- Prüfeninger Weiheinschrift
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Die Prüfeninger Weiheinschrift ist eine hochmittelalterliche Inschrift, die 1119 über dreihundert Jahre vor Johannes Gutenberg nach dem typographischen Prinzip erzeugt wurde.[1] Die Inschriftenplatte steht im Kloster Prüfening in Regensburg (Bayern).
Inhaltsverzeichnis
Beschreibung
Die lateinische Inschrift befindet sich an ihrem ursprünglichen Ort im Kloster Prüfening, einer ehemaligen Benediktinerabtei; sie enthält die Weihe für die von den Bischöfen Hartwig von Regensburg und Otto von Bamberg zu Ehren des Hl. Georg errichtete Klosterkirche. Die an einem der Kirchenpfeiler befestigte Inschriftenplatte gibt das Jahr der Kirchweihe und damit ihr eigenes Entstehungsdatum mit 1119 (•MCXVIIII•) an. Sie besteht aus gebranntem Ton und ist ca. 26 cm breit, 41 cm hoch und 3 cm dick; die Schriftart auf der rot-weiß übermalten, von einem Riss durchlaufenden Platte ist die klassisch-römische Monumentalschrift. Kopien befinden sich in mehreren deutschen Museen, darunter im Gutenberg-Museum in Mainz.[2]
Typographie
Das ungewöhnlich scharfe Schriftbild der Inschrift hat in der Epigraphie immer wieder zu der Vermutung geführt, dass die Buchstaben nicht per Hand in den Ton eingeritzt wurden.[3] Der typographische Charakter der Inschrift konnte jüngst in einer systematischen Untersuchung des Textkörpers durch den Schriftsetzer und Sprachwissenschaftler Herbert Brekle eindeutig nachgewiesen werden.[4] Demnach handelt es sich um eine Frühform des Buchdrucks, wie er bereits bei der Phaistos-Scheibe zur Anwendung gekommen war: Der 17-zeilige Text wurde mittels einzelner Buchstabenstempel (vermutlich aus Holz) in den noch weichen Ton gedrückt, wobei für jeden Buchstaben, der mehr als einmal vorkam, derselbe Stempel erneut verwendet wurde.[5] Damit ist das maßgebliche typographische Kriterium erfüllt, nämlich die durchgängige Wiederverwendung von Lettern zur Texterstellung.[5] Dabei ist es unerheblich, dass die Prüfeninger Inschrift durch Eindrücken in den Ton und nicht − wie später von Gutenberg praktiziert − Drucken auf Papier hergestellt wurde, da weder die technische Ausführung noch das Material des Bedruckkörpers den Druck mit beweglichen Lettern definieren, sondern das Kriterium der Typidentität:[6]
„Das entscheidende Kriterium, das ein typographisch hergestellter Druck erfüllen muß, ist jenes der Typidentität der jeweils im gedruckten Text erscheinenden Buchstabenformen. Mit anderen Worten: alle im Text auftauchenden Buchstabenformen müssen sich jeweils als Exemplare ("tokens") ein und desselben Buchstabentyps, eben der Type oder Letter, die ein seitenverkehrtes Bild des gedruckten Buchstabens zeigt, erweisen.“
Durch Übereinanderprojizieren der im Text vorkommenden Buchstaben (also z.B. aller "A" übereinander) bei starker Vergrößerung konnte die durchgehende Typidentität der Prüfeninger Weiheinschrift zweifelsfrei demonstriert werden.[5] Ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass der Erschaffer der Inschrift mit wiederverwendeten Lettern gearbeitet hat, ist die auffällige Neigung mancher Buchstaben nach rechts oder links; in diesen Fällen war es ihm nicht gelungen, die Buchstabenstempel völlig parallel zu den Seitenrändern der Platte aufzusetzen.[5] Das Indiz der verwackelt eingedrückten Lettern, aber vor allem die Erfüllung des Typ-Exemplar-Kriteriums beweisen die "typographische Herstellungsart der Prüfeninger Weiheinschrift zweifelsfrei".[1]
Ein in der Nähe des Prüfeninger Klosters gefundendes Fragment einer weiteren Inschriftentafel deutet darauf hin, dass die Weiheinschrift keinen Einzelfall darstellte, sondern die typographische Herstellungsart zumindest im lokalen Umfeld häufiger zur Anwendung gekommen sein muss.[7]
Weitere mittelalterliche Techniken
Im italienischen Cividale steht ein silberner Altaraufsatz aus der Zeit des Patriarchen Pelegrinus II. (1195−1204), dessen lateinische Inschrift mit Hilfe von Buchstabenpunzen, also eines Stichels hergestellt wurde.[8] Lipinsky zufolge ist diese Technik zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert auch in Staurotheken und Lipsanotheken des byzantinischen Kulturbereichs zu finden, mit dem die venezianische Seefahrerrepublik enge Handelsbeziehungen unterhielt.[9]
Neben der beschriebenen Stempel- und Sticheltechnik ist aus dem Mittelalter noch eine andere typographische Technik bekannt: In der heute zerstörten Chertsey Abbey in England fanden sich Reste eines aus Buchstabenziegeln zusammengesetzten Pflasters, das im 13. Jahrhundert nach dem Scrabble-Prinzip verlegt wurde.[10] Die Technik ist auch für das Kloster Zinna bei Berlin und das niederländische Kloster Aduard dokumentiert.[11]
Wortlaut
Der lateinische Wortlaut der Inschrift lautet mit ausgeschriebenen Abkürzungen:[12]
„+ Anno domini MCXVIIII, IIII idus mai, consecratum est hoc monasterium in honore sancti Georgii a venerabilibus episcopis Ratisponensi Hartwico Bambergensi Ottone. Continentur in prinicipali altari de ligno Domini; reliquiae sanctae Mariae; apostolorum Petri et Pauli, Andreae; Mathei, Marci, evangelistarum; Barnabae; sanctorum martyrum Stephani, protomartyris, Clementis, Dionysii, Rustici, Eleutherii, Laurentii, Vincentii, Sebastiani, Crisogoni, Pancratii; sanctorum confessorum Ermachorae, Fortunati, Salini, Albini, Fursei, Gundolfi, Drudonis, Juventii; sanctarum virginum Genofevae, Gratae, Columbae, Glodesindis.“
In der deutschen Übersetzung:
„Im Jahre des Herrn 1119, an den Iden des Mai (12. Mai) ist konsekriert worden dieses Münster zu Ehren des hl. Georg von den sehr verehrungswürdigen Bischöfen Hartwig von Regensburg und Otto von Bamberg. Es sind enthalten im Hauptaltar Reliquien vom Kreuzesholz des Herrn, der hl. Maria, der Apostel Petrus, Paulus und Andreas, der Evangelisten Matthäus und Markus, des Barnabas, der hl. Märtyrer: Stephanus, des Erzmärtyrers, des Clemens, des Dionysius, des Rusticus, des Eleutherius, des Laurentius, des Vincentius, des Sebastian, des Chrisogonus, des Pancratius; der hl. Bekenner: Ermachora, des Fortunatus, des Salinus, des Albinus, des Furseus, des Gundolf, des Drudon, des Juventinus; der hl. Jungfrauen Genoveva, Grata, Columba, Glodesindis.“
Einzelnachweise
- ↑ a b Brekle (2005), S. 25:
„Mit diesen Beobachtungen und Schlußfolgerungen ist die typographische Herstellungsart der Prüfeninger Weiheinschrift zweifelsfrei nachgewiesen. Es ist gezeigt worden, daß das typographische Prinzip, d.h. Buchstaben"typen" − in welcher materiellen Manifestation auch immer − in notwendigerweise jeweils immer gleichen (typidentischen) Formen auf einem Druckträger in Zeilen aneinandergereiht abzubilden, im Kloster Prüfening im Jahre 1119 verwirklicht worden war.“
- ↑ Brekle (2005), S. 7−11
- ↑ Hupp (1906), S. 185f. (+ Abb.); Lehmann-Haupt (1940), S. 96f.
- ↑ Brekle (2005); Brekle (1997), S. 62f.
- ↑ a b c d Brekle (2005), S. 22–25
- ↑ Brekle (2005), S. 23
- ↑ Brekle (1995), S. 25f.
- ↑ Lipinsky (1986), S. 78–80; Koch (1994), S. 213
- ↑ Lipinsky (1986), S. 78; Koch (1994), S. 213
- ↑ Lehmann-Haupt (1940), S. 96f.
- ↑ Klamt (2004), S. 195–210; Meijer (2004)
- ↑ Brekle (2005), S. 8
Literatur
- Brekle, Herbert E. (1995): "Eine weitere Spur einer typographischen Werkstatt beim Kloster Prüfening im 12. Jahrhundert", in: Gutenberg-Jahrbuch, Bd. 70, S. 23–26
- Brekle, Herbert E. (1997): "Das typographische Prinzip. Versuch einer Begriffsklärung", in: Gutenberg-Jahrbuch, Bd. 72, S. 58–63
- Brekle, Herbert E. (2005): "Die Prüfeninger Weiheinschrift von 1119. Eine paläographisch-typographische Untersuchung" [kurze Zusammenfassung], Scriptorium Verlag für Kultur und Wissenschaft, Regensburg, ISBN 3-937527-06-0
- Hupp, Otto (1906): "Die Prüfeninger Weiheinschrift von 1119", in: Studien aus Kunst und Geschichte, Festschrift für Friedrich Schneider, Herder, Freiburg i. Br., S.185f. (+ Abb.)
- Lehmann-Haupt, Hellmut (1940): "Englische Holzstempelalphabete des XIII. Jahrhunderts", in: Gutenberg-Jahrbuch, S. 93–97
Weitere mittelalterliche Techniken
- Klamt, Christian (2004): "Letters van baksteen in een cistercienzerklooster: het Ave Maria te Zinna", in: Stuip, R. E. V. (Hrsg.): Meer dan muziek alleen: in memoriam Kees Vellekoop, Uitgeverij Verloren, Utrechtse bijdragen tot de mediëvistiek, Bd. 20, Hilversum, ISBN 90-6550-776-0, S. 195–210
- Koch, Walter (1994): "Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1985−1991)", Monumenta Germaniae Historica: Hilfsmittel, Bd. 14, München, ISBN 978-3-88612-114-4, S. 213
- Lipinsky, Angelo (1986): "La pala argentea del Patriarca Pellegrino nella Collegiata di Cividale e le sue iscrizioni con caratteri mobili", in: Ateneo Veneto, Bd. 24, S. 75–80
- Meijer, Frank (2004): "De stenen letters van Aduard", 2. Aufl., Omnia Uitgevers, Groningen, ISBN 978-90-75354-08-9
Weblinks
Commons: Kloster Prüfening – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Bistum Regensburg: Ehemalige Klosterkirche St. Georg in Prüfening
- ↑ a b Brekle (2005), S. 25:
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