Adoptivkaiser

Adoptivkaiser

Das Adoptivkaisertum umfasst eine Periode der Römischen Kaiserzeit, in der die Nachfolge in der Herrschaft durch Adoption bestimmt wurde. Nach offizieller Lesart ging es hierbei um die Auswahl des jeweils geeignetsten Kandidaten. Als Adoptivkaiser gelten gewöhnlich die Kaiser Nerva, Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel und Lucius Verus. Bisweilen wird auch Mark Aurels leiblicher Sohn und Nachfolger Commodus genannt.

Das Adoptivkaisertum nahm seinen Anfang mit Nerva, der 97 n. Chr. Trajan als Nachfolger adoptierte, und endete mit Mark Aurel, der seinen leiblichen Sohn Commodus zum Nachfolger bestimmte.

Genannte Kaiser werden bisweilen auch als Antoninische Dynastie bezeichnet, womit auf den Namen Antoninus, den die Kaiser von Antoninus Pius bis Commodus (138-192) trugen, Bezug genommen wird. Problematisch ist an dieser Bezeichnung allerdings, dass auch die Kaiser aus der Dynastie der Severer (193-235) den Namen Antoninus trugen, da sie eine fiktive Verwandtschaft mit Commodus beanspruchten.

Die Herrschaft der Kaiser von Nerva bis Mark Aurel gilt auch heute noch oft als Glanzzeit des Römischen Reiches und als Vorbild guter monarchischer Herrschaft - unter Trajan erreichte die römische Herrschaft auch ihre größte territoriale Ausdehnung -, weshalb diese Kaiser (unter Auslassung des Mitkaisers Verus) besonders im Englischen auch als die „fünf guten Kaiser“ bezeichnet werden.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund: Adoption im römischen Recht

Schon in der römischen Republik hatten einzelne Mitglieder der Nobilität Angehörige eines anderen Adelsgeschlechts adoptiert, um so den Fortbestand des eigenen Geschlechts zu sichern. Der an Stelle des Sohnes Adoptierte erhielt den Namen, das Vermögen und die Klientel des Adoptivvaters und wurde rechtlich genau wie ein leiblicher Sohn behandelt. Der vielleicht berühmteste Fall ist wohl Augustus, der ursprünglich Gaius Octavius hieß und testamentarisch von Gaius Iulius Caesar adoptiert wurde.

Adoption im römischen Kaisertum

Das Fehlen geeigneter männlicher Leibeserben zwang auch Augustus, sich zur Sicherung seiner Nachfolge der Adoption zu bedienen. Dabei ist zu beachten, dass das römische Kaisertum formal nie erblich war; der (Adoptiv-)Sohn eines Kaisers war daher grundsätzlich nur dessen Privaterbe. Aus diesem Grund gehörte es zu einer geregelten Nachfolge, den nächsten princeps bereits zu Lebzeiten des Vorgängers vom Senat auch mit kaiserlichen Vollmachten ausstatten zu lassen. Als alle in Frage kommenden Blutsverwandten verstorben waren, adoptierte Augustus schließlich seinen Stiefsohn Tiberius und ließ ihm die entsprechenden Befugnisse übertragen. Auch Claudius adoptierte seinen Stiefsohn Nero – und dies, obwohl er einen eigenen Sohn, Britannicus, hatte, der aber jünger als Nero war und von diesem später beiseite gedrängt wurde. Neros kinderloser Nachfolger Galba versuchte im Januar 69 vergeblich, seine Position durch die Adoption eines jüngeren Senators (Lucius Calpurnius Piso Frugi Licinianus) zu sichern. In gewisser Weise war er damit der erste Adoptivkaiser. Doch erst im 2. Jahrhundert wurde die Adoption als angebliche „Auswahl des Besten“ propagandistisch aufgewertet: Es hieß nun, die Blutverwandtschaft sei fortan irrelevant, vielmehr gebe es eine Beteiligung des Senats an der Nachfolge, und jeder geeignete Senator könne adoptiert und zum nächsten Herrscher werden. Da das Kaisertum nun nicht mehr an eine (biologische) Familie gebunden sei und daher grundsätzlich jeder Geeignete princeps werden könne, kehre ein Teil der alten Freiheit zurück (so Tacitus).

Die Forschung hat diese Propaganda bis in die jüngere Vergangenheit oft kritiklos übernommen. Heute steht allerdings fest: In der Realität war dieses Vorgehen nur das Resultat der Kinderlosigkeit der jeweiligen Vorgänger: Wenn man ohnehin einen Nachfolger adoptieren musste, konnte man auch versuchen, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Die leibliche Erbfolge (streng genommen waren ja nur das gewaltige Privatvermögen und die Klientel der Herrscher erblich) wurde auch unter den Adoptivkaisern grundsätzlich nie aufgehoben, zumal ein biologischer Sohn eines Kaisers oder zumindest sein Umfeld einen Bürgerkrieg hätten provozieren können, wenn er nicht Kaiser wurde - aber Nerva, Trajan, Hadrian und Antoninus Pius blieben ohnehin ohne Sohn. Auch zeichnete sich der „beste“ Nachfolger meist weniger durch seine Qualifikation als durch seine Verwandtschaft zum amtierenden Kaiser aus; so war etwa Hadrian der engste männliche Verwandte von Trajan (der ihn zudem möglicherweise gar nicht als Nachfolger vorgesehen hatte). Die Adoption Trajans durch Nerva wiederum wird von vielen Althistorikern weniger für einen freiwilligen Akt als vielmehr für einen bemäntelten Militärputsch gehalten, den der mächtige Armeekommandeur Trajan mit Hilfe einer Gruppe einflussreicher Senatoren durchgeführt habe.

Das Adoptivkaisertum war also eine notwendige Folge des von Augustus geschaffenen Systems (Prinzipat): Um Nachfolgekämpfe und Bürgerkriege zu vermeiden, mussten die kinderlosen Kaiser zu Lebzeiten einen Erben einsetzen. Damit ließen sich gerade Trajan und Hadrian auffallend viel Zeit - Trajan adoptierte Hadrian 117 erst auf dem Sterbebett (wenn überhaupt), und auch Hadrian war 138 bereits dem Tode nah, als ihn der Senat endlich dazu bewegen konnte, die Nachfolge durch Adoption zu regeln. Die Beteiligung eines designierten Nachfolgers an der Macht war zwar notwendig, um Bürgerkriege beim Tod des Kaisers zu vermeiden, doch nur Antoninus Pius ließ sich mit diesem Schritt nicht so lange Zeit wie nur möglich.

Mark Aurel, der als erster Kaiser seit 96 wieder einen Sohn hatte, brach denn auch sogleich mit der Praxis der Adoption und erwählte seinen Sohn Commodus zum Nachfolger: Als Sohn des Kaisers sei dieser selbstverständlich der bestmögliche Herrscher. Damit war die Ideologie des Adoptivkaisertums endgültig als reine Propaganda erkennbar, die eine aus biologischem Zufall folgende Notwendigkeit verklärt und zur „Auswahl des Besten“ überhöht hatte. Die nachfolgenden Kaiser versuchten denn auch alle eine eigene Dynastie zu begründen. Doch noch in der Spätantike (4. - 6. Jahrhundert) spielte bei kinderlosen Kaisern die Adoption als Zeichen der Designation des präsumtiven Nachfolgers eine wichtige Rolle. Die Vorgänge um die Kaisererhebung Konstantins I. im Jahr 306 machten dabei deutlich, dass das dynastische Prinzip - wiewohl staatsrechtlich nach wie vor eigentlich irrelevant - im Zweifelsfall fast immer eine entscheidende Rolle spielte.

Nach der Ermordung des Commodus nahm Septimius Severus 193 für seine Person eine (fiktive) Adoption durch Mark Aurel in Anspruch. Diese fiktive Adoption blieb jedoch ohne Nachfolge, weshalb hier nicht mehr von Adoptivkaisern zu sprechen ist. Die Severer knüpften jedoch, wie gesagt, durch die Namensgebung an die Antoninen an, so trugen die Kaiser Caracalla und Elagabal die offiziellen Namen Marcus Aurelius Severus Antoninus bzw. Marcus Aurelius Antoninus. Der ausgesprochen schlechte Ruf dieser beiden Herrscher diskreditierte jedoch den Namen Antoninus derart, dass Elagabals Nachfolger Severus Alexander sich zwar noch Marcus Aurelius, nicht aber Antoninus nannte.

Einschätzung

Die Zeit der Adoptivkaiser stellt nach traditioneller Sicht die dauerhafteste Phase der Prosperität des Römischen Reiches dar. Besonders die Regierung des Antoninus Pius war aus der Sicht der Zeitgenossen und der antiken Nachwelt durch weitgehende innere und äußere Ruhe gekennzeichnet (so Aelius Aristides in seiner Rede auf Rom) und galt als glanzvolle Epoche des Friedens und Wohlergehens. Erst in jüngster Zeit äußern Historiker wie Ulrich Gotter zunehmend Zweifel an dieser positiven Einschätzung.

Unter den späteren Adoptivkaisern kündigten sich bereits die im 3. Jahrhundert vorherrschenden Krisenphänomene an. Mark Aurels Herrschaft war bereits durch die kommenden innen- und außenpolitischen Probleme geprägt (Bedrohung der nordöstlichen Grenzen durch germanische Wandervölker, Inflation, zunehmende Stratifizierung der Gesellschaft). Der Herrschaftsantritt von Mark Aurels Sohn Commodus beendete die Reihe der notwendigen Adoptionen und wurde vom jüngeren Zeitgenossen Cassius Dio (Römische Geschichte 72,36,4) später als Übergang von einem „Goldenen Zeitalter“ in eines aus „Rost und Eisen“ beschrieben. Auf die Ermordung des Commodus Ende 192 folgten die blutigen Machtkämpfe des zweiten Vierkaiserjahrs, in dem sich schließlich Septimius Severus durchsetzte. Unter den Severern wuchs die Bedeutung des militärischen Elements bei der Herrschererhebung, was schon die Soldatenkaiser in der Zeit der Reichskrise des 3. Jahrhunderts ankündigt.

Herrschergalerie

Literatur

  • A. K. Bowman u.a. (Hrsg.): The Cambridge Ancient History. Bd. 11. Cambridge 2000.
  • Albino Garzetti: From Tiberius to the Antonines. London 1974.
  • Michael Grant: The Antonines - The Roman Empire in Transition. Routledge, London 1994, ISBN 0-415-10754-7 (sehr knappe Darstellung).
  • Colin Wells: Das Römische Reich. DTV, München 1984, S. 231–304, ISBN 3-423-04405-5.
  • Johannes Pasquali: Die Adoptivkaiser. Das römische Weltreich am Höhepunkt seiner Macht (98-180 n. Chr.), projektverlag, Bochum 2011, ISBN 978-3-89733-229-4

Weblinks

Siehe auch


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