- Sozionik (Persönlichkeitstypologie)
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Sozionik (engl. Socionics; ein Kofferwort aus society (Gesellschaft) und bionics (Bionik), ist eine in den Staaten der früheren Sowjetunion verbreitete Parawissenschaft, die sich mit Charaktertypen und zwischenmenschlichen Beziehungen beschäftigt.[1][2] Sie wurde in den 1970er Jahren von der Litauerin Aušra Augustinavičiūtė (Kurzform „Augusta“) in der damaligen Sowjetunion entwickelt. Eine wissenschaftliche Überprüfung der entwickelten Theorien hat bisher nicht stattgefunden.
Die Sozionik ähnelt dem Myers-Briggs-Typindikator (MBTI), wurde aber unabhängig davon entwickelt.
Der wesentliche Vorteil liegt nach Ansicht der Anwender in der Analyse der Beziehungen, die es zwischen verschiedenen Typen geben kann.[3] Die Anwendungsbereiche der Sozionik sind u. a.: Berufswahl, Partnerwahl, Zusammenstellung von Arbeitsgruppen, Verbesserung bestehender Beziehungen und allgemeine Menschenkenntnis. Auch Partnervermittlungen setzen auf sozionische Einstufung der Kunden.[4]
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Begründerin der Sozionik, Aushra Augusta, war eine studierte Ökonomin, die sich autodidaktisch mit Psychologie beschäftigte. Die Grundlage der Sozionik bildet die Persönlichkeitstypologie von Carl Gustav Jung. Des Weiteren flossen die Theorie des Unbewussten von Sigmund Freud und der Informationelle Metabolismus des im Westen relativ unbekannten polnischen Psychologen Antoni Kepinski in das Theoriegebäude der Sozionik ein.
Im russischsprachigen Raum ist die Sozionik recht populär.[5] Vor allem in Russland und der Ukraine gibt es zahlreiche interessierte Amateure und einige hundert professionelle Sozioniker. Im englischsprachigen Raum beschränkt sich die Verbreitung der Sozionik weitestgehend auf das Internet, auch wenn mittlerweile erste Bücher auf englisch erschienen sind. In Deutschland weist die Sozionik nur einen geringen Bekanntheitsgrad auf.
Status
Die Sozionik selbst versteht sich nicht einfach als psychologische Theorie, sondern als eigene Wissenschaft. Da jedoch die entwickelten Theorien und Modelle auf Anekdoten, Introspektion, Logik und Menschenkenntnis basieren, wird die Sozionik nicht der empirischen Psychologie, sondern den Parawissenschaften zugerechnet.
Kritik
Das Grundprinzip der Sozionik, Menschen in diskrete Kategorien einzuteilen, wird nicht von jedem als sinnvolle Vorgehensweise betrachtet. Hans Jürgen Eysenck beispielsweise teilt die Menschen in seinem Persönlichkeitsmodell nicht einfach in extravertierte und introvertierte ein, sondern gibt den Grad der Extraversion an.
Die in der Sozionik entwickelten Theorien wurden bisher nicht durch kontrollierte wissenschaftliche Studien überprüft. Einige Theorien sind recht vage gehalten, so dass sie sich - ähnlich wie Horoskope - einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen.
Im Gegensatz zum MBTI findet die Kategorisierung in der Regel nicht durch Persönlichkeitstests statt, sondern basiert auf persönlicher Einschätzung. Die Reliabilität ist daher fraglich.
Modell
Die vier Dichotomien
Carl Gustav Jung vertrat in seinem Werk Psychologische Typen die Auffassung, dass Menschen sich aufgrund ihrer Charaktereigenschaften verschiedenen Typen zuordnen lassen. Er unterschied vier Dichotomien:
- Introversion und Extroversion
- Intuition und Empfinden
- Logik und Ethik
- Rationalität und Irrationalität
Auf diesen vier Dichotomien basiert das Theoriegebäude der Sozionik.[6][7][8]
Die acht Aspekte
Die Theorie der Aspekte ist Fundament und Grundbaustein der Sozionik, denn die Aspekte bzw. deren Anordnung im A-Modell (s. u.) liefern die Erklärung für das Verhalten der jeweiligen Typen und die Qualität der Beziehungen.[9][10][11] Ein Aspekt ist eine Kombination aus der ersten Dichotomie (E/I) und der zweiten (N/S) bzw. dritten Dichotomie (T/F). Daraus ergeben sich insgesamt acht verschiedene Aspekte: Ne, Ni, Se, Si, Te, Ti, Fe, Fi. Durch jeden Aspekt wird ein Teil der menschlichen Welt und insbesondere die Beziehung des Menschen zu diesem Teilbereich beschrieben. Zur Vereinfachung und Visualisierung ist es üblich, die Aspekte symbolisch darzustellen.
Die 16 Typen
Aus der Kombination der vier Dichotomien ergeben sich 16 sehr unterschiedliche Typen[12].[13][14][15] Gemeinsamkeiten und Unterschiede hängen dabei nicht primär von der Anzahl der übereinstimmenden Dichotomien ab. So sind beispielsweise INTj und ENTp einander sehr viel ähnlicher als INTj und INTp oder ENTp und ENTj.
Als Bezeichnungen werden im deutsch- und englischsprachigen Raum meist 4-Tupel verwendet, die vier Ausprägungen der einzelnen Dichotomien werden also aneinander gereiht. Im Unterschied zum MBTI wird dabei der letzte Buchstabe klein geschrieben, um Verwechslungen zwischen beiden Systemen zu vermeiden.[16]
Beispiele:
- introvertiert-intuitiv-logisch-rational (englisch: introverted-intuitive-thinking-judging) = INTj
- extrovertiert-sensorisch-ethisch-irrational (englisch: extroverted-sensory-feeling-perceiving) = ESFp
Im russischsprachigen Raum werden meist 3-Tupel verwendet, die sich aus den beiden dominanten Funktionen und der Ausprägung der ersten Dichotomie (Extroversion/Introversion) ergeben. Dabei werden jedoch teilweise andere Buchstaben als Abkürzungen verwendet: Extroversion = E, Introversion = I, Intuition = I, Sensorik = S, Ethik = E, Logik = L.
Beispiele:
- INTj = logisch-intuitiv-introvertiert = LII
- ESFp = sensorisch-ethisch-extrovertiert = SEE
Auch üblich ist die symbolische Bezeichnung eines Typs mithilfe seiner dominanten Funktionen. Des Weiteren wurden jedem Typ zur Veranschaulichung eine passende Rolle und eine bekannte Person zugeordnet. Die Zuordnung Prominenter zu einem bestimmten Typ ist allerdings häufig umstritten.
Demnach sind fünf verschiedene Bezeichnungen pro Typ gebräuchlich, was durchaus für einige Verwirrung sorgen kann:
Beispiele:
4-Tupel 3-Tupel Person Rolle A-Modell symbolisch ENTj LIE „Jack London“ Unternehmer Te Ni Fe Si
Fi Se Ti NeENTp ILE „Don Quijote“ Erfinder Ne Ti Se Fi
Si Fe Ni TeENFj EIE „Hamlet“ Mentor Fe Ni Te Si
Ti Se Fi NeENFp IEE „Huxley“, auch:
„Tom Sawyer“Psychologe Ne Fi Se Ti
Si Te Ni FeESTj LSE „Stirlitz“, auch:
„Sherlock Holmes“Verwalter Te Si Fe Ni
Fi Ne Ti SeESTp SLE „Shukow“ Stratege Se Ti Ne Fi
Ni Fe Si TiESFj ESE „Hugo“ Bonvivant Fe Si Te Ni
Ti Ne Fi SeESFp SEE „Caesar“ Diplomat Se Fi Ne Ti
Ni Te Si FeINTj LII „Robespierre“, auch:
„Descartes“Analytiker Ti Ne Fi Se
Fe Si Te NiINTp ILI „Balzac“ Kritiker Ni Te Si Fe
Se Fi Ne TiINFj EII „Dostojewski“ Humanist Fi Ne Ti Se
Te Si Fe NiINFp IEI „Bradbury“, auch:
„Jessenin“Lyriker Ni Fe Si Te
Se Ti Ne FiISTj LSI „Maxim Gorki“ Pragmatiker Ti Se Fi Ne
Fe Ni Te SiISTp SLI „Gabin“ Meister Si Te Ni Fe
Ne Fi Se TiISFj ESI „Dreiser“ Bewahrer Fi Se Ti Ne
Te Ni Fe SiISFp SEI „Dumas“ Vermittler Si Fe Ni Te
Ne Ti Se FiDie 16 Beziehungen
Die Beziehungsanalyse ist der Aspekt, der die Sozionik von allen anderen Typologien unterscheidet, da die einzelnen Beziehungen in der Sozionik sehr detailliert beschrieben werden. [17].[18][19][20]
Nach Ansicht führender Sozioniker verlaufen einige Beziehungen in aller Regel sehr harmonisch, andere sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt. Um den Verlauf einer Beziehung prognostizieren zu können oder an bestehenden Beziehungen arbeiten zu können, ist natürlich eine sichere Identifizierung der jeweiligen Typen erforderlich.
Das A-Modell
Im sogenannten A-Modell wird jedem der 16 Typen eine bestimmte Reihenfolge der acht Aspekte zugeordnet.[21][22][23] Die Positionen 1-8 werden als unterschiedliche Funktionen aufgefasst. Nach der Vorstellung des informationellen Metabolismus ergeben sich Wechselwirkungen zwischen den Funktionen der Typen und der Welt. Die Funktionen empfangen, interpretieren, beurteilen und generieren Informationen der Aspekte, die ihnen zugeordnet sind. Jede der acht Funktionen wirkt jedoch auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlicher Intensität. Basisfunktion und Kreativitätsfunktion haben den größten Einfluss auf die Persönlichkeit.
- Basisfunktion - die am häufigsten verwendete Funktion
- Kreativitätsfunktion - unterstützt die Basisfunktion
- Rollenfunktion - schwach, aber wichtig für die Persönlichkeit
- Verletzbarkeitsfunktion - die Achillesferse der Persönlichkeit
- Suggestivfunktion - schwache, unbewusste Funktion
- Aktivierungsfunktion - schwache, unbewusste Funktion
- Kontrollfunktion – eine nur ungern verwendete, unbewusste Funktion
- Standardfunktion - wird häufig unbewusst verwendet
Vergleich mit dem MBTI
Sowohl Sozionik als auch MBTI basieren auf der Typologie von Carl Gustav Jung, wurden aber unabhängig voneinander in der Sowjetunion (Sozionik) bzw. in den USA (MBTI) entwickelt. Allerdings beschäftigte sich Augusta später mit dem MBTI, um die Sozionik weiter zu verbessern.
Unterschiede
Das Theoriegebäude der Sozionik ist erheblich umfangreicher als das des MBTI.[24] Während es im MBTI hauptsächlich um die Unterscheidung der 16 Typen geht, beschäftigt sich die Sozionik stärker mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Des Weiteren werden in der Sozionik auch Untertypen und ein komplizierteres funktionales Modell verwendet.
Während das MBTI-Modell innerhalb der letzten Jahrzehnte nur geringfügig weiterentwickelt wurde, wird das Theoriegebäude der Sozionik fortwährend erweitert. Allerdings erscheinen die meisten Veröffentlichungen ausschließlich im russischsprachigen Raum.
Im MBTI sind die Beschreibungen weitestgehend positiv formuliert. Die Sozionik hingegen beleuchtet die negativen Züge der unterschiedlichen Typen ausführlicher.
MBTI-Anwender ermitteln den Typ einer Person überwiegend durch Fragebögen und anschließende Gespräche. Sozioniker verlassen sich stärker auf Beobachtung, Interviews, Visual Identification und externe Daten.
Konvertierung
Die Dichotomien und Aspekte werden in beiden Systemen zwar nicht vollkommen identisch, aber doch sehr ähnlich aufgefasst. Auch die Beschreibungen der einzelnen Typen ähneln sich überwiegend sehr. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, dass die Typidentifizierung in beiden Systemen zu denselben Ergebnissen führen müsste. Trotzdem kommt es nicht selten vor, dass jemand sich selbst beispielsweise als INTj (Sozionik), aber als INTP (MBTI) einstuft.[25]
Der Grund dafür ist in der Anordnung der Funktionen zu suchen, welche speziell bei introvertierten Typen deutlich unterschiedlich ausfällt. So ordnet beispielsweise die Sozionik einem INTj introvertierte Logik und extrovertierte Intuition als dominante Funktionen zu, der MBTI jedoch ordnet einem INTJ introvertierte Intuition und extrovertierte Logik zu.
In der Sozionik kann eine genauere Einstufung mithilfe der 32 Untertypen erfolgen, welche im MBTI nicht zur Verfügung stehen. So entspricht beispielsweise die Beschreibung eines INTJ (MBTI) am ehesten der eines Ne-INTj (Sozionik) und die Beschreibung eines INTP (MBTI) der eines Te-INTp (Sozionik).
Weblinks
- http://socionics.com - Informationen, Erklärungen, Tests & Foren (englisch)
- http://wikisocion.org - Sozionik-Wikipedia (englisch)
- http://socionics.us - Übersicht über die Sozionik (englisch)
- http://the16types.info - Größtes Sozionik-Forum (englisch)
- http://typentest.de - Zusammenführung von Sozionik und MBTI
Einzelnachweise
- ↑ http://www.socionics.ibc.com.ua/esocplac.html#top. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionist.blogspot.com/search/label/socionics%20basics. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://www.socioniko.net/en/articles/gulenko-mbti.html. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://www.singleboersen-vergleich.de/dossier-partnervermittlung/partnervermittlung-paarforschung-1-partnerschaft.htm
- ↑ http://www.socioniko.net/de/articles/sozionik-u-psy.htm
- ↑ www.socionics.com/main/types.htm. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionics.us/theory/dichotomies.shtml. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ Dichotomies. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionics.us/theory/information.shtml. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ Information_elements. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionist.blogspot.com/search/label/information%20aspects. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ www.socionics.com/prof/prof.htm. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionics.us/types.shtml. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ Category:Type_descriptions. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionist.blogspot.com/search/label/socionic%20types. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ Type_names. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ www.socionics.com/rel/rel.htm. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionics.us/theory/relations.shtml. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ Intertype_relations. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionist.blogspot.com/2006/12/intertype-relations.html. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionics.us/theory/model.shtml. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socioniko.net/en/1.1.types/model-a.html. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ Model_A. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ MBTI. Abgerufen am 15. Februar 2011.
- ↑ http://socionist.blogspot.com/search/label/myers-briggs. Abgerufen am 15. Februar 2011.
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