Spaltung (Psychologie)

Spaltung (Psychologie)

Als Spaltung oder Spaltungsabwehr bezeichnet man einen speziellen psychischen Abwehrmechanismus, der in einer Reaktivierung eines frühkindlichen psychischen Zustands besteht, in welchem das Individuum noch keine Integration der positiven und negativen Aspekte des eigenen Selbst und der es umgebenden Objekte entwickelt hat.

Die Spaltungsabwehr sorgt in spezifischen Belastungs- oder Konfliktsituationen dafür, dass unerträgliche Vorstellungen vom Selbst oder den Objekten auseinander gehalten werden, mit dem Ergebnis, dass das Selbst bzw. die Objekte als entweder „nur gut“ oder „nur böse“ wahrgenommen werden. Anstatt beispielsweise ablehnende Gefühle einer eigentlich geliebten Person gegenüber zu empfinden (was z.B. aufgrund eines nicht überwundenen frühkindlichen Traumas eine spezifische Belastung darstellen kann), wird das Bild dieser Person in einen „guten“ und einen „bösen“ Anteil gespalten. Diese Spaltung schützt den „guten“ Objektanteil vor den eigenen Aggressionen, welche im nächsten Moment dem "bösen" Objektanteil gegenüber gefahrlos und exzessiv ausgelebt oder zumindest projektiv zugeschrieben werden können. Außerdem schützt die Spaltungsabwehr die positiven Selbstaspekte vor überwältigenden negativen Vorstellungen vom Selbst, bis diese an anderer Stelle in ungeschönter Weise, in Form von Selbstzweifeln und Selbsthass bis hin zu selbstverletzendem Verhalten zum Ausdruck kommen.

Die Spaltung ist also ein ungünstiger Kompromiss, in dem das Ich gezwungen ist, fortwährend zwischen zwei affektiven Zuständen hin und her zu oszillieren, ohne dass es deren unterschiedliche Tönungen synchron wahrnehmen könnte. Dieser Mechanismus wird durch andere unreife Abwehrmechanismen, wie die Verleugnung, die Projektion, die Entwertung und Idealisierung oder die Projektive Identifikation unterstützt. Bei Personen, deren bevorzugter Abwehrmechanismus die Spaltung ist, wechseln die Gefühlszustände dementsprechend auffällig abrupt ab. Eben noch geliebte Objekte werden nun plötzlich gehasst, Traurigkeit schlägt spontan in Freude um, Vertrauen wird scheinbar unvermittelt von Misstrauen abgelöst und heftige Ängste zerstören gerade gefasste Zuversicht. All dies ist begründet auf der folgenreichen Unfähigkeit, Ambivalenz zu ertragen.

Die Überwindung des Entwicklungsstadiums eines vornehmlichen Gebrauchs der Spaltungsabwehr in der frühen Kindheit ist mit dem Erlangen der Fähigkeit gleichbedeutend, Gutes im Bösen zu erkennen sowie die negative Seite alles Guten zu akzeptieren. Folge einer pathologischen Fixierung auf den primitiven Mechanismus der Spaltung sind die Aufrechterhaltung verzerrter und unrealistischer Vorstellungen vom eigenen Selbstbild sowie der Objektwelt und den Beziehungsrepräsentanzen. Klinisch spricht man hierbei bisweilen von „Privatlogik“ oder "vermindertem Realitätsbezug".[1]

Genese

In den ersten Monaten ist die psychische Entwicklung des Menschen von einer engen symbiotischen Verbundenheit mit der primären Pflegeperson bestimmt. Allerdings nimmt der Säugling die primäre Bezugsperson, zumeist die Mutter, noch nicht als komplexes Individuum mit eigenen Bedürfnissen wahr. Vielmehr steht er in einer jeweils exklusiven Beziehung zu den einzelnen Funktionen, die die Mutter für die Befriedigung seiner Bedürfnisse einnimmt. Diese exklusiven Beziehungen werden Teilobjekt-Beziehungen genannt. Die Mutter füttert, bietet Schutz oder tröstet. Bei Hunger „bedeutet“ diese Pflegeperson also „fütterndes Objekt“, bei Angst „schützendes Objekt“ und bei Traurigkeit „tröstendes Objekt“. In der unreifen Psyche des Säuglings bestehen also Einzelbeziehungen zu funktionellen Teilaspekten des primären Bezugsobjektes, während deren individuelle Züge oder Eigenarten in dieser Phase der Entwicklung noch nicht als solche erkannt werden können. Ebenso verhält es sich mit dem Selbst. Vorstellungen von eigener Größe und Allmacht über die ständig verfügbaren Teilobjekte wechseln Gefühlen von Verzweiflung und Hilflosigkeit ab, wenn die infantilen Bedürfnisse von der Bezugsperson frustriert werden.

Nach 6 bis 9 Monaten werden diese bisher als getrennt wahrgenommenen Selbst- und Objektaspekte allmählich zu konsistenten Vorstellungen integriert. Es entstehen ganzheitliche Selbst- und Objektrepräsentanzen, Vorstellungen vom Selbst und den Anderen, die komplex und ambivalent sind. Die Mutter wird nun zunehmend als ein vom eigenen Selbst getrenntes selbstständig existentes Individuum mit einem eigenen Willen anerkannt, welches nicht uneingeschränkt zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zur Verfügung steht. Dieser Prozess wird als frühe Individuationsentwicklung bezeichnet.

Die Wahrnehmung von Getrenntsein von der Mutter bedingt beim Säugling Verlassenheitsängste auf der einen Seite und Wut auf dieses „abtrünnige“ Primärobjekt auf der anderen. Sowohl die Verlassenheitsängste als auch die Wut signalisieren dem psychischen Apparat des Säuglings eine für ihn reale Bedrohung von Zerstörung und Verlust der schützenden und versorgenden Bezugsperson und müssen ertragen und verarbeitet werden. In diesem frühen Entwicklungsstadium steht der kindlichen Psyche allerdings noch nicht die reifere Bewältigungsvariante der Verdrängung zur Verfügung, welche sich erst mit zunehmender Differenzierung der kognitiven und emotionalen psychischen Struktur entwickelt. Stattdessen setzt das unreife Ich primitivere Abwehrmechanismen zur Bewältigung derart bedrohlicher emotionaler Zustände ein. So wird der Verlassenheitsangst mit einem intensiven Wunsch nach Verschmelzung begegnet, wobei die Mutter als „ausschließlich gutes“ Objekt empfunden wird. Die Wut auf die sich als eigenständiges Individuum erweisende Mutter wird dagegen auf die Mutter projiziert. Dies stellt einen Kompromiss dar, in welchem es die weniger bedrohliche Alternative ist, dass die Mutter dem Säugling wütend gegenübersteht, als dass der Säugling weiterhin von Wut angetrieben bleibt, da letzteres den ohnehin bereits als bedrohlich erlebten Vorgang der Trennung des eigenen Selbst vom mütterlichen Primärobjekt noch beschleunigen würde. Folge dieser Projektion der eigenen Wut auf die Mutter ist eine Vorstellung von ihr als „ausschließlich böses“ Objekt. Dies hat archaische Verfolgungsängste zur Folge.

Die auf diese Weise entstandenen primitiven Gefühle des Verschmelzungswunsches und der Verfolgungsangst stellen die Komponenten des sogenannten Individuationskonfliktes der frühkindlichen Entwicklung dar. Die innere Welt des Säugling hat damit eine Aufteilung in „Gut“ und „Böse“ erfahren. Melanie Klein spricht von einer „gespaltenen Welt“. Dieses Entwicklungsstadium ist anfällig für schädigende Einflüsse, zumal das in dieser Phase noch fragile Gefühl eines eigenständigen Selbst des Säuglings noch angewiesen ist auf die reale Anwesenheit der primären Bezugsperson, d.h. es hat sich noch keine Objektpermanenz entwickelt.

Beide Phänomene, die Spaltung der Welt und das Fehlen von Objektpermanenz können nur durch eine verlässliche und konstante Zuwendung der primären Bezugsperson verarbeitet werden. Der Umgang mit dem Säugling sollte empathisch und geduldig sein. Insbesondere die wechselnden Ich-Zustände des Kindes können bei der Mutter eigene Gefühle von Kränkung oder Verlassenheitsängsten auslösen. Ihre Aufgabe ist es dann, diese Gefühle nicht auszuleben, sondern sie zu integrieren und dem Kind in derart metabolisierter Form zur Identifikation zur Verfügung zu stellen. So erfährt das Kind, dass seine negativen Affekte (Angst, Aggression) keine real bedrohliche Qualität besitzen, sondern allenfalls erträgliche Ambivalenz erzeugen. Am Ende dieses ständig wiederkehrenden Prozesses der projektiven Identifikation der aus dem Individuationskonflikt stammenden konkurrierenden Gefühlen steht im Optimalfall die Fähigkeit zur Akzeptanz, dass Objekte sowohl positive als auch negative Anteile in sich vereinen sowie die Sicherheit, dass die vom eigenen Selbst unabhängige Individualität der Objekte keine Bedrohung für die Beziehung zu ihnen und für die Existenz des eigenen Selbst darstellt.

Wenn diese Verarbeitung des Individuationskonfliktes scheitert, zum Beispiel durch ein unberechenbares, ablehnendes, unempathisches, kränkbares oder ungeduldiges Verhalten der primären Bezugsperson, können die Verlassenheits- und Verfolgungsängste der frühkindlichen Phase nicht überwunden werden. Die Anerkennung der Widersprüchlichkeit und Ambivalenz des Selbst und der Objekte bleibt dadurch dauerhaft fragil und geht unter spezifischen Belastungen durch Spaltung in „Gut“ und „Böse“ wieder verloren. Die Bezugspersonen werden dann auch im Jugend- und Erwachsenenalter nur in Hinblick auf „gute“ und „schlechte“ Funktionen für das eigene Selbst wahrgenommen und das Selbstbild unterliegt ständigen Schwankungen von Großartigkeit und Wertlosigkeit. In Abwesenheit wichtiger Bezugspersonen kann darüber hinaus das Selbstgefühl bisweilen nur schwer aufrechterhalten werden (Objektangewiesenheit), was sich in Gefühlen innerer Leere bis hin zu Vernichtungsängsten äußert. Diese Gefühle können bereits bei einem lediglich phantasierten Verlust eines schützenden Objektes auftreten.

Literatur

  • Heinz Müller-Pozzi: Psychoanalytisches Denken. 3. Auflage. Verlag Hans Huber, Bern 2004.
  • Michael Ermann: Psychotherapeutische und psychosomatische Medizin. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 1997.
  • Otto F. Kernberg: Schwere Persönlichkeitsstörungen. 2. Auflage. Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1988.

Einzelnachweise

  1. Michael Ermann: Psychotherapeutische und psychosomatische Medizin. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart, 1997, S.69.
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