Nestlé tötet Babies

Nestlé tötet Babies

Die Broschüre Nestlé tötet Babies aus dem Jahr 1974 war Teil einer internationalen Kampagne von Entwicklungshilfe-Gruppen, mit der über schädliche Folgen von künstlicher Babynahrung in Entwicklungsländern aufgeklärt werden sollte. Die Broschüre wurde in der Schweiz durch die «Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern» (AG3W) herausgegeben und richtete sich gezielt gegen Nestlé, den weltgrössten, in der Schweiz ansässigen Hersteller von Babynahrung. Es handelte sich um eine abgeänderte Übersetzung des durch die englische Hilfsorganisation «War on Want» im selben Jahr veröffentlichten Reports The Baby Killer.

Die Kampagne warf Nestlé vor, durch irreführende Werbung Mütter zu veranlassen, ihre Babys, anstatt sie zu stillen, mit künstlicher Nahrung zu versorgen. In vielen Regionen der Erde führte dies dazu, dass Milchpulver unter ungenügenden hygienischen Bedingungen angesetzt wurde. Die Kosten für Brennstoffe verhinderten oft eine ausreichende Sterilisierung der Babyflaschen, der Preis des Pulvers führte zu einer übermässigen Verdünnung. In der Folge litten Babys unter Dysenterie, Diarrhoe und Unterernährung.[1]

Kurzfristig führte die Broschüre zu einem Strafprozess am Bernischen Obergericht[2], bei welchem Moritz Leuenberger als Anwalt für die AG3W auftrat. Der Titel der Broschüre war ein Grund für die am 2. Juli 1974 durch Nestlé bei einem kantonalbernischen Gericht eingereichte Strafanzeige wegen Ehrverletzung gegen unbekannt, die zu einem Pyrrhussieg für Nestlé führte.[3] 1976 wurden die Verantwortlichen für die Broschüre wegen einer Ehrverletzung im Titel zu einer Geldbusse in Höhe von 300 Schweizer Franken verurteilt. Alle inhaltlichen Vorwürfe gegen Nestlé erklärte das Gericht für zulässig.[4]

Die Kampagne ging weiter und verbreitete sich international. 1977 begann ein Boykottaufruf in Papua Neuguinea. 1979 rief die Weltgesundheitsorganisation WHO zu einer Anhörung. Bei dem Treffen wurde das International Baby Food Action Network (IBFAN) gegründet. 1981 wurde der Internationale Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten durch die Weltgesundheitsversammlung (WHA) veröffentlicht. Er verpflichtet die Anbieter von Babynahrung zur Unterlassung von irreführender Werbung und weiteren Marketing-Massnahmen.[5] Im selben Jahr entstand in Deutschland die Aktionsgruppe Babynahrung. 1998 wurde das IBFAN mit dem «Alternativen Nobelpreis» Right Livelihood Award ausgezeichnet.

Die Kampagne wird heute in der Konsumsoziologie als Beispiel angeführt, «dass soziale Bewegungen auf breiter Basis gegenüber Transnationalen Konzernen und Grossbanken intervenieren können».[6]

Broschüre Nestlé tötet Babies

  • War on Want: The Baby Killer. Übersetzung: Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern. Nestlé tötet Babies. Bern, 1974.
  • Le tueur de bébés. Déclaration de Berne, Lausanne.
  • L'uccisore di bambini. Dichiarazione di Berna, Lugano.
  • El asesino de bebés. AG3W, Bern.

Literatur

  • Freimut Duve (Hrg.). Exportinteressen gegen Muttermilch. Der tödliche Fortschritt durch Babynahrung. Eine Dokumentation der Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 1976.
  • Dagmar Zigenis. Internationaler Frauen–Informationsdienst. Flaschenkinder. Dokumentation. Ökumenischer Rat der Kirchen.

Film

  • Peter Krieg. Flaschenkinder. Dokumentarfilm. 30 min. Silbermedaille des International Science and Technology Film Festival, Tokyo.

Einzelnachweise

  1. Die Darstellung stützt sich auf: Erklärung von Bern: Ein Weltreich aus Milch und Mehl – zur Geschichte (abgerufen am 30. Dezember 2009)
  2. Bernisches Obergericht: Infointerne. Informationen, Referate und Aufsätze aus der Bernischen Justiz, Heft 22, Winter 2003.
  3. Monica Kalt: «Nestlé tötet Babies» - Tötet Nestlé Babies?. Konferenz an der Universität Basel, 23.–25. Oktober 2003.
  4. Erklärung von Bern: «Nestlé tötet Babys!» – die Geschichte einer Kampagne (abgerufen am 30. Dezember 2009)
  5. IBFAN: History of the Campaign (abgerufen am 30. Dezember 2009)
  6. Ronald Hitzler, Michaela Pfadenhauer (Hrsg.) Politisierter Konsum – konsumierte Politik. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 9783531903118.

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