Chemie im Mikromaßstab

Chemie im Mikromaßstab

Chemie im Mikromaßstab (= Chemie mit kleinen Mengen = Chemie microscale = Chemie en miniature, im Englischen Small-Scale Chemistry oder Microscale Chemistry) ist eine Unterrichtsmethode für Schulen und Hochschulen, bei der die Lernenden mit kleineren als den üblichen Substanzmengen arbeiten. Während bei traditionellen Praktika Gramm-Mengen eingesetzt werden, kommt die Chemie im Mikromaßstab mit 10 bis 500 Milligramm aus. Hier wird nur der auf den Chemieunterricht der Primar- und Sekundarstufe sowie auf die Lehrerfortbildung bezogene Teilaspekt des Arbeitens im Mikromaßstab betrachtet. Auf diesen Stufen reichen oft einfachste Materialien (z. B. verschließbare Ampullen, Insulinspritzen, Tropfflaschen, Schalenwaage) und Stoffe aus dem täglichen Leben.[1]

Die beim Arbeiten verwendeten Methoden und Techniken gehören zum Bereich Mikrochemie. Dabei ist die Halbmikrotechnik (Semi-Mikrotechnik) mit dem erweiterten Stoffportionsbereich bis 1000 mg für die Schule und Hochschule, aber auch für die Forschung von besonderem Interesse, da sie es erlaubt, klassische Analyse- und Synthestechniken zu verwenden. So ist mit etwa 100 Milligramm in Lösung von 2 Millilitern noch das Sieden unter Rückfluss, das Destillieren, Fällen, Filtrieren und Extrahieren möglich. Damit bleibt die Möglichkeit zum präparativen Arbeiten erhalten.

Die im Mikromaßstab verwendeten Mengen sind immer noch deutlich (teils mehrere Größenordnungen) höher, als moderne Analyseverfahren benötigen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

  • In die Wissenschaft führte Fritz Pregl an der Universität Innsbruck die Chemie im Mikromaßstab ein, indem er mit 10 mg organischer Substanz eine quantitative Elementaranalyse machte.
  • Die mikrochemischen Methoden wurden dann von Fritz Feigl mit der Tüpfelanalyse ergänzt. Sie ist die Vorläuferin der Chromatographie, einer weiteren wichtigen Analysetechnik.
  • Im praktischen Chemieunterricht verwendete Egerton C. Grey[2] Anfang der 1920er Jahre erstmals Chemie im Mikromaßstab an der Kairo Government Medical School in Ägypten. Die angehenden Ärzte lernten dort das gesamte Chemie-Curriculum aufbauend auf praktischen Arbeiten mit Tropfen von Flüssigkeiten und Körnchen von Feststoffen in winzigen Behältern kennen.
  • In Deutschland wurde bereits 1967 in der ehemaligen "DDR" die Halbmikrotechnik für Schulversuche [3] publiziert.
  • Mehr als 60 Jahre später brachten in den USA am Merrimack College in Andover, Massachusetts Mayo, Pike und Butcher[4] mikrochemisches Experimentieren in die Grundausbildung von Studenten in der organischen Chemie ein.
  • Ab 1992 führte das dort gegründete National Microscale Chemistry Center[5] Chemielehrer und -professoren aus aller Welt durch die Entwicklung kleiner Glas-Apparaturen und Publikation von Lehrbüchern in die Chemie im Mikromaßstab ein.
  • Ende der 1980er Jahre entwickelte Breuer[6] in [England] an der Universität von Lancaster einen einfacheren und preiswerteren Gerätesatz für Anfangssemester in der organischen Chemie und publizierte das Buch "Microscale Practical Organic Chemistry".
  • Zur gleichen Zeit begann El-Marsafy[7] an der Ain Shams Universität Kairo mit der praktischen Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte ausgehend von Chemie im Mikromaßstab. Tausende von Studenten arbeiteten im Labor, im Klassenraum und zu Hause mit kleinen Kits, die sie sich aus einfachen, überall im Lande erhältlichen Materialien zusammenstellten.
  • In Deutschland führte Baumbach 1981 Chemie im Mikromaßstab in den Unterricht von Schulen ein und publizierte sein Buch "Chemische Schulversuche mit dem Mikroglasbaukasten.[8][9]
  • Schallies verbreitete 1987 die neue Methode über die Lehrerausbildung.[10][11][12]
  • Das Organikum[13] enthält ab der 20. Auflage (1996) ein kurzes Kapitel, das in das Arbeiten im Mikromaßstab einführt. Die meisten im Organikum behandelten Synthesen können auch im (Halb-)Mikromaßstab durchgeführt werden.

Vorteile

  • geringerer Verbrauch an Chemikalien und Lösungsmitteln
  • weniger Abfall
  • erhöhte Sicherheit
  • konstruktive Aufgabenstellung möglich
  • weniger Raum erforderlich
  • Material transportabel
  • Heimexperimente motivieren langsame und ängstliche Lernende
  • geringerer Zeitbedarf (Vorbereitung, Versuch, Wegräumen)
  • dadurch sofortige Wiederholung missglückter Versuche möglich

Nachteile (im Hochschulbereich)

  • teils geringere Ausbeuten
  • Handhabung kleiner Substanz- und Flüssigkeitsmengen ist nicht immer einfach
  • höhere Genauigkeit erforderlich (z. B. der Waagen)
  • teilweise spezielle Glasgeräte nötig

Beispiele von Chemie im Mikromaßstab

Primarstufe

Sekundarstufe I

Sekundarstufe II

Literatur

  • Jander, G., Blasius, E. Einführung in das anorganisch-chemische Praktikum, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2005.

Einzelnachweise

  1. Schwarz, P.: MicrEcol = Chemie im Mikromaßstab (1997).
  2. Grey, E.C.; Practical Chemistry by Micro-Methods, Heffer, Cambridge, 1928.
  3. Keune, Kuhnert, Stapf (Hrsg.) Chemische Schulversuche, Harri Deutsch Verlag Lizenzausgabe 1975, ISBN 3-87144-238-0, Nachdruck von Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin 1967
  4. Mayo, D., Pike, R. and Butcher, S.; Organic Microscale Texts. John Wiley & Sons 1986.
  5. National Microscale Chemistry Center
  6. Breuer, S.; Mikrochemisches Experimentieren für alle Altersstufen. The Arab Academic College for Education. Haifa 2006.
  7. El-Marsafy, M., The microscale chemistry laboratory technology and its implications on the future education. Symposium on Sciences and Engineering Education in the 21st century. Book of Abstracts, 18 - 20. Cairo American University (1995).
  8. Baumbach, E.; Experimente zur Bestimmung von Siedepunkten. Praxis der Naturwissenschaften Chemie Vol. 30, Nr. 5, S. 155 (1981).
  9. Baumbach, E.; Chemische Schulversuche mit dem Mikroglasbaukasten. Dümmler/Bonn, 1981.
  10. Büttner, R., Schallies, M., & Redeker, J.; Basisoperationen mit neuartigen miniaturisierten Laborglasgeräten für den experimentellen Chemieunterricht (Schülerversuche). Praxis Naturwiss.Chem., 36, 7-12 (1987).
  11. Redeker, J., Schallies, M.; Entwicklung optimierter Versuche für die Experimentalausbildung in Chemie unter Verwendung neuartiger miniaturisierter Laboratoriumsgeräte. Praxis Naturwiss.Chem., 36, 2-6 (1987).
  12. Schallies, M.; Projekt "Minilabor" - chemische Experimente in Halbmikrotechnik. In: Oberschulamt Karlsruhe & Pädagogische Hochschule Heidelberg (Hrsg.), Heidelberger Hauptschulwoche 1987. (S.180-188). Heidelberg: Druckerei Schmich KG.
  13. Becker, H. u. a.; Organikum, 20. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim, 1999.

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