Daubechies-Wavelets

Daubechies-Wavelets

Unter Daubechies-Wavelets, benannt nach Ingrid Daubechies, versteht man in der digitalen Signalverarbeitung eine Klasse orthogonaler Wavelet-Funktionen, die einen kompakten Träger haben. Sie gehören zu den am häufigsten praktisch eingesetzten Wavelet-Transformationen für Zwecke der digitalen Signalanalyse und Signalkompression. Aufgrund ihrer einfachen Implementierbarkeit mittels der schnellen Wavelet-Transformation (FWT) sind sie auch Lehr(buch)beispiele der digitalen Signalverarbeitung.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Im Sinne der Funktionalanalysis erzeugt die Waveletfunktion, zusammen mit ihren ganzzahligen Verschiebungen, und den Stauchungen/Streckungen dieser Funktionen mit Zweierpotenzen als Faktor, eine Orthonormalbasis des Hilbertraums L²(IR), d. h., jede quadratintegrierbare Funktion kann in Teile zerlegt werden, die der Waveletfunktion ähnlich sehen. Seit 1909 war das Haar-Wavelet, eine stückweise konstante Funktion, mit dieser Eigenschaft bekannt. Es war das Verdienst von I. Daubechies, als erste eine stetige Funktion mit dieser Eigenschaften konstruiert zu haben.

Zu jedem Wavelet gibt es zwei endliche Folgen reeller Zahlen, welche als digitale Tief- und Hochpassfilter in einer Filterbank, die Teil der FWT ist, eingesetzt werden können. Die Länge N dieser Filter, auch als Anzahl der Taps bezeichnet, ist Teil der Bezeichnung DN der einzelnen Daubechies-Wavelets. In der Praxis werden meist die Daubechies-Wavelets mit den Bezeichnungen D2-D20 verwendet. Aus theoretischen Gründen kommen nur gerade N=2A vor. Jedes Wavelet dieser Klasse hat die maximale Anzahl A verschwindender Momente (in der engl. Literatur „vanishing moments“), d. h., die Waveletfunktion steht senkrecht (im Sinne von L²(IR), d. h. das Integral des Produkts beider Funktionen ist Null) zu jedem Polynom mit Grad höchstens A−1. Beispielsweise hat D2 (das Haar-Wavelet) ein verschwindendes Moment und ist senkrecht zu allen konstanten Funktionen, D4 hat zwei solcher Momente und ist senkrecht zu allen linearen Funktionen, etc. Die Anzahl A der verschwindenden Momente ist ein Maß der Güte einer Skalierungsfunktion.

Von I. Daubechies wurde ebenfalls eine Klasse biorthogonaler Wavelets mit ähnlicher Charakteristik eingeführt. Dabei wird die Orthogonalität der erzeugenden Funktionen gegen Symmetrie eingetauscht.

Die orthogonalen Daubechies-Wavelets
A=2, N=4, Träger [0,3] A=6, N=12, Träger [0,11] A=10, N=20, Träger [0,19]
Skalierungs- und Wavelet-Funktionen Daubechies4-functions.svg Daubechies12-functions.png Daubechies20-functions.png
Amplituden ihres Frequenzspektrums Daubechies4-spectrum.svg Daubechies12-spectrum.png Daubechies20-spectrum.png

Algebraische Bedingungen

Die Skalierungsfunktion in einer jeden Multiskalenanalyse ist Lösung einer fraktalen Funktionalgleichung, die Verfeinerungsgleichung oder Zweiskalengleichung genannt wird:

\phi(x)=\sum_{k=0}^{N-1} a_k\phi(2x-k),

wobei die endliche Folge (a_0,\dots, a_{N-1}) reeller Zahlen Skalierungsfolge oder -maske genannt wird. Die Waveletfunktion ergibt sich auf ähnlichem Wege als Linearkombination

\psi(x)=\sum_{k=0}^{M-1} b_k\phi(2x-k),

mit einer geeigneten endlichen Folge (b_0,\dots, b_{M-1}) reeller Zahlen, die Waveletfolge oder -maske genannt wird.

Ist die Existenz einer stetigen Lösung der Verfeinerungsgleichung bekannt, so kann eine beliebig genaue Approximation dieser gefunden werden, indem man das endlichdimensionale lineare Gleichungssystem aufstellt, welches die Werte der Skalierungsfunktion an ganzzahligen Stellen erfüllen muss. Da dieses Gleichungssystem homogen ist, fügt man die Bedingung hinzu, dass die Summe dieser Werte 1 sein soll. Aus den Werten an den ganzzahligen Stellen lassen sich dann die Werte zu den Vielfachen von 1/2, aus diesen die Werte zu den Vielfachen von 1/4, etc. durch einfaches Einsetzen finden. Desgleichen gilt für die Werte der Waveletfunktion. Auf diese Weise wurden obige Diagramme erzeugt.

Orthogonale Wavelets

Diese Klasse von Wavelets hat die Eigenschaft, dass die Skalierungsfunktion mitsamt ihren ganzzahligen Verschiebungen im Verein mit der Waveletfunktion mit ihren ganzzahligen Verschiebungen ein Orthonormalsystem im Hilbertraum L²(IR) bilden. Notwendig für diese Orthogonalität ist, dass die Skalierungsfolge senkrecht zu allen geradzahligen Verschiebungen ihrer selbst steht:

\sum_{n\in\Z} a_n a_{n+2m}=2\delta_{m,0}.

Im orthogonalen Fall ergeben sich die Koeffizienten der Waveletfolge direkt aus den Koeffizienten der Skalierungsfolge nach

b_n=(-1)^n a_{N-1-n}\qquad\text{mit } n=0, \ldots, N-1

Manchmal findet man auch das andere Vorzeichen in der Literatur.

Biorthogonale Wavelets

Die zweite von I. Daubechies zusammen mit A. Cohen und Feauveau eingeführte Klasse sind die biorthogonalen Wavelets. Diese haben zwar nicht die oben genannte Orthogonalitätseigenschaft, weichen von dieser aber nur gering ab. Dafür können sie so konstruiert werden, dass die Skalierungsfunktion symmetrisch und die Waveletfunktion ebenfalls symmetrisch oder antisymmetrisch ist. Jedoch genügt hier nicht ein Paar erzeugender Funktionen, sondern es braucht zwei Skalierungsfunktionen \phi,\tilde\phi, welche verschiedene Multiskalenanalysen erzeugen können, und dementsprechend zwei verschiedene Waveletfunktionen \psi,\tilde\psi. Die zwei Skalierungsfolgen müssen nun für alle ganzzahligen m folgende Biorthogonalitätsbedingung erfüllen:

\sum_{n\in\Z} a_n \tilde a_{n+2m}=2\delta_{m,0}

Ist diese erfüllt, ergeben sich die Waveletfolgen als

\begin{alignat}{2}
b_n&=(-1)^n \tilde a_{M-1-n} &\qquad&\mathrm{f\ddot ur}\quad n=0,\ldots,M-1\\
\tilde b_n&=(-1)^n a_{M-1-n} &&\mathrm{f\ddot ur}\quad n=0,\ldots,N-1
\end{alignat}

wobei N die Länge der Skalierungsfolge zu ϕ und M die Länge der Skalierungsfolge zu \tilde\phi ist.

Der JPEG 2000-Standard benutzt zur Bildkompression auch das biorthogonale Daubechies-5/3-Wavelet (auch als LeGall-5/3-Wavelet bekannt) für verlustfreie und das Daubechies-9/7-Wavelet (auch als Cohen-Daubechies-Feauveau 9/7 oder „CDF 9/7“ oder FBI-Fingerabdruck-Wavelet bekannt) für verlustbehaftete Kompression.

Analytische Bedingungen

Verschwindende Momente und Polynomapproximation

Eine notwendige Bedingung für die Existenz einer r-fach stetig differenzierbaren Lösung (r=0 für nur stetig) der Verfeinerungsgleichung ist, dass das Polynom (1+Z)r+1 die erzeugende Funktion bzw. Z-Transformation a(Z):=a_0+a_1Z+\dots+a_{N-1}Z^{N-1} der Skalierungsfolge a teilt. Die maximale Potenz A, so dass (1+Z)A ein Faktor von a(Z) ist, heißt polynomiale Approximationsordnung. Sie gibt die Fähigkeit der Skalierungsfunktion an, Polynome bis zum Grad A-1 als Linearkombination ganzzahliger Verschiebungen der Skalierungsfunktion ϕ darzustellen.

  • Im biorthogonalen Fall ergibt eine Approximationsordnung A von ϕ eine gleiche Anzahl A von verschwindenden Momenten des dualen Wavelets \tilde\psi, was daraus folgt, dass (1+Z)A ein Faktor von b(Z) = Z − 1a( − Z − 1) ist. Umgekehrt ist die Approximationsordnung à von \tilde\phi gleich zur Anzahl à von verschwindenden Momenten des Wavelets ψ.
  • Im orthogonalen Fall stimmen A und à überein, wie auch \phi=\tilde\phi und \psi=\tilde\psi ist.

Glattheit der Funktionen

Ein Kriterium für die Lösbarkeit der Verfeinerungsgleichung ist das folgende: Faktorisieren wir a(Z) = 21 − A(1 + Z)Ap(Z), p ein Polynom in Z mit p(1)=1, und gibt es eine Schranke der Art

1\le\sup_{t\in[0,2\pi]}|p(e^{it})|<2^{A-1-r} für ein r\in\N,

so hat die Verfeinerungsgleichung eine r-fach stetig differenzierbare Lösung mit Träger im Intervall [0,N−1], wobei N=A+deg(p)+1.

Beispiele

  • a(Z): = 21 − A(1 + Z)A, wozu ein konstantes p(Z)=1 gehört. Nach obigem muss n<A−1 gelten, d. h. die Lösungen wären mindestens A-2-fach stetig differenzierbar. In der Tat sind die Lösungen aber gerade Schoenbergs B-Splines der Ordnung A-1,welche eine (A−1)-te stückweise konstante Ableitung besitzen, insbesondere ist die (A−2)-te Ableitung Lipschitz-stetig. Der Fall A=1, der aus dieser Behandlung herrausfällt, entspricht der Indexfunktion des Einheitsintervalls und ist die Skalierungsfunktion des Haar-Wavelets.
  • Im Fall A=2 und p linear kann man ansetzen a(Z)=\tfrac14(1+Z)^2\,((1+Z)+c(1-Z)). Bestimmen wir die Monomkoeffizienten diesese Polynoms 3. Grades und setzen diese 4 Koeffizienten in die Orthogonalitätsbedingung ein, so verbleibt am Ende genau die Bedingung c²=3. Setzen wir die positive Wurzel in c ein, so erhalten wir die Skalierungsfolge des D4-Wavelets, siehe auch die Tabelle unten.

Konstruktion

Die Daubechies-Wavelets entsprechen dem Fall minimaler Freiheitsgrade in der Bestimmung der Skalierungsfolgen. Einerseits kann bei gegebener Anzahl A von Verschwindungsmomenten die minimale Länge N der Skalierungsfolge gesucht werden, andererseits die maximale Anzahl von Verschwindungsmomenten bei gegebener Länge. In beiden Fällen gilt N=2A.

Orthogonale Wavelets

Verwenden wir die obige Faktorisierung der Skalierungsfolge, a(Z) = 21 − A(1 + Z)Ap(Z), mit p(1)=1, so können die Orthogonalitätsbedingungen ebenfalls in einem Laurent-Polynom zusammengefasst werden:

a(Z)a(Z^{-1})+a(-Z)a(Z^{-1})=4
\quad \Rightarrow \quad
(1-u)^A p(Z)p(Z^{-1})=1-u^A\,[p(-Z)p(-Z^{-1})]

mit dem Kürzel u:=1/4\cdot(2-Z-Z^{-1}). Aus dieser Gleichung leitet sich ab, dass deg p<A−1 nicht funktionieren kann, somit mindestens deg p=A-1 gilt, woraus N=2a im minimalen Fall folgt.

Wir können mit der inversen Potenzreihe zu (1 − u)A multiplizieren und an der Potenz uA abbrechen,


  p(Z)p(Z^{-1})
  =\sum_{k=0}^{A-1}\binom{-A}{k}(-u)^k
  =\sum_{k=0}^{A-1}\binom{A+k-1}{k}u^k
.

Diese Gleichung ist lösbar, ihre Lösungen ergeben sich aus einer Methode, die spektrale Faktorisierung genannt wird. Zuerst werden die Nullstellen der rechten Seite als Polynom in u bestimmt. Daraus ergeben sich A-−1 quadratische Gleichungen Z mit zueinander reziproken Lösungen, eine davon wird p(Z) zugeordnet. Daher ergeben sich 2A−1 mögliche Lösungen, man kann sich z. B. für diejenige entscheiden, bei der alle Nullstellen von p(Z) innerhalb bzw. alle außerhalb des Einheitskreises liegen.

In der folgenden Tabelle sind die so erhaltenen Skalierungsfolgen für die Wavelets D2-D20, d. h. für A=1 bis A=10, aufgelistet.

Orthogonale Daubechies-Koeffizienten
D2 (Haar) D4 D6 D8 D10 D12 D14 D16 D18 D20
1 0,6830127 0,47046721 0,32580343 0,22641898 0,15774243 0,11009943 0,07695562 0,05385035 0,03771716
1 1,1830127 1,14111692 1,01094572 0,85394354 0,69950381 0,56079128 0,44246725 0,34483430 0,26612218
0,3169873 0,650365 0,8922014 1,02432694 1,06226376 1,03114849 0,95548615 0,85534906 0,74557507
−0,1830127 −0,19093442 −0,03967503 0,19576696 0,44583132 0,66437248 0,82781653 0,92954571 0,97362811
−0,12083221 −0,26450717 −0,34265671 −0,31998660 −0,20351382 −0,02238574 0,18836955 0,39763774
0,0498175 0,0436163 −0,04560113 −0,18351806 −0,31683501 −0,40165863 −0,41475176 −0,35333620
0,0465036 0,10970265 0,13788809 0,1008467 6,68194092e−4 −0,13695355 −0,27710988
−0,01498699 −0,00882680 0,03892321 0,11400345 0,18207636 0,21006834 0,18012745
−0,01779187 −0,04466375 −0,05378245 −0,02456390 0,04345268 0,13160299
4,71742793e−3 7,83251152e−4 −0,02343994 −0,06235021 −0,09564726 −0,10096657
6,75606236e−3 0,01774979 0,01977216 3,54892813e−4 −0,04165925
−1,52353381e−3 6,07514995e−4 0,01236884 0,03162417 0,04696981
−2,54790472e−3 −6,88771926e−3 −6,67962023e−3 5,10043697e−3
5,00226853e−4 −5,54004549e−4 −6,05496058e−3 −0,01517900
9,55229711e−4 2,61296728e−3 1,97332536e−3
−1,66137261e−4 3,25814671e−4 2,81768659e−3
−3,56329759e−4 −9,69947840e−4
−5,5645514e−5 −1,64709006e−4
1,32354367e−4
−1,875841e−5

Die Waveletkoeffizienten können abgeleitet werden, indem die Reihenfolge und das Vorzeichen für jeden zweiten Koeffizienten umgekehrt wird. Für D4 wäre dies z. B. −0,1830127, −0,3169873, 1,1830127, −0,6830127.

Biorthogonale symmetrische Wavelets

Eng verwandt zu den Daubechies-Wavelets sind die Cohen-Daubechies-Feauveau-Wavelets (CDF-Wavelets). Im Gegensatz zu den Daubechies-Wavelets sind letztere jedoch nur paarweise orthogonal (biorthogonal), dafür aber symmetrisch.

CDF-Wavelets erlangten Bekanntheit, da sie im JPEG-2000-Standard Verwendung finden. Weiterhin ist das Wavelet, das in der Fingerabdruckdatenbank des FBI eingesetzt wird, ein CDF-Wavelet.

Siehe auch

Literatur

  • Carlos Cabrelli, Ursula Molter: Generalized Self-Similarity. In: Journal of Mathematical Analysis and Applications. 230, 1999, S. 251–260 (PDF).

Weblinks


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