Willy Huhn (Theoretiker)

Willy Huhn (Theoretiker)

Willy Huhn (* 11. Januar 1909 in Metz; † 17. Februar 1970 in Berlin) war ein deutscher rätekommunistischer Theoretiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Willy Huhn ist der Sohn eines deutschnationalen Polizeibeamten. 1919 wird seine Familie aus Metz ausgewiesen und siedelt nach Berlin über. 1929 stirbt der Vater. Willy kann sich nun politisch betätigen und tritt dem links-sozialdemokratischen Zentralverband der Angestellten bei. 1930 tritt er der Jungsozialistischen Vereinigung Groß-Berlin und nach dessen Auflösung durch Dekret der SPD, 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands bei. Dieser gehört er bis Anfang 1933 an. Er ist auch Mitglied der Roten Kämpfer, einer rätekommunistischen klandestinen Gruppierung.

Während des Nationalsozialismus studiert er in seiner heute dem Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin angeschlossenen Bibliothek und gelangt so zu einer Kritik der Sozialdemokratie, des Staatssozialismus, der Kriegswirtschaft und des Naturalismus und begreift den Nationalsozialismus als historische Notwendigkeit. Nach 1945 schließt er sich zunächst unter Beibehaltung seiner rätekommunistischen Ansichten der KPD und 1946 der SED an und ist bis 1948 als Lehrer und Leiter von Volkshochschulen in Ostberlin und Gera tätig. Nach seiner Übersiedlung nach West-Berlin 1948 arbeitet er am dortigen August-Bebel-Institut. 1951 ist er wieder arbeitslos. 1954 wird er aus der SPD, der er 1948 wieder beigetreten war, ausgeschlossen, da er deren Rolle in der Novemberrevolution kritisiert hatte. Von 1950 bis 1952 ist er Chefredakteur der Zeitschrift Pro und contra. In den Jahren 1954/55 war er Mitglied im Arbeitsausschuss der Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK). Danach schreibt er überwiegend in kleinen linksozialistischen Periodika.

In den 1960er Jahren avancierte Huhn zusammen mit dem zwanzig Jahre jüngeren Michael Mauke zu einem Stichwortgeber und Mentor des dezidiert marxistischen Flügels des SDS. Willy Huhn zählt somit zu den ganz wenigen Personen, die die Verbindung zwischen der neuen Linken und dem radikalen Teil der alten Arbeiterbewegung der Weimarer Republik aktiv verkörperten (siehe auch Fritz Lamm). Zu Huhns Schülern gehörte Christian Riechers, der ab Ende der 60er Jahre als erster (west-)deutscher Antonio Gramsci-Forscher bekannt wurde. Huhn erarbeitete für seinen Schülerkreis mehrere Dutzend Manuskripte, die sich verschiedenen zeitgeistigen Fragen (u.a. Deutschland und die Kriegsschuldfrage) und Aspekten der marxistischen Kritik (u.a. Marx und Engels zur polnischen Frage) widmeten. Diese Manuskripte kursierten als hektographierte Typoskripte. Stil und Arbeitsweise lehnte Huhn bewusst an die politischen Schriften von Karl Marx an (Herr Vogt, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Der Bürgerkrieg in Frankreich). Exzerpte, kommentierte Zitatsammlungen, freie Explikation des Themas gehen bei Huhn ineinander über.

Huhn war ein Vertreter des kommunistischen Defätismus: Er war ein unerbitterlicher Kritiker des deutschen Nationalismus in allen Schattierungen, ohne sich positiv auf die West- oder Ost-Mächte zu beziehen.

Während der 1968er Rebellion wird Huhn von den Linken wegen seines großen Wissens bewundert, doch er steht der Bewegung auch kritisch gegenüber. Die Projektgruppe Räte im SDS (Mitarbeit u.a. Bernd Rabehl) ist maßgeblich von Huhn inspiriert worden. 1970 stirbt er nach längerer Krankheit.

Sein Nachlass befindet sich im IISG in Amsterdam.

Werke

  • Der Etatismus der Sozialdemokratie. Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus, Textauswahl mit einem Vorwort von Clemens Nachtmann und einem angehängten Text von Joachim Bruhn, Ça-Ira-Verlag, Freiburg/Br. 2003, ISBN 3-924627-05-3
  • Trotzki, der gescheiterte Stalin. Karin Kramer Verlag, Westberlin 1973 (frz. Übers.: Trotsky, le Staline manque. Paris, Spartacus, 1981)
  • Die Heilige Narrheit: Bernhard von Clairvaux, Die Kreuzzüge und der „Pfaffenregent“ Konrad. Ketzerische Betrachtungen über eine 800-Jahr-Feier und ihr Zusammenhang mit der Europäischen Verteidigungs-Gemeinschaft. Hubert Freistühler Verlag, Schwerte/Ruhr 1953
  • Sein und Schein. Arbeitsgemeinschaft f. d. wissenschaftlichen Sozialismus, München-Gauting 1949

Quellen

  • Christian Riechers: Willy Huhn (1909-1970): Eine biographische Notiz. In: Willy Huhn: Etatismus der Sozialdemokratie: Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus. Freiburg 2003.

Weblinks


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