Dubnow

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Simon Dubnow

Simon Dubnow (* 10. September 1860 in Mstislawl, Weißrussland; † 8. Dezember 1941 in Riga) war ein Historiker des Judentums.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Dubnow kam 1860 als Sohn eines Holzhändlers in einem weißrussischen Schtetl zur Welt. 1880 ging er, ohne eine Aufenthaltsgenehmigung zu besitzen, nach Sankt Petersburg und Odessa, später nach Wilna, wo er für verschiedene jüdische Zeitungen schrieb. 1881 übersetzte er die Volkstümliche Geschichte der Juden von Heinrich Graetz ins Russische; allerdings wurde die Einleitung vom Zensor verboten und musste später als getrennte Publikation im Ausland erscheinen. Er wandte sich dann in seiner Arbeit dem Chassidismus, der großen Erweckungsbewegung unter den Ostjuden, zu. 1898 begann er die Arbeit an seinem Hauptwerk, der Weltgeschichte des jüdischen Volkes, dessen ersten Teil er noch 1914 in Sankt Petersburg publizieren konnte.

Der Historiker engagierte sich auch politisch: Nach dem Pogrom von Kischinjow 1903 befürwortete er die aktive Selbstverteidigung der Juden; bei den Duma-Wahlen von 1905 warb er für die Teilnahme jüdischer Parteien. 1906 gründete er eine eigene „Jüdische Volkspartei“, die zwar bis 1918 existierte, aber insgesamt bedeutungslos blieb. Die Februarrevolution 1917 begrüßte er als die langersehnte Befreiung aus der Diskriminierung; während der Oktoberrevolution warnte er seine jüdischen Landsleute davor, ihr Schicksal mit dem der Bolschewiken zu verbinden. Noch bis 1922 ertrug er in Petrograd Hunger, Kälte, den Bürgerkrieg und roten Terror und versuchte für die Erneuerung des jüdischen Lebens in Russland zu arbeiten, sah dann aber ein, dass er hier keine Zukunft haben würde.

Am 23. April 1922 reiste er über Estland ins litauische Kaunas, wo ihm an der Universität ein Lehrstuhl in Aussicht gestellt worden war, aber als Jude wurde er doch nicht berufen. Er zog nach Berlin weiter, wobei er seine Bibliothek zurücklassen musste. Obwohl er bereits 62 Jahre alt war, folgte nun das fruchtbarste Jahrzehnt seines Lebens: von 1925 bis 1929 erschien sein Hauptwerk, die zehnbändige Weltgeschichte des jüdischen Volkes. 1931 folgte die Geschichte des Chassidismus in zwei Bänden. Alle Bücher veröffentlichte er zuerst auf Deutsch, kurz darauf auch auf Russisch, Hebräisch, Jiddisch und Englisch. In Berlin bildete er - neben Jakow Tejtel, dem Vorsitzenden des Vereins russischer Juden - das Zentrum der russisch-jüdischen Diaspora. Zu seinen vielen Bekannten gehörte Chaim Nachman Bialik, der später zum israelischen Nationaldichter wurde, und Meir Disengoff, später der erste Bürgermeister von Tel Aviv. Mit Einstein besprach er das Projekt einer jüdischen Universität für Europa. Bei seinen Kontakten zeigte er keine Vorurteile, traf Anarchisten, Menschewiken wie Monarchisten. Zuletzt arbeitete er an seiner Autobiografie für die Jahre 1880 bis 1893. Im Mai 1933 erfuhr er aus ausländischen Zeitungen, dass seine Weltgeschichte in Deutschland zu den verbotenen und verbrannten Büchern gehörte.

Am 23. August 1933 flüchtete er im Alter von 73 nach Riga. Dort erschien die russische Ausgabe seiner Weltgeschichte und die ersten beiden Bände seiner Memoiren. 1940 konnte er den dritten Teil seines Buch des Lebens über die Jahre 1922 bis 1933 im nunmehr sowjetisch besetzten Riga abschließen. Die Stadt wurde am 1. Juli 1941 von der Wehrmacht eingenommen; am 23. Oktober wurden die Rigaer Juden in ein Ghetto gesperrt. Am 29. November begannen die Massentötungen. Simon Dubnow wurde am 8. Dezember umgebracht, Augenzeugenberichten zufolge soll der Kommandant Johann Siebert persönlich den 81-jährigen Greis ermordet haben - er hatte ihn als Student bei Vorlesungen in Heidelberg gehört.[1] Das Tagebuch, das Dubnow bis in die letzten Tage führte und vorläufig von lettischen Freunden gerettet wurde, ist nicht wieder aufgetaucht.

Philosophie

Der Grundgedanke seiner Überlegungen war das leidenschaftliche Plädoyer für das jüdische „Selbstbewusstsein einer Nation“. Er meinte damit einen geistigen Nationalismus, der mit der Erfüllung der allgemeinen bürgerlichen Pflichten der Juden in ihren jeweiligen Diaspora-Staaten harmonieren solle. Der Kern seiner Forderungen zielte dabei stets auf die rechtliche Emanzipation und Autonomie in Selbstverwaltung, Sprache und Erziehung.

Kritik an der jüdischen Geschichtsschreibung

In der Geschichtsschreibung seiner Vorgänger, vornehmlich Heinrich Graetz und Leopold Zunz, sah Dubnow die Behandlung der Geistes- und Leidensgeschichte des Judentums überwiegen. Er sah eine nötige Innovation der jüdischen Historiographie im Aufweisen des nationalen Charakters, seiner Meinung nach, fehlgedeuteter Ereignisse. Trotzdem verfolgte Dubnow, wie er in der Einleitung seines zehnbändigen Geschichtswerkes behauptete, keine tendenziösen Absichten in Hinsicht auf die Herausarbeitung nationaler Tendenzen des Geschichtsinhaltes.

Zitat

  • „Die ersten Tage meiner literarischen Tätigkeit fielen mit der ersten Pogromwelle in Rußland (1881), die letzten mit der vollständigen Zerschlagung des jüdischen Zentrums in Polen (1939) zusammen. Offensichtlich ist es mir beschieden, die Vorhersage zu verwirklichen: ‚Im Sturme hast du angefangen, im Sturme sollst du enden‘ (D. F. Strauss).“ (letzter Eintrag in Dubnows Autobiografie)[2]

Werke

  • Die jüdische Geschichte: ein geschichtsphilosophischer Versuch, dt. 1897, zweite Auflage Frankfurt a. M., Kauffmann, 1921
  • Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Autorisierte Übers. aus dem Russischen, 10 Bände, Berlin 1925–1929
  • Geschichte des Chassidismus (2 Bd.), Berlin 1931
  • Buch des Lebens. Erinnerungen und Gedanken. Materialien zur Geschichte meiner Zeit Hg. Verena Dohrn. Aus dem Russischen (versch. Übersetzerinnen). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
    • Band 1: 1860–1903 (2004) ISBN 3-525-36950-6.
    • Band 2: 1903–1922 (2005) ISBN 3-525-36951-4.
    • Band 3: 1922–1933 (2005) ISBN 3-525-36952-2
  • History of the Jews in Russia and Poland, Translated from the Russian by I. Friedlaender, 2 Volumes: Philadelphia, The Jewish Publication Society of America, 1916.

Literatur

Kapitel Simon Dubnows Berliner Tagebuch, in: Karl Schlögel: Das Russische Berlin - Ostbahnhof Europas. Pantheon, München 2007, S. 287-307, ISBN 978-3-570-55022-9.

Einzelnachweise

  1. Schlögel, Das russische Berlin ... , S. 287.
  2. zitiert nach: Schlögel, Das russische Berlin ... , S. 287

Weblinks


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