Das neue Wiesbaden

Das neue Wiesbaden

Unter dem Titel „Das neue Wiesbaden“ veröffentlichte der Architekt Ernst May 1963 eine städtebauliche Planung für die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden. Er sah darin unter anderem vor, ein großes Villengebiet aus der Gründerzeit am Bierstadter Hang, das den Zweiten Weltkrieg fast unbeschädigt überstanden hatte, durch "Abrisssanierung" zu beseitigen und durch großflächige Wohnblocks zu ersetzen. Der Plan wurde nie verwirklicht und steht heute als abschreckendes Beispiel für den respektlosen Umgang mit dem Denkmalschutz.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte und Hintergrund

Die 1903 bis 1906 nach Vorbild des Weißen Hauses in Washington, D. C. erbaute Villa Söhnlein-Pabst wäre den Planungen zum Opfer gefallen.
Die 1878 bis 1882 im pompejianischen Stil erbaute Villa Clementine sollte einer U-Bahn-Station weichen.

Ernst May wurde in den 1920er Jahren vor allem durch sein Wirken in Frankfurt am Main bekannt. Dort entwarf er großzügige Neubaugebiete, die aufgrund von Wohnungsmangel dringend benötigt wurden. Merkmale seiner Planung waren die für die damalige Zeit revolutionären Ideen des Bauhaus. Mays Schaffen, das als Neues Frankfurt in die Architekturgeschichte einging, entsprangen unter anderem die Römerstadt (1927 bis 1929) und die Heimatsiedlung (1927 bis 1934).

Im Mai 1961 berief die Stadt Wiesbaden den damals 75-jährigen May zum Planungsbeauftragten der Stadt. Vom Mann mit dem großen Namen erhoffte sich die hessische Landeshauptstadt, in der nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer Anteil an Altbauten erhalten geblieben war, neue Impulse im Sinne einer „modernen“ Bebauung und einer autogerechten Stadt. May war in der Folge für den Bau der Trabantensiedlung Klarenthal verantwortlich, deren erste Wohnblocks 1966 bezogen wurden. [1]

Die Planung

Seine Planungen für die Innenstadt von Wiesbaden veröffentlichte May 1963 in Buchform. Er entwickelte darin ein Konzept, das den gesamten Abriss der Altbauten am Bierstadter Hang zwischen Parkstraße, Beethovenstraße, Paulinenstraße und Gustav-Stresemann-Ring vorsah. An ihrer Stelle sollten große Geschäfts- und Wohnblocks im Stil von Klarenthal entstehen. Ziel war, das Gebiet in eine Geschäftsstadt, die City Ost zu verwandeln. Hauptverkehrsachsen sollten die Mainzer, Frankfurter, Bierstadter und Parkstraße sein. Insgesamt wären von dem Abriss ca. 150 zwischen 1840 und 1910 entstandene Villen betroffen gewesen. [2] [3]

Widerstand und Folgen

Der Widerstand gegen die Planungen begann nur sehr zögerlich. Obwohl die Pläne von der Stadt nie offiziell abgesegnet wurden, begrüßten doch die meisten Kommunalpolitiker die Planungen. Die Einstellung der damaligen Stadtoberen beschrieb Gottfried Kiesow, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, wie folgt:

„Als ich 1966 mein Amt als Landeskonservator übernahm und meinen Antrittsbesuch beim damaligen Oberbürgermeister Georg Buch machte, überreichte mir dieser das Buch von May - eine an sich freundliche Geste, jedoch gegenüber einem Denkmalpfleger eine merkwürdige Auswahl aus den sonst vorhandenen Büchern über Wiesbaden, die man üblicherweise als Gastgeschenke vergibt.[4]

Es begann zunächst eine öffentliche Diskussion zu den Planungen, erst allmählich machte sich Widerstand breit. Obwohl die Planungen letztlich nicht verwirklicht wurden, brachten sie aber eine Spekulationswelle in Gang, der einige wenige Gebäude, wie die Villen Rheinstraße 6 und Viktoriastraße 25, zum Opfer fielen. Ein weiterer Effekt war, dass die Architektur des Historismus weiter nicht genug gewürdigt wurde. Diesem Klima fielen weitere Altbauten zum Opfer, wie beispielsweise Felix Genzmers Alte Feuerwache für ein neues Karstadt-Warenhaus.

Heute steht das Villengebiet am Bierstadter Hang unter Flächendenkmalschutz. Es ist wichtiger Bestandteil für Wiesbadens Bewerbung zum UNESCO-Weltkulturerbe als Stadt des Historismus.

Quellen

  1. Gottfried Kiesow: Das verkannte Jahrhundert - Der Historismus am Beispiel Wiesbaden, Bonn 2005, S. 96 ff.
  2. Kiesow, S. 98 f.
  3. www.wiesbaden.de
  4. zitiert aus Kiesow, S. 99

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