Stundenbuch der Maria d’Harcourt

Stundenbuch der Maria d’Harcourt
Miniatur Verkündigung, zugleich Maria von Geldern

Das Stundenbuch der Maria d´Harcourt, Herzogin von Geldern ist sowohl künstlerisch wie historisch eine den Wissenschaftler herausfordernde Handschrift, deren schlechter Erhaltungszustand das Studium erschwert. Maria von Geldern starb kinderlos 1425. In einem Bildnis, das aristokratische Manieriertheit und mystische Gleichstellung mit der Jungfrau Maria verbindet, hat sie ein unvergessliches Porträt ihrer selbst als Idealtyp der großen Dame mit ihrem Stundenbuch hinterlassen.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Liturgie von Rom. Deutsch-holländisches Grenzland, Geldern. 1415. 13x19 cm, 482ff.
6 ganzseitige und 86 kleinere Miniaturen mit stilisierten Efeulaub-Bordüren.
Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ms. germ. quart. 42
Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Cod. 1908

Auf den ersten Blick wirkt nebenstehende Abbildung wie ein Bild über gotische Mode. Eine vorzüglich gekleidete Dame, deren Schleppe bis über den Rahmen des Bildes hinausreicht, steht in einem Garten und liest ihr Stundenbuch, das ihr ein Engel überreicht. Erst wenn man den rosenbewachsenen Zaun des ummauerten Gartens oder "hortus conclusus" (Symbol des Paradieses) und die Gegenwart Gottes im Bogen am oberen Rand bemerkt, der den Heiligen Geist in Form einer Taube freilässt, erkennt man, dass es sich hier um eine Verkündigungsszene handelt. Ein zweiter Engel trägt ein Spruchband, auf dem anstelle des üblichen "Ave Maria gratia plena" die deutschen Worte "O milde Maria" zu lesen sind. Wurde die Inschrift geändert?

Stellt die elegante, nach neuester Mode gekleidete Dame mit einer schicken, als bourrelet bezeichneten Kappe statt eines Heiligenscheins die Jungfrau Maria dar, oder handelt es sich um die Eigentümerin des Gebetbuches als personifizierte Madonna? Die Ehe der Marie d´Harcourt, Herzogin von Geldern, blieb kinderlos.

Lady Maria d’Harcourt, Herzogin von Geldern

Als Tochter von Johann VI. von Harcourt und Aumale und der Cathérine von Bourbon, Prinzessin von Frankreich geboren, wurde sie am 5. Mai 1405 mit Rainald IV., Herzog von Geldern verheiratet. Marie d´Harcourt war eine angeheiratete Nichte des Königs Karl VI. von Frankreich und von Herzog Ludwig von Orleans, der 1401 Lehnsherr des Herzogs von Geldern-Jülich, ihres künftigen Ehemannes, wurde. Sie war Ehrenjungfer der Herzogin von Orléans, Valentina Visconti, eine Tochter von Gian Galeazzo Visconti, Herzog von Mailand. Marie d´Harcourt brachte einen Hauch von französischer Lebensweise, Gebräuchen und Geschmack nach Geldern mit. Die Verkündigungsseite in ihrem Stundenbuch ist in ihrer Ausstrahlung so französisch und steht in einem so markanten Gegensatz zu den anderen Miniaturen dieser deutsch-holländischen Handschrift, dass sie Einfügung beabsichtigt war. Doch handelt es sich nicht nur um ein nostalgisches Gedenken ihrer Heimat. Ihre politische Rolle und das Hervorbringen von Erben als Bestätigung der Unterstützung von Orléans durch Geldern waren stillschweigende Bedingungen ihrer Heirat; auch war ein großer Teil ihrer Mitgift, etwa 30.000 Écus, vom Herzog von Orléans mit der Bedingung bezahlt worden, dass sie im Falle des Fehlens männlicher Erben zurückgezahlt werden müsste.

Andere Frauen ohne Söhne erbaten in ihren Stundenbüchern die Hilfe Marias und entsprechender Heiliger, z.B. Marguerite de Foix und Anna von der Bretagne. Maria von Geldern ging noch einen Schritt weiter, als sie sich mit der Gottesmutter direkt identifizierte.

Miniatur Verrat des Judas

Ausführender Künstler

In der Vigil des Festes des hl. Matthäus ist festgehalten, dass die Handschrift, deren Text in Niederdeutsch geschrieben ist, für die Herzogin von Geldern am 23. Februar 1415 im Kloster Marienborn nahe Arnheim von Bruder Helmich de Leev vollendet wurde.

Literatur

  • Zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihrer Geschichte wurde die Handschrift geteilt. Im 17. Jahrhundert war der Teil von Berlin-Dahlem im Besitz der Kurfürsten von Brandenburg, den zweiten Teil behielten die Habsburger in Wien (Österreichische Nationalbibliothek Cod. 1908). Die beiden Teile wurden gemeinsam in der Ausstellung „Europäische Kunst um 1400“, in Wien 1962 gezeigt und im Katalog beschrieben. (Nr. 207–208, S. 217–218).
  • Karl Keller: Zwei Stundenbücher aus dem geldrischen Herzogshause, das Stundenbuch der Herzogin Maria und das ihres Gemahls. Die geschichtlichen Grundlagen und die ikonographischen Probleme. Historischer Verein für Geldern und Umgegend, Geldern 1969 (Veröffentlichung des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend 68, ZDB-ID 400950-2).
  • Stundenbuch der Maria von Geldern. In: John Harthan: Stundenbücher und ihre Eigentümer. Deutsche Übersetzung Regine Klett. Herder, Freiburg (Breisgau) u. a. 1977, ISBN 3-451-17907-5, S. 78–81.

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