Primäre Insomnie

Primäre Insomnie
Vergleichende Klassifikation nach
ICD-10   DSM-IV
F51.0 Nicht-organische Insomnie 307.42 Primäre Insomnie
ICD-10 online DSM IV online

Die primäre Insomnie (Syn. Agrypnie, Schlaflosigkeit[1]) zählt zu den Schlafstörungen und zeichnet sich, im Gegensatz zur sekundären Form, durch das Fehlen einer organischen oder psychiatrischen Erkrankung aus.

Inhaltsverzeichnis

Epidemiologie

Folgt man streng den Diagnosekriterien von DSM-IV und ICD-10, hat die primäre Insomnie eine Prävalenz von etwa 3 % in der Gesamtbevölkerung. Frauen sind hierbei häufiger betroffen als Männer. Betrachtet man nicht-organische Schlafstörungen mit oder ohne Tagesmüdigkeit unabhängig der Kriterien liegt die Prävalenz bei bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung.[2]

Ätiopathogenese

Meist liegt der primären Insomnie ein auslösendes Lebensereignis zugrunde. Dies führt entweder zu schlafbehindernden Gedanken oder zur Aktivierung bzw. Erregung und setzt dann einen entsprechenden Teufelskreis in Gange. Auch können ungünstige Schlafgewohnheiten diesen Circulus vitiosus in Gang setzen.

Der Beginn kann beispielsweise bei schlafbehindernden Gedanken liegen (Grübeln, negative Gedanken, Nachdenken über negative Konsequenzen des schlechten Schlafes). Dies setzt sich dann mit vermehrter Anspannung bzw. Erregung (emotional, motorisch, autonomes Nervensystem) fort. Als Konsequenz davon kommt es zu Müdigkeit, schlechter Stimmung, Abfall der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, geringerer Lebensaktivität oder Einschränkung der sozialen Kontakte. Hierdurch werden ungünstige Schlafgewohnheiten, wie lange Bettzeiten, langes Wachliegen, unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus oder Tagschlaf, gefördert. Daraus ergeben sich dann wieder schlafbehindernde Gedanken und erhalten folglich diesen Kreislauf der primären Insomnie. Daraus wird auch sehr klar ersichtlich, warum die primäre Insomnie chronisch verläuft und langfristige Konsequenzen nach sich zieht.[3][4]

Klinik

Entsprechend der DSM-IV Diagnosekriterien präsentiert sich die primäre Insomnie wie folgt:[5]

  • Vorherrschende Beschwerden in Bezug auf Einschlaf- oder Durchschlafschwierigkeiten für mindestens einen Monat
  • Die Schlaflosigkeit bzw. die damit verbundene Tagesmüdigkeit führt zu deutlichen Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen
  • Die Schlafstörung ist nicht ausschließlich auf eine andere Schlafstörung zurückzuführen
  • Die Schlafstörung ist nicht im Zuge einer psychiatrischen Erkrankung (z. B. Major Depression, Angststörungen, etc.) aufgetreten
  • Die Schlafstörung ist nicht die Folge von Medikamenteneinnahme, Drogenkonsum oder einer organischen Grunderkrankung

Das Risiko zur Entwicklung einer Depression ist bei Patienten mit primärer Insomnie erhöht.[6]

Diagnostik

Zur Beurteilung der Schlafqualität bzw. der Tagesmüdigkeit stehen mehrere standardisierte Messinstrumente im Sinne von Fragebögen zur Verfügung, so etwa der Pittsburgh-Sleep quality-Index (PSQI). Wegweisend für Diagnose und Therapieentscheidung ist das Führen eines Schlaftagebuchs durch den Patienten über ein bis zwei Wochen. Hierbei werden unter anderem Bettzeiten, sowie Schlaf- und Wachphasen protokolliert. Mit Hilfe einer Aktometrie können die Schlafzeiten grob objektiviert werden. Zum Ausschluss anderer Schlafstörungen bzw. bei Nichtansprechen auf eine Therapie kann auch eine Polysomnographie in einem Schlaflabor durchgeführt werden. In jedem Fall sollte eine körperliche und psychologische/psychiatrische Anamnese erhoben werden.

Therapie

Nicht-medikamentöse Verfahren

Bewährt haben sich Maßnahmen zur Verbesserung der Schlafhygiene (z. B. Einhalten eines konstanten Schlaf-Wach-Rhythmus, Verzicht auf Alkohol und Nikotin), der Stimuluskontrolle (z. B. Verringerung der Bettzeiten) und der Schlafrestriktion. Es können, abhängig von der spezifischen Problematik des Patienten, auch verschiedene Entspannungsverfahren zum Einsatz kommen (z. B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, autogenes Training). Neben diesen Maßnahmen der Verhaltenskontrolle werden auch kognitive Techniken eingesetzt, deren Ziel es ist, schlafbehindernde Gedanken abzubauen.[7]

Medikamentöse Verfahren

Es werden Schlafmittel eingesetzt. Benzodiazepine können kurzfristig zur Therapie verabreicht werden. Längerfristig ergeben sich aber durch die lange Halbwertszeit, die Absetzeffekte, sowie durch die Entwicklung von Toleranz und Abhängigkeit Probleme bei dieser Medikation. Als Alternativen stehen die so genannten „Z-Präparate“ (Zopiclon, Zolpidem, Zaleplon) zur Verfügung, die eine kürzere Halbwertszeit haben und ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweisen sollen. Sichere Belege hierfür stehen allerdings noch aus. Sedierende Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) sind insbesondere für die längerfristige Therapie eine gute Option, allerdings zum Gebrauch als Schlafmittel Off-Label. Anti-Histaminika der ersten Generation können dank ihrer ZNS-Gängigkeit als Hypnotikum verordnet werden.

Literatur

  • Berger, M. (Hrsg.): Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie. 3. Auflage. Urban & Fischer, 2009, ISBN 3-437-22481-6
  • Kryger, M. et. al. (Hrsg.): Principles and Practice of Sleep Medicine. 4th Edition, Saunders, 2005, ISBN 1416003207
  • Möller H.-J., Laux D, Deister A.: Psychiatrie und Psychotherapie. 4. Auflage, Thieme, 2009, ISBN 3-13-128544-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Roche Lexikon Medizin. 5 Auflage. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München 2003, ISBN 3-437-15072-3 (Stichwort: Insomnie, Schlaflosigkeit).
  2. Ohayon MM (2002). Epidemiology of insomnia: what we know and what we still need to learn. Sleep Medicine Reviews, 6, pp. 97-111
  3. Circulus Vitiosus der Schlaflosigkeit (JPEG). Abgerufen am 14. Juni 2010.
  4. Möller H.-J., Laux D, Deister A.: Psychiatrie und Psychotherapie. 4. Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 3-131-28544-3 (pp. 293-306).
  5. American Psychiatric Association, APA (1994). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (4. Auflage). Washington: APA.
  6. Riemann D & Voderholzer U (2003). Primary insomnia: a risk factor to develop depression? Journal of Affective Disorders, 76, pp. 255-259
  7. Riemann D & Perlis ML (2009). The treatments of chronic insomnia: a review of benzodiazepine receptor agonists and psychological & behavioral therapies. Sleep Medicine Reviews
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