- Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte
-
Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, auch bekannt als Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon, ist eine erstmals im Mai 1852 veröffentlichte Schrift von Karl Marx (1818–1883). Marx analysiert dort den Verlauf des Staatsstreichs Louis Napoleons (1808–1873) in Frankreich 1851. Dabei bildet die Analyse des konkreten, noch nicht abgeschlossenen historischen Ereignisses die Basis für Marx, um seine eigenen Theorien weiterzuentwickeln. Für ihn stellen die Februarrevolution und der darauf folgende Staatsstreich gesellschaftliche Klassenkämpfe dar. Marx entwickelt sein Verständnis der Klasse weiter wie seine geschichtsphilosophischen Annahmen. Generell gilt das Werk als eine Darstellung marxistischer Gesellschaftsanalyse und Geschichtstheorie. Es finden sich in ihm einige der bekanntesten Marx-Zitate.
Inhaltsverzeichnis
Überblick
Zum Titel der Schrift
Die Formulierung „der achtzehnte Brumaire“ ist eine Anspielung auf den, nach dem Französischen Revolutionskalender, 9. November 1799. An diesem Tag wurde Louis Napoleons Onkel Napoléon Bonaparte durch einem Staatsstreich, bekannt als Staatsstreich des 18. Brumaire VIII, zum Alleinherrscher mit diktatorischen Vollmachten. Der Titel ist ein zynischer Vergleich der beiden Staatsstreiche, dementsprechend liest sich der Einleitungssatz, der eines der bekanntesten Zitate des achtzehnten Brumaire darstellt:
„Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“
– Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte , 1. Kapitel: Karl Marx 1852
Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte
Erste Fragmente des Textes erschienen in anderer Form in der Neuen Rheinischen Zeitung, einer von Marx herausgegebenen Tageszeitung in Köln (Preußen), zur Zeit der Märzrevolution 1848/49.[1] Verfasst wurde Der achtzehnte Brumaire von Mitte Dezember 1851 bis zum 20. März 1852. Der etwa 100 Seiten lange und in sieben Kapitel gegliederte Text erschien unter dem Titel Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon erstmals im Mai 1852 im ersten Heft der in New York City (USA) veröffentlichten monatlichen Zeitschrift Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften von Joseph Weydemeyer mit einer Auflage von 500 Exemplaren.[2] Eine zweite, überarbeitete Auflage wurde 1869 in Hamburg mit einem Vorwort von Marx veröffentlicht[3], die dritte Auflage nach Marx’ Tod unter der Redaktion und mit einem Vorwort von Friedrich Engels 1885.[4] Beide Neuauflagen erschienen mit dem Titel Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Die französische Erstausgabe erschien nach einer Zusammenarbeit Engels mit Édouard Fautin zwischen Januar und Oktober 1891 in einer Artikelreihe der Zeitschrift Socialiste.[2] In der MEW-Ausgabe ist der Aufsatz in Band 8 veröffentlicht (S. 111-207).
Historischer Hintergrund
Louis Napoleon, auch bekannt als Napoléon III., der zuvor schon 1836 und 1840 gescheiterte Putschversuche beging, kehrte nach der Februarrevolution 1848 gegen den „Bürgerkönig“ Louis-Philippe von Orléans ins Frankreich der Zweiten Französischen Republik zurück, und gewann im Dezember die Präsidentschaftswahlen gegen den bisherigen Präsidenten Louis-Eugène Cavaignac. Drei Jahre später erzwang er sich durch einen Staatsstreich am 2. Dezember 1851 diktatorische Vollmachten und ließ sich, nach einem Plebiszit (Volksbeschluss), im Dezember 1852 zum Kaiser des Zweiten Kaiserreichs ausrufen.
Im Rahmen einer Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges (1870–1871) wurde er im September 1870 gefangen genommen und zwei Tage später durch die Ausrufung der Dritten Republik gänzlich entmachtet.
Inhalt und Erkenntnisinteresse
Wie Friedrich Engels in seinem Vorwort ausführt, setzte sich Marx in besonderem Maß mit der Geschichte Frankreichs auseinander, da sie für ihn, wie Engels schreibt, eine Geschichte von Klassenkämpfen „in den schärfsten Umrissen ausgeprägt“ darstelle.[5] Marx verfasste zuvor schon 1850 die Schrift „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-50“ und setzte sich mit weiten Teilen der Geschichte Frankreichs zur Zeit der Zweiten Französischen Republik auseinander. Die Ausrufung Louis Napoleons zum Kaiser, und damit das Ende der Republik, fand wenige Monate nach der Veröffentlichung des achtzehnten Brumaire statt. Marx merkte diesbezüglich später im Vorwort zur zweiten Auflage an: „Der Schlußsatz meiner Schrift: ‚Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern Louis Bonapartes fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen‘, hat sich bereits erfüllt.“[6] Marx’ Interesse war es, den Verlauf des Staatsstreichs und der Februarrevolution als Klassenkämpfe zu durchschauen, um auf Basis dieser Erkenntnisse Handlungsmöglichkeiten zu erschließen, sich einer nach seinen philosophischen Theorien gerechteren, klassenlosen Gesellschaft anzunähern. So wurde diese Studie eine seiner ‚soziologischsten‘ Schriften.
In der Schrift wird der Staatsstreich Louis Napoleons 1851 aus historischer, aber vor allem aus gesellschaftsanalytischer Sichtweise betrachtet.[7] Marx erklärt den Verlauf der Februarrevolution anhand seiner Theorien und entwickelt diese konkretisierend weiter. Welche Klasse trug überhaupt Louis Bonaparte empor? Nicht die Bourgeoisie.[8] Aber warum verzichtete diese auch nach der Februarrevolution auf den Griff mach der unmittelbaren Herrschaft und politische Repräsentation zu Gunsten einer autoritären Herrschaft Napoleons?[9] [10] In diesem Sinne schreibt er in seinem Vorwort zur zweiten Auflage, dass er nachzuweisen versuche, „wie der Klassenkampf in Frankreich Umstände und Verhältnisse schuf, welche einer mittelmäßigen und grotesken Personage [Louis Napoleon] das Spiel der Heldenrolle ermöglichen.“[6]
Theorie
Um den Verlauf des Staatsstreichs zu erklären, erweitert Marx in seiner Analyse das betrachtete Klassenspektrum neben den Hauptklassen einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, um die Bauernschaft und das Lumpenproletariat, in denen er entscheidende Kräfte für den Verlauf der Machterlangung Louis Napoleons ausmacht. Dies begründet er sowohl mit materiellen wie ideologischen Momenten. So sei zum Beispiel die Klasse des Lumpenproletariats durch die Zusicherung sozialer und politischer Reformen auf die Seite Louis Napoleons gezogen worden. Der ländlichen Bauernschaft konstatiert Marx eine traditionelle Napoleonverehrung, auch könne diese Klasse aufgrund ihrer Produktionsweise in einzelnen Parzellen kein gemeinsames Klassenbewusstsein entwickeln, da ihre Mitglieder voneinander schon räumlich weitestgehend getrennt seien. Ebenso wenig könne sie daher ihre Interessen als Klasse durchsetzen und bedürfe für diesen Zweck einer starken loyalen Autorität, die sie in Louis Napoleon sehen.[9]
Marx stellt fest, dass neben der Macht des Ökonomischen und des Politischen (des Militärs und des Staatsapparats) ebenso die Zustimmung, beziehungsweise die Gewinnung der Massen für die eigenen, zumindest vorgegebenen Ziele entscheidend sei, um gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen. So legitimierte und erweiterte Louis Napoleon seine autoritäre Herrschaft auch anhand von Wahlverfahren und Plebisziten durch die Bevölkerung.[9]
Wirkung
Der achtzehnte Brumaire übte Einfluss auf die Totalitarismus- und Faschismusforschung aus (siehe auch: Bonapartismus). In der Politikwissenschaft gilt die Schrift als ein bedeutendes Werk der politischen Theorie. Die Rezeption innerhalb des Marxismus und Marxismus-Leninismus, der dem Werk einen bedeutenden Stellenwert zuweist, betonte vor allem die Aussage des Textes, dass eine siegreiche proletarische Revolution den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen müsse, anstatt ihn zu übernehmen.[11] Generell gilt Der achtzehnte Brumaire als eine Darstellung marxistischer Gesellschafts- und Geschichtstheorie.[9] [10]
Bekannte Zitate
„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“
– Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1. Kapitel: Karl Marx 1852
„Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.“
– Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1. Kapitel: Karl Marx 1852
„Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. Bis zum 2. Dezember 1851 [Anm. Staatsstreich Louis Napoleons] hatte sie die eine Hälfte ihrer Vorbereitung absolviert, sie absolviert jetzt die andre. Sie vollendete erst die parlamentarische Gewalt, um sie stürzen zu können. Jetzt, wo sie dies erreicht, vollendet sie die Exekutivgewalt, reduziert sie auf ihren reinsten Ausdruck, isoliert sie, stellt sie sich als einzigen Vorwurf gegenüber, um alle ihre Kräfte der Zerstörung gegen sie zu konzentrieren. Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!“
– Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 7. Kapitel: Karl Marx 1852
Siehe auch
Weblinks
- Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (digitaler Text)
- Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte bei mlwerke.de, MEW Bd. 8, S. 111-207.
- Vorwort zur 2. Auflage, Karl Marx 1869, MEW Bd. 8, S. 559-560.
- Vorwort zur 3. Auflage, Friedrich Engels 1885, MEW Bd. 8, S. 561-562.
- Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (Werkscan)
- The eighteenth Brumaire of Louis Bonaparte, Charles H. Kerr, Chicago, 1907. (englisch)
- The Eighteenth Brumaire Of Louis Bonaparte, International Publishers, New York, 1963. (englisch)
- Weiterführende Links
- Vom Kommunistischen Manifest zum 18. Brumaire des Louis Bonaparte - Novy, Andreas: Internationale Politische Ökonomie - lateinamerika-studien.at
- Nachdenken über eine >Ungeheuerlichkeit< - Marxhausen, Thomas: Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte - www.marxforschung.de
- Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. - Hoff, Jan: in: UTOPIE kreativ, H. 141/142 (Juli/August 2002), S. 743-745 - www.rosalux.de
Quellenverzeichnis und Anmerkungen
- ↑ Artikel „Marx, Karl“ aus: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Band 20, S. 541 ff., Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marx%2C_Karl&oldid=104993 (Version vom 26. Oktober 2006, 07:20 Uhr UTC)
Anmerkung: Fehlerhafte Jahreszahlen in Originalquelle. Möglicherweise sind auch Fragmente zu der Schrift Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-50 gemeint. - ↑ a b Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. - Hoff, Jan: in: UTOPIE kreativ, H. 141/142 (Juli/August 2002), S. 743-745
- ↑ Marx führt im Vorwort zur zweiten Auflage aus, dass Druckfehler korrigiert wurden und eine Streichung „nicht mehr verständlicher Anspielungen“ erfolgte. Quelle
- ↑ Engels nahm auf Basis der zweiten Auflage stilistische Veränderungen vor. Quelle
- ↑ Vorwort zur 3. Auflage, Friedrich Engels 1885
- ↑ a b Vorwort zur 2. Auflage, Karl Marx 1869
- ↑ Kenntnisse der historische Personen und Ereignisse konnten im achtzehnten Brumaire seiner damaligen Aktualität halber vom Autor weitgehend vorausgesetzt werden.
- ↑ Hier lässt sich Marx auf subtile Analysen der damaligen Sozialstruktur vor allem auch des ländlichen Frankreich ein.
- ↑ a b c d Stammen, Theo/Riescher, Gisela/Hofmann, Wilhelm: Hauptwerke der politischen Theorie. 1997, S. 320-322
- ↑ a b Vgl. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/index.htm
- ↑ Diese Aussage bezieht sich auf eine Ausgabe des DDR Verlages Dietz. Quelle: Stammen, Theo; Riescher, Gisela; Hofmann, Wilhelm: Hauptwerke der politischen Theorie. 1997, S. 322
Die Werke von Karl Marx und Friedrich EngelsMarx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843) | Zur Judenfrage (1843) | Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) | Thesen über Feuerbach (1845) | Das Elend der Philosophie (1847) | Lohnarbeit und Kapital (1847) | Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 | Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852) | Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (1858) | Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859) | Theorien über den Mehrwert (1863) | Lohn, Preis und Profit (1865) | Das Kapital, Buch I (1867) | Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871) | Kritik des Gothaer Programms (1875) | Brief an Wera Sassulitsch (1881)
Marx und Engels: Die deutsche Ideologie (1845) | Die heilige Familie (1845) | Manifest der Kommunistischen Partei (1848) | Das Kapital, Buch II [post mortem publiziert von Engels] (1893) | Das Kapital, Buch III [post mortem publiziert von Engels] (1894)
Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1844) | Grundsätze des Kommunismus (1847) | Von der Autorität (1873) | Anti-Dühring (1878) | Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (1880) | Dialektik der Natur (1883) | Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats (1884) | Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie (1886)
Wikimedia Foundation.