin (1999; dt.: „Leben, Herbst“) an den vorangegangenen Erfolg anknüpfen. Der Dokumentarfilm über das Leben einer vergreisten Dorfgemeinschaft nahe Smolensk wurde unter anderem auf dem Filmfest Hamburg und dem ethnographischen Filmfestival von Berlin ausgezeichnet. Daraufhin machte sich Loznitsa als alleinverantwortlicher Dokumentarfilmregisseur einen Namen und porträtierte in seinen folgenden Arbeiten den Wartesaal eines russischen Bahnhofs (Polustanek, 2000; dt.: „Haltepunkt“), eine Gemeinschaft von Geisteskranken (Poselenie, 2001; dt.: „Die Siedlung“), die Bewohner der russischen Provinz (Portret, 2002; dt.: „Das Porträt“), eine Bushaltestelle einer russischen Kleinstadt (Peyzazh, 2002; dt.: „Landschaft“) oder den Arbeitsalltag in einer Fabrik (Fabrika, 2004; dt.: „Die Fabrik“). All diese preisgekrönten Filme, bei denen er in der Regel auf eigene Kommentare oder untermalende Musik verzichtete, entstanden am Dokumentarfilmstudio (SPSDF) in Sankt Petersburg.

Nachdem sich Loznitsa wiederholt der russischen Provinz und deren Bewohner als Thema angenommen hatte, widmete er sich in seinen folgenden Werken anhand von Original-Archivmaterial der Geschichte der Sowjetunion. Blokada (2006; dt.: „Blockade“) erzählt von der Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg und wurde mit dem russischen Nika ausgezeichnet. In Predstavleniye (2008; dt.: „Die Vorstellung“) bediente sich Loznitsa sowjetischer Provinz-Wochenschauen der 1950er und frühen 1960er Jahre. Er montierte diese mit Amateuraufnahmen und unterlegte die Bilder mit neuem Ton.[1] „Ich wollte gern in einem Film zwei verschiedene Herangehensweisen aufeinanderstoßen lassen: die neutrale, bei der der Autor des Films es dem Zuschauer überlässt, sich selbstständig eine Haltung zu dem zu erarbeiten, was er sieht, und die propagandistische, bei der diese Haltung dem Zuschauer vom Autor aufgezwungen wird“,[2] so der ukrainische Filmemacher über Predstavleniye, der ihm zum vierten Mal nach 1997 einen Preis auf dem Filmfestival von Krakau einbrachte.

Im Jahr 2000 nahm Sergei Loznitsa am Berliner Nipkow-Programm teil, ein Stipendienprogramm für Film- und Fernsehschaffende. Ein Jahr später übersiedelte er mit seiner Familie nach Deutschland. Nach acht kurz- und drei abendfüllenden Dokumentarfilmen legte er 2010 mit Mein Glück[3] (englischsprachiger Titel: My Joy[4]) seinen ersten Spielfilm vor. Die deutsche Koproduktion, unter anderem unterstützt vom ZDF und ARTE, stellt einen Fernfahrer in den Mittelpunkt, dem in Osteuropa Gewalt und Willkür zuteil werden. Dieser wird daraufhin selbst zum Verbrecher.[5] Mein Glück erhielt noch im selben Jahr als erster ukrainischer Beitrag eine Einladung in den Wettbewerb der 63. Filmfestspiele von Cannes.

Filmografie

Dokumentarfilme

  • 1997: Segodnya my postroim dom (Сегодня мы построим дом) (Kurzfilm)
  • 1999: Zhizn, osin (Жизнь, осень) (Kurzfilm)
  • 2000: Polustanok (Полустанок) (Kurzfilm)
  • 2001: Poselenie (Поселение) (Langfilm)
  • 2002: Portret (Портрет) (Kurzfilm)
  • 2003: Peyzazh (Пейзаж) (Langfilm)
  • 2004: Fabrika (Фабрика) (Kurzfilm)
  • 2006: Blokada (Блокада) (Kurzfilm)
  • 2006: Artel (Aртель) (Kurzfilm)
  • 2008: Predstavleniye (Представление) (Langfilm)
  • 2008: Nordlicht (Северный свет) (Kurzfilm)

Spielfilme

Auszeichnungen (Auswahl)

Nika

  • 2005: Bester Dokumentarfilm für Blokada

Weitere

Filmfest Hamburg

  • 2000: Jurypreis für Zhizn, osin

Internationales Filmfestival Karlovy Vary

  • 2003: Lobende Erwähnung für Portret
  • 2007: Bester Dokumentarfilm (unter 30 Minuten) für Artel

Krakowski Festiwal Filmowy

  • 1997: Bronzener Drache für Segodnya my postroim dom
  • 2001: Lobende Erwähnung für Polustanok
  • 2006: Goldener Drache für Blokada
  • 2008: Goldenes Horn für Predstavleniye

DOK Leipzig

  • 1996: Goldene Taube und MDR-Film-Preis für Segodnya my postroim dom
  • 2000: Silberne Taube für Polustanok
  • 2001: Silberne Taube für Poselenie
  • 2002: Silberne Taube für Portret

Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

  • 2003: Großer Preis für Portret

Literatur

  • Ohne Lösung. Sergej Loznitsa über "Mein Glück" (Gespräch mit Hans-Joachim Schlegel), in: "Film-Dienst" 2011, Heft 4
  • Hans-Joachim Schlegel: Höllische Provinzidylle. Sergej Loznitsas "Mein Glück", in: "Berliner Zeitung", 20. Februar 2011

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. Die Vorstellung. In: Welt am Sonntag, 22. November 2009, Nr. 47, S. 76
  2. vgl. Ausstellungsprogramm: Dokumentarfilm "Revue" von Sergei Loznitsa bei rostocker-friedensbuendnis.de (aufgerufen am 18. April 2010)
  3. vgl. Hurra, wie leben noch! Doch deutscher Beitrag in Cannes bei n-tv.de, 15. April 2010 (aufgerufen am 19. April 2010)
  4. vgl. Offizielles Presskit der Filmfestspiele von Cannes 2010 (englisch; aufgerufen am 20. April 2010)
  5. vgl. Handlungszusammenfassung bei majade.de (aufgerufen am 15. April 2010)

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