Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen

Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen
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Abrechnungsbetrug ist ein spezielles Betrugsdelikt im deutschen Gesundheitswesen, bei dem ein Teil der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser oder sonstiger Leistungserbringer wie Psychotherapeuten, Logopäden oder Physiotherapeuten Vergütungen für nicht erbrachte Leistungen erschleichen, oder bei dem Apotheker, Sanitätshäuser oder sonstige Lieferanten Vergütungen für nicht erbrachte Lieferungen kassieren.

Geschädigt werden die Verbraucher oder Patienten, deren Krankenkassen oder privaten Krankenversicherungen, Beihilfeträger oder bei budgetierten Leistungen andere Leistungserbringer.

Gelegentlich wirken an dem Abrechnungsbetrug Patienten oder Krankenkassenmitarbeiter mit. Auch gibt es gemeinschaftlichen Betrug mehrerer Leistungserbringer (z. B. Arzt und Apotheker).

Inhaltsverzeichnis

Lage in Deutschland

In den letzten Jahren hat die Zahl der diesbezüglichen Ermittlungsverfahren in Deutschland zugenommen. Für 2003 weist die amtliche Statistik 13781 Fälle aus, das sind 1374 mehr als 2002. Die Höhe des Schadens wird auf 155 Mio Euro geschätzt. Insbesondere im Saarland ermittelt die Polizei ("Ermittlungsgruppe Rezept")seit 2003 gegen jeden 7. saarländischen Apotheker und mehr als 100 niedergelassene Ärzte und 30 andere Dienstleister des Gesundheitswesens sowie gegen über 1500 Patienten. Der Schaden erreicht mittlerweile die zweistellige Millionenhöhe.

Auswirkungen

Durch Abrechnungsbetrug mit budgetierten Leistungen schädigen niedergelassene Ärzte ihre Fachkollegen in der gleichen Kassenärztlichen Vereinigung (KV), deren Punktwerte und Honorare dadurch geringer ausfallen. Der Grund ist, dass die Krankenkassen für die ärztlichen Leistungen Pauschalbeträge an die KVen zahlen, die unter den abrechnenden Ärzten von den KVen nur verteilt werden. Betrug mit außerbudgetären Leistungen schädigt die Krankenkassen.

Abrechnungsbetrug von Apothekern hat andere Auswirkungen, weil Medikamentenkosten von den Krankenkassen direkt mit den Apothekern abgerechnet werden. Geschädigt sind hier die Krankenkassen oder die Versicherten. Das gleiche gilt für Sanitätshäuser, sonstige Lieferanten, Physiotherapeuten und andere Gesundheitsfachberufe, die direkt mit den Krankenkassen abrechnen.

Abrechnungsbetrug durch Krankenhäuser (etwa durch unangemessene Wahl von Krankheitsverschlüsselungen oder falsche Verwendung von öffentlichen Fördermitteln) wird zur Zeit politisch und somit journalistisch nicht thematisiert.

Maßnahmen zur Bekämpfung

Vorsätzliche Falschabrechung ist als Betrug strafbar. Darüber hinaus stellt es beim Vertragsarzt (Kassenarzt) eine grobe Vertragsverletzung dar, die in der Regel ein Zulassungsentziehungsverfahren auslöst.

Die Aufgabe der Bekämpfung des Abrechnungsbetruges bei Ärzten und Zahnärzten liegt in erster Linie bei den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen. Diese verwenden eine Reihe von Plausibilitätsprüfungen, so z. B. eine mit dem EBM 2000plus eingeführte Prüfung der Plausibilitätszeiten, wo zu einzelnen Leistungen eine mindestens benötigte Zeit ermittelt wird, so dass sofort auffällt, wenn der Arzt in der Summe dieser Zeiten über einem plausiblen Wert (z. B. 12 Stunden pro Tag) liegt.

Abrechnungsbetrug bei Ärzten

In Deutschland werden die Leistungen, die bei einem Versicherten einer Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht hat, vom Arzt selbst erfasst und der für ihn zuständigen KV übermittelt. Von der KV werden die Abrechnungsdaten anonymisiert an die zuständigen Krankenkassen weitergeleitet. Der Patient erhält zwar auf Wunsch eine „Leistungs- und Kosteninformation“ (Patientenquittung); die Erfahrung zeigt, dass nur selten solche Quittungen tatsächlich verlangt werden. Zudem weiß der Arzt bei der Erbringung der Leistung noch gar nicht, welchen Wert die Punkte, die er dafür bekommt, in EURO haben werden; er kann also gar keine Bestätigung in Euro dafür ausstellen. Die Kontrolle der Abrechnungen ist somit praktisch nur über Stichproben und statistische Methoden möglich.

Beispiele für Abrechnungsbetrug sind:

  • In Rechnung stellen von nicht erbrachten Leistungen
  • Falschabrechnung von Leistungen (Aufbauschen von Leistungen oder falsches Klassifizieren)
  • Abrechnung von nicht persönlich erbrachten Leistungen (Beispiel: Ein angestellter Klinikarzt erbringt eine Leistung und der Chefarzt rechnet dies als selbst erbrachte, persönliche Leistung ab)
  • Abrechnung unter falschem Datum. Damit entgeht der Arzt Leistungsauschlüssen oder Höchstbetragsregelungen

Abrechnungsbetrug bei Apothekern und sonstigen Lieferanten

Beispiele für Abrechnungsbetrug sind:

  • Abgabe von reimportieren Medikamenten oder Nachahmerpräparaten (Generika) unter Berechnung des Originalpräparats
  • Abrechnung von Rezepten, die nicht beliefert werden
  • Mittäterschaft von Ärzten: Apotheker oder Lieferant zahlen den rezeptverordnenden Ärzten eine Provision
  • Mittäterschaft von Patienten: Apotheker oder Lieferant teilen mit den Patienten den erschwindelten Betrag bei Nichtausgabe eines Teils des Rezeptumfangs bei voller Abrechnung gegenüber der Krankenkasse bzw. tauschen Rezepte gegen andere Waren (Kosmetika, Potenzmittel, andere nicht verschreibungsfähige Präparate pp.).

Die Verordnungen von Ärzten werden über Budgets reguliert, so dass ein Arzt persönlich (mit eigenem Vermögen) für die Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungen haften muss. Bei einer Prüfung der Verordnungen eines Arztes werden somit gelegentlich auch falsche Abrechnungen von Apotheken aufgedeckt.

Literatur zum Thema Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen

  • Harro Herrffs: Der Abrechnungsbetrug des Vertragsarztes (MedR Schriftenreihe Medizinrecht), 2001, Springer Verlag, ISBN 3540427112
  • Heike Hancok: Abrechnungsbetrug durch Vertragsärzte (Schriftenreihe Gesundheitsrecht und Gesundheitswissenschaften), Nomos 2006, ISBN 978-3-8329-2243-6
  • Franz-Josef Dahm/Jens <Schmidt: Falschabrechnung (Abrechnungsbetrug), in: Rieger (Hrsg.), Lexikon des Arztrechts, 2. Aufl. Heidelberg 207, Beitrag 1780 (32 Seiten)
  • Gernot Steinhilper (Hrsg.), Arzt und Abrechnungsbetrug, Kriminalistik Verlag 1988
  • Gernot Steinhilper, Kriminogene Normgebung ? Kriminalpolitische Überlegungen zur Eindämmung ärztlichen Abrechnungsbetruges, in: Feltes/Pfeiffer/Steinhilper (Hrsg.), Festschrift für H.D. Schwind zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2006, S. 163 - 174
  • Gernot Steinhilper, Plausibilitätsprüfungen und Betrugsverdacht bei Vertragsärzten - Verfahrensregelungen der Kassenärztlichen Vereinigungen, in: Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (Hrsg.), Plausibilitätsprüfungen, Rechtsfragen der Gemeinschaftspraxis, Abrechnungsmanipulationen, Saarbrücken 2005, S. 285 - 298
  • Klaus Ulsenheimer, Der Vertragsarzt als Sachverwalter der Vermögensinteressen der gesetzlichen Krankenkassen? , Zeitschrift Medizinrecht 2005, S. 622 - 628
  • Rüdiger Weidhaas, Der Kassenarzt zwischen Betrug und Untreue, in: ZMGR 2005, S. 52 - 56

Weblinks


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