Acta Pilati

Acta Pilati

Die Acta Pilati (lat., deutsch: „Pilatusakten“), seit dem Mittelalter oft auch als Nikodemusevangelium bezeichnet, sind eine apokryphe christliche Schrift. Sie wird wie das Petrusevangelium zu den Passionsevangelien gerechnet, die sich vorwiegend mit Jesu Tod und Auferstehung befassen.

Den Namen „Nikodemusevangelium“ verdankt die Schrift einer Angabe im Prolog, wo als Autor „Ananias“, ein römisch-kaiserlicher Leibgardist im Offiziersrang genannt wird. Dieser behaupte, der Text sei ursprünglich in hebräischer Sprache vom Pharisäer Nikodemus verfasst worden, welcher nach dem Zeugnis der neutestamentlichen Evangelien bei der Kreuzigung Jesu anwesend war. Ananias habe diesen Text frei ins Griechische übersetzt.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die „Acta Pilati“ bestehen aus zwei ursprünglich selbstständigen Teilen, die erst nachträglich unter diesem Titel zusammengeführt wurden; der erste Teil, der auf ein griechisches Original aus dem 4. Jahrhundert zurückgeht, hat 16, der zweite (Höllenfahrt Christi, lat.: Descensus ad inferos) 11 Kapitel.

Teil 1: Pilatusakten

Die „Pilatusakten“ enthalten Ausschmückungen um den Prozess, die Grablegung und die Auferstehung Jesu mit der deutlichen Tendenz, die Figur des Pilatus auf Kosten der jüdischen Führung des Sanhedrin von der Verantwortung für den Tod Jesu zu entlasten. In einem ausführlichen Auferstehungsbericht bezeugen jüdische Synagogenvorsteher und Priester die Auferstehung.

Im Prolog wird die Kreuzigung in das 19. Regierungsjahr von Tiberius, am 8. Tag vor den Kalenden des April, dem 25. März datiert.

Auf die Pilatusakten geht die im Mittelalter populäre Legende vom Schweißtuch der Veronika und die Erzählung des zum Christentum bekehrten Soldaten Longinus zurück, welcher Jesus mit dem Speer in die Seite gestochen haben soll. Auch erhalten die zwei Schächer, die mit Jesus gekreuzigt wurden, hier ihre traditionellen Namen Gestas und Dysmas, welchem von Jesus das Paradies versprochen wird (9,4).

Teil 2: Höllenfahrt Christi

Eine wahrscheinlich im 6. Jahrhundert in lateinischer Sprache entstandene Ergänzung beschreibt in den Kapiteln 17–27 die „Höllenfahrt Christi“ (lat.: Descensus ad inferos) und erzählt in mythischer Weise von der Unterwelt als Wohnort der von Jesus Christus aus dem Reich des Hades zu rettenden Seelen. Durch das Wirken Christi werden nicht nur viele biblische Gestalten in das Paradies überführt, sondern auch die Mächte Satans gebrochen.

Geschichte

Die Rahmenerzählung bzw. die Fundlegende der „Acta Pilati“ datiert ins 18. Regierungsjahr des Kaisers Theodosius II. (1. September 425 – 1. September 426). Für die Existenz des hebräischen Originaltextes, den der Verfasser Ananias ins Griechische übersetzt haben will, gibt es keine Hinweise, so dass die Inhalte als Legende gelten. Es existieren auch Übersetzungen der „Acta Pilati“ in lateinischer, koptischer, syrischer, armenischer und altslavischer Sprache.

Weitere historische Bezüge zu den Pilatusakten sind spekulativ. So verweist einer der Apologeten des 2. Jahrhunderts, Justin der Märtyrer, in seiner 1. Apologie zweimal (c. 35 und 48) auf Akten des Prozesses Jesus vor dem römischen Statthalter der Provinz Judäa, Pontius Pilatus:

„Dass er das wirklich getan hat, könnt ihr aus den unter Pontius Pilatus angefertigten Akten ersehen.“

1. Apologie, 48,3

Aufgrund des Kontextes bei Justin, der sich auf bisher nicht nachweisbare Tabellen des Zensus unter Quirinus beruft (1. Apologie, 34,2), werden auch seine Angaben zu den „Akten“ für historisch unzuverlässig gehalten.

Auch Textinhalte der Pilatusakten selbst sprechen gegen ihre Glaubwürdigkeit. So wird z.B. behauptet:

„Als Jesus vor Pilatus gebracht wurde, verbeugten sich die kaiserlichen Bilder auf den Standarten und huldigten ihm.“

Es gehört jedoch zu den gesicherten historischen Tatsachen, dass die Abbilder, welche die römischen Standarten krönten, aus Rücksicht auf Juden und aufgrund des Status von Jerusalem als einer heiligen Stadt außerhalb der Stadtmauern blieben, wenn die Verbände, denen sie gehörten, in die Stadt einzogen. Dieser Zustand änderte sich erst im Jahr 70. Auch nach Flavius Josephus (Bellum judaicum II 169-174; Antiquitates XVIII 55-59) kam Pilatus in Schwierigkeiten, als er darauf bestand, die Standarte mit dem Abbild des Kaisers durch die Mauern der Stadt ins Innere der Stadt zu bringen. Pilatus musste demnach dem Unwillen des jüdischen Volkes nachgeben. Der Autor der Pilatusakten hatte offenbar von diesen historischen Zusammenhängen keine Kenntnis.

Der Text der Pilatusakten hat viele Bearbeitungen und Ergänzungen bis ins Spätmittelalter hinein erfahren. So berichtet eine mittelenglische Version, wie Josef von Arimathäa den Heiligen Gral nach der Kreuzigung nach England gebracht und dort versteckt habe.

Stark rezipiert wurde die Schrift auch in der Kunstgeschichte. So gehen viele mittelalterliche Bilder auf Berichte aus den Pilatusakten zurück. Auch zeitgenössische Literatur und der Film nahmen sich des Materials an.

Maßgebend ist bis heute die Ausgabe der griechischen und lateinischen Texte von Konstantin von Tischendorf in seinen Evangelia Apocrypha.

Nicht verwechseln darf man die Pilatusakten mit einer anderen Pilatusschrift: einem angeblichen Schreiben des Pilatus an Kaiser Tiberius, das über Jesu Wunder aus Sicht eines gläubigen Christen berichtet. Dieses Schreiben wurde von Tertullian in seinem Apologeticum im 5. und 21. Kapitel zitiert, welches gut fünfzig Jahre nach Justinus verfasst wurde. Eusebius von Caesarea beschreibt im 2. Kapitel des 2. Buches seiner Kirchengeschichte diesen gefälschten Pilatusbrief im Anschluss an Tertullian ausführlich.

Literatur

Ausgaben

  • Konstantin von Tischendorf (Hrsg.): Evangelia apocrypha; Leipzig: 18762; S. 210–486
  • Achim Masser (Hrsg.): Dat ewangelium Nicodemi van deme lidende vnses heren Ihesu Christi. 2 mittelniederdeutsche Fassungen; Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, 29; Berlin: E. Schmidt, 1978; ISBN 3-503-00763-6
  • Achim Masser (Hrsg.): Das Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa: Texte; Germanische Bibliothek: Reihe 4, Texte und Kommentar; Heidelberg: Winter, 1987; ISBN 3-533-03612-X

Sekundärliteratur

  • Matthew Z. Heintzelman: The acts of Pilate. An isolation force in the Frankfurt passion play 1493. UMI, Ann Arbor, Mich. 2000 (zugl. university thesis, Chicago, Ill.)
  • Zbiegniew Izydorczyk: The medieval gospel of Nicodemus. Texts, interprets and contexts in Western Europe. State University, Temple, Ariz. 1997, ISBN 0-86698-198-5
  • Jean-Daniel Dubois: Nikodemusevangelium/Pilatusakten, in: RGG, 4. Auflage, Band 6, Sp. 324f.
  • Richard Paul Wülcke: Das Evangelium Nicodemi in der abendländischen Literatur, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1872 (Internet Archive)

Belletristik

  • Lloyd C. Douglas: Das Gewand des Erlösers. Roman. Verlag Heidi Kraus, Hofheim/T. 1992

Weblinks


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