Sprachwechsel (Linguistik)

Sprachwechsel (Linguistik)

Beim Sprachwechsel (engl. language shift, auch Sprachverlust) wechselt ein Individuum oder eine Sprachgemeinschaft von einer Sprache A zu einer anderen Sprache B. Der Begriff ist üblich in der Spracherwerbsforschung, Soziolinguistik und allgemein der Linguistik. Ein kompletter Sprachwechsel, oft auch nur die Dominanz einer Sprache bei Mehrsprachigkeit kann sich über 2-3 Generationen erstrecken.[1]

Inhaltsverzeichnis

Sprachwechsel bei der Migration

Meistens resultiert der Sprachwechsel aus vorhergehenden Sprachkontakten und die Sprachwechsler zeichnen sich aus durch Mehrsprachigkeit (Bilingualismus). Das Phänomen zeigt sich oft bei Migranten, nachdem sie dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt verlegt haben. Das Leben in einer neuen Umgebung macht regelmäßig den Erwerb einer Zweitsprache (S2) neben der Muttersprache (S1) erforderlich. Langfristig mündet der Aufenthalt im fremden Land wiederum in den migrationsbedingten Sprachwechsel. Die S2 wird zur S1. Geht S1 ganz verloren, so spricht man von einem Sprachverlust.

Bleibt die S1 jedoch in der Fremde erhalten, so nennt sich dies (im Ergebnis und im Verlauf) Spracherhalt. Spracherhalt ist mit Mehrsprachigkeit verbunden. Die Sprachsoziologie sieht darin eine Sprachloyalität (engl. language loyalty). Beispiele sind etwa Gruppen der Rußlanddeutschen oder der südasiat. Zuwanderer in Großbritannien. Spracherhalt kann wiederum zum Sprachkonflikt führen.

Der Prozess des Spracherhalts erstreckt sich durchschnittlich über zwei bis drei Generationen. Charakteristisch für diese Übergangsphase ist die Mehrsprachigkeit und das Bemühen der Eltern, die Tochtergeneration an die ursprüngliche Heimatsprache, welche eine Schwächung erfährt, zu binden. Oft führen die Anstrengungen um Spracherhalt zur Folklorisierung der inzwischen abgeworfenen S1 und der damit verbundenen Kultur. So findet sich in vielen deutschamerikanischen Zentren eine Form des Deutschseins, die auf Fahne, Oktoberfest, Lederhosen und Weihnachtsbaum reduziert ist.

Sprachwechsel nach Okkupation

Historisch betrachtet erfolgte Sprachwechsel häufig von der Sprache der Eroberer, oft eine kleine Führungsschicht, oder durch wirtschaftliche oder kulturelle Attraktivität dominierende Oberschicht auf die Sprache der autochthonen Bevölkerung. Beispiele sind die Übernahme der Deutschen Sprache durch die slawische Bevölkerung bei der Deutschen Ostkolonisation im Mittelalter. Dabei erstreckte sich der Prozess teilweise bis in die frühe Neuzeit über mehrere Generationen, ohne dass die ursprüngliche Bevölkerung wesentlich vertrieben wurde. Sehr wahrscheinlich ist auch der vermutete Sprachwechsel zwischen der altbritischen keltischen Sprache Großbritanniens und dem Angelsächsischen oder Altenglischen der Völkerwanderungszeit. Der Wechsel erfolgt vermutlich zunächst durch Dominanzwechsel innerhalb der Mehrsprachigkeit und später durch vollständigen Verlust der ursprünglichen Sprache. Ein anderes Beispiel wäre der relative junge Übergang des keltischen Irisch auf das heute gesprochene irische Englisch im 19. Jahrhundert auf Grund der politischen, intellektuellen und sozialen Dominanz der Engländer in diesem Teil des Vereinigten Königreiches. Jahrhunderte, in denen die Engländer in Irland dominierten, herrschte Zweisprachigkeit vor, die erst im 19. Jahrhundert in relativ kurzer Zeit aufgegeben wurde.[2]

Sprachwechsel aufgrund sozialer Stigmatisierung

Ein Sprachwechsel kann auch eintreten, wenn der Gebrauch der bislang von der Bevölkerung gesprochenen Sprache mit sozialer Benachteiligung verbunden ist. Ein Beispiel hierfür ist der Wechsel von Teilen der Bevölkerung Brüssels seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Siehe hierzu Französisierung Brüssels.

Einzelnachweise

  1. Bernard Comrie: Sprachen, Gene und Vorgeschichte mit besonderer Berücksichtigung Europas. in: Günter Hauska (Hrsg.): Gene, Sprachen und ihre Evolution. Universitätsverlag, Regensburg 2005. ISBN 3-930480-46-8
  2. Markku Flippula: The grammar of Irish English, Language in Hibernian style. Routledge, London 1999. ISBN 0-415-14524-4

Literatur


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