- Dialektische Darstellungsweise
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Als Dialektische Darstellung oder Dialektische Darstellungsmethode wird eine bestimmte Art und Weise bezeichnet, gemäß der Karl Marx im Das Kapital den Untersuchungsgegenstand, also die kapitalistische Produktionsweise, einer bestimmten Ordnung folgend erklärt hat. Marx beginnt gemäß dieser Methode mit einem bestimmten abstrakten Ausgangspunkt, der Ware. „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung’, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.“[1] Mit abstrakt ist dabei gemeint, dass die Ware als Ausgangspunkt zunächst noch ohne jeglichen Zusammenhang mit dem konkreten Ganzen, der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt, betrachtet wird. Sie wird noch abstrahiert von der Gesamtheit des Untersuchungsgegenstandes, der Totalität, gesehen.
Marx betrachtet also die Ware und ihre Eigenschaften. Dabei stößt er auf Fragen oder Widersprüche. So hat die Ware einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Werte (vgl. auch Klassisches Wertparadoxon)? Indem auf diese Fragen eine möglichst einfache Antwort gegeben wird, werden neue, konkretere Begriffe eingeführt. So schreitet Marx von der Ware fort zum Geld, jenem Gebrauchswert, in dem alle Waren ihren Tauschwert ausdrücken. In der Betrachtung wird der Warentausch W – W (Ware gegen Ware) zur Geldwirtschaft W – G – W (Ware gegen Geld, Geld gegen Ware) erweitert.
Mit dem Geld sind weitere Fragen oder Widersprüche verbunden, so dass weitere Begriffe, Erweiterungen und Konkretisierungen eingeführt werden müssen. Grundsätzlich ist nämlich auch die Zirkulationsform G – W – G (Geld kauft Ware, Ware wird dann gegen Geld verkauft) möglich. Diese Form ergibt aber keinen Sinn, weil das Ende G dasselbe ist wie der Anfang G, es sei denn G hätte sich inzwischen vergrößert: G – W – G’. Dies ist die Kapitalformel, Kapital als neuer Begriff ist somit eingeführt.
Es stellt sich jetzt die Frage, woher die Wertvermehrung des Kapitals kommen kann, wenn sich immer nur Waren zu gleichem Wert tauschen. Warum ist der Wert der Waren, die die Kapitalisten kaufen, niedriger als der Wert der Waren, die die Kapitalisten verkaufen? Diese Frage wird durch die Lohnarbeit – der nächste Begriff – beantwortet. Der Wert der Arbeitskraft ist gleich dem Wert der Waren, die die Arbeiter zu ihrer Reproduktion benötigen. Dieser Wert ist aber geringer als der Wert der Waren, die die Arbeiter herstellen. Im Produktionsprozess entsteht also der Mehrwert.
Es ergibt sich so mit einer gewissen zwingenden Logik eine systematische Reihenfolge immer entwickelterer, konkreterer Begriffe, bis schließlich die kapitalistische Produktionsweise als Totalität mit all ihren Bestandteilen und Wechselbeziehungen dargestellt ist, wobei aufgrund dieser dialektischen Darstellungsmethode auch gleich die innere Logik der kapitalistischen Produktionsweise, die Bedeutung der jeweiligen Momente innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, sichtbar geworden ist. Es ist herausgearbeitet, wie das Kapital als System sich selbst seine eigenen Voraussetzungen schafft, etwa den „freien“ Lohnarbeiter auf dem einen Pol und die Kapitalistenklasse als Eigentümer der Produktionsmittel auf dem anderen.
So ist beispielsweise Geld nicht einfach nur „pfiffiges“[2] Hilfsmittel, um den Warentausch einfacher bewältigen zu können, sondern ergibt sich dialektisch aus der Frage, wie sich der Wert der Waren als Tauschwert ausdrücken soll, wo ja der „wahre“ Wert der Waren in einer Gesellschaft von voneinander unabhängigen Privatproduzenten unbekannt ist.
Am Ende erweist sich die Ware als das charakteristische Produkt des Kapitals, so dass der Ausgangspunkt der dialektischen Darstellung, die Ware, sich schließlich als richtig gewählt erweist.
Innerhalb der Dialektik bei Marx und Engels ist die "Dialektische Darstellung" als Methode von einer ontologischen Auffassung von Dialektik abzugrenzen.[3]
Inhaltsverzeichnis
Empirische Untersuchung
Empirische Untersuchungen müssen der dialektischen Darstellung vorausgehen oder sie ergänzen. Erst müssen die wichtigsten Bestandteile und Beziehungen der kapitalistischen Produktionsweise bekannt sein, bevor an ihre dialektische Darstellung gedacht werden kann. Auch ist es notwendig bei den Übergängen auf höhere Darstellungsstufen zu prüfen, wie es sich im einzelnen in Wirklichkeit verhält, oder wie sich notwendige Voraussetzungen geschichtlich herausgebildet haben.
So ist auch der Ausgangspunkt der Marxschen dialektischen Darstellung, die Ware, empirisch abgesichert, weil tatsächlich die heutige Produktionsweise im Unterschied zu früheren Produktionsweisen durch das Vorherrschen der Ware als Produkt gekennzeichnet ist.
Hegel
Als eine erste Anwendung der dialektischen Darstellungsmethode gilt Hegels Wissenschaft der Logik. Dort behandelt Hegel verschiedene logische Begriffe. Ist ein einzelner logischer Begriff mit einem „Widerspruch“ behaftet, muss er um weitere Begriffe ergänzt oder erweitert werden („Aufhebung“). Beispielsweise der Begriff des Seins als solches, ohne jegliche weitere Bestimmungen, unterscheidet sich laut Hegel in nichts vom „Nichts“, seinem Gegenteil. Der Begriff des Seins verwandelt sich also unter der Hand in sein Gegenteil, das Nichts, es hat sich also verändert, es ist „geworden“. Damit kommt der neue Begriff „Werden“ in die Darstellung. Das gewordene Sein, das bestimmte Sein, ist das Dasein, mit neuen Widersprüchen, so dass die dialektische Methode immer weiter fort treibt, bis schließlich ein in sich geschlossenes Gesamtsystem, eine Totalität, erreicht worden ist. Diese Totalität begründet dann wiederum im Nachhinein den gewählten Ausgangspunkt.
Beispiel
Marx stößt im Das Kapital auf den Widerspruch, dass die Werte der Waren sich einmal gemäß der Arbeitswertlehre bestimmen, zum anderen aber zu erwarten ist, dass in allen Branchen dieselbe Profitrate sich einstellen muss, da kein Kapitalist in einer Branche investieren wird, wo die Profitrate niedriger ist. Beide Annahmen widersprechen sich, da bei genauer Anwendung der Arbeitswertlehre in Branchen mit aus technischen Gründen vergleichsweise wenig Arbeitseinsatz vergleichsweise weniger Mehrwert entsteht, und damit dort die Profitrate niedriger wäre. Marx sieht die Arbeitswertlehre nun nicht einfach als widerlegt an, sondern er nimmt an, dass eine Umverteilung des Mehrwerts zwischen den Branchen derart an, dass in allen Branchen sich die gleiche allgemeine Profitrate herausbildet. Dadurch dass Kapital von Branchen mit niedriger Profitrate in Branchen mit hoher Profitrate wandert, steigt der Preis in ersteren über den Arbeitswert und umgekehrt in letzteren Branchen. Dieser Vorgang hält solange an, bis sich eine einheitliche allgemeine Profitrate herausgebildet hat.
Die Warenpreise bestimmen sich jetzt nicht mehr unmittelbar nach Arbeitswertlehre, sondern sind als sogenannte Produktionspreise so bestimmt, dass in allen Branchen die gleiche Profitrate herrscht. Die gesamtwirtschaftliche Summe des Mehrwerts hat sich aber nicht verändert, der Mehrwert ist zwischen den Branchen nur so umverteilt worden, dass sich Produktionspreise ergeben haben. Die Arbeitswertlehre ist nicht widerlegt, sondern „aufgehoben“.
Frage des Ausgangspunktes
Der Ausgangspunkt, bei Marx die Ware, ist dabei so zu wählen, dass seine dialektische Weiterentwicklung tatsächlich auch sinnvoll zu einer Gesamtdarstellung der kapitalistischen Produktionsweise führt. Andere Autoren haben andere Ausgangspunkte gewählt. Geert Reuten und Michael Williams[4] gehen wie Hegel vom Sein/Nichts aus und gelangen nach einigen weiteren Zwischenschritten schließlich zur Wertform und zum Tauschverhältnis, also zum oder in der Nähe des Marxschen Ausgangspunktes Ware.
Frage der systematischen Reihenfolge
Auch in der Frage, welche systematische Reihenfolge für die dialektische Darstellung die richtige ist, kommen einige Autoren zu anderen Ergebnissen als Marx. Nach Christopher Arthur ist die Arbeitswertlehre nicht wie bei Marx schon auf der Ebene der Ware einzuführen, sondern erst auf der Ebene des Kapitals, wenn sich die Frage stellt, wie die Kapitalvermehrung G – G’ von statten gehen kann.[5]
„Homologiehypothese“
Einige Autoren sehen zwischen Marx’ Kapital und Hegels Wissenschaft der Logik eine Isomorphie oder Homologie. So wird eine Parallele gezogen zwischen Hegels Sein – Wesen – Begriff und Marx’ Ware – Geld – Kapital.[6] So betrachtet wäre die dialektische Darstellungsmethode im Das Kapital nicht einfach nur eine Anwendung oder Weiterentwicklung einer Hegelschen Methode, sondern die ganze Hegelsche Philosophie spiegelt die innere Logik des Kapitals bzw. der bürgerlichen Gesellschaft, freilich aus bürgerlicher Sicht, wider.[7]
Kritik
Marx selbst warnt in den Grundrissen im Abschnitt „Die Methode der politischen Ökonomie“ vor einer idealistischen Deutung der dialektischen Darstellungsmethode: „Hegel geriet daher auf die Illusion, das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst.“[8] Die dialektische Darstellungsmethode soll also nicht den wirklichen Entstehungsprozess widerspiegeln, sondern systematisch die inneren Zusammenhänge herausarbeiten.[9]
Einzelnachweise
- ↑ Das Kapital, Erstes Buch, Erster Abschnitt, Erstes Kapitel, erster Satz. MEW 23, S. 49.
- ↑ [1] Zur Kritik der politischen Ökonomie, Erstes Buch, Vom Kapital, Abschnitt I, Das Kapital im allgemeinen, Erstes Kapitel, Die Ware, MEW 13, S. 36
- ↑ Vgl. Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. Westfälisches Dampfboot, Münster 2003, ISBN 3-89691-454-5, S. 164f..
- ↑ Reuten und Williams (1989), S. 19 und 53ff.
- ↑ Christopher J. Arthur (1993), S. 85, (2002), S. 79.
- ↑ Vgl. z. B. Chris Arthur 2002, chapter 5, „Marx’s ‚Capital’ and Hegel’s ‚Logic’“
- ↑ „Hegel’s supposedly universal logic is also the specific logic of capital.“ (zu deutsch: Hegels angebliche universale Logik ist gleichzeitig die besondere Logik des Kapitals.), Christopher Arthur (1993), S. 86
- ↑ „Grundrisse“, MEW 42, S. 35.
- ↑ Zur Kritik der ‚New Dialectic’, wie die systematische Darstellung auch im englischen genannt wird, vgl. Alex Callinicos (2005).
Literatur
- Karl Marx (1857 geschrieben, unveröffentlicht): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, Die Methode der politischen Ökonomie: MEW 13 und 42. [2]
- chronologische Folge
- Hiroshi Uchida (1988): Marx’s Grundrisse and Hegel’s Logic. Edited by Terrel Carver. London, New York. ISBN 0-415-00385-7
- Geert Reuten und Michael Williams (1989): Value-Form and the State. The Tendencies of Accumulation and the Determination of Economic Policy in Capitalist Society. London and New York. ISBN 0-415-03893-6
- Tony Smith (1990): The Logic of Marx’s Capital. Replies to Hegelian Criticisms. New York. ISBN 0-7914-0267-3, ISBN 0-7914-0268-1
- Eberhard Braun (1992): „Aufhebung der Philosophie“ Karl Marx und die Folgen. Stuttgart, Weimar. ISBN 3-476-00869-X
- Martha Campbell (1993): Marx's Concept of Economic Relations and the Method of Capital. In: Moseley, Fred (Hrsg.): Marx's Method in Capital. Humanities Press, New Jersey.
- Christopher J. Arthur (1993): Hegel’s Logic and Marx’s Capital. In: Moseley, Fred (Hrsg.): Marx's Method in Capital. Humanities Press, New Jersey.
- Helmut Reichelt (2000): Grenzen der dialektischen Darstellungsform - oder Verabschiedung der Dialektik? Einige Anmerkungen zur These von Dieter Riedel, in: MEGA-Studien, 2000, H. 1, S. 100-126
- Helmut Reichelt (2002): Die Marxsche Kritik ökonomischer Kategorien. Überlegungen zum Problem der Geltung in der dialektischen Darstellungsmethode im »Kapital«, in: Iring Fetscher / Alfred Schmidt (Hrsg.), Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der »Warentausch«-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation, Frankfurt am Main, Neue Kritik, S. 142-189
- Christopher J. Arthur (2002): The new dialectic and Marx's Capital. Leiden, Boston, Köln.
- Alex Callinicos (2005): Against the New Dialectic, In: Historical Materialism, Vol. 13, No. 2, S.
- Helmut Reichelt (2007): Zum Problem der dialektischen Darstellung ökonomischer Kategorien im Rohentwurf des Kapitals, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2007, S. 87-103
- Helmut Reichelt (2007): Marx's Critique of Economic Categories: Reflections on the Problem of Validity in the Dialectical Method of Presentation in Capital, in: Historical Materialism, Vol. 15, No. 4. (2007), S. 3-52
- Dieter Wolf: Zur Methode in Marx’ „Kapital“ unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters. Zum Methodenstreit zwischen Wolfgang Fritz Haug und Michael Heinrich. In: Ingo Elbe, Tobias Reichardt, Dieter Wolf: Gesellschaftliche Praxis und ihre wissenschaftliche Darstellung. Hamburg, 2008. ISBN 978-3-88619-655-5
Weblink
Michael Heinrich (ohne Datum): Kommentierte Literaturliste zur Kritik der politischen Ökonomie http://www.iff.ac.at/socec/backdoor/ws03-se-usoz/kapital/mh.htm
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